„Anhand von Texten gnadenlos fragen“: Klaus Berger über die Weise, sich heute Jesus
zu nähern
Professor Klaus Berger ist einer der kantigsten Exegeten deutscher Zunge, berühmt
ist sein Jesusbuch, das er als Ergebnis eines Lebens voller Forschung für Jesus-Sucher
geschrieben hat, berühmt ist auch seine Sammlung von Evangelientexten und anderen
frühchristlichen Schriften in neuer Übersetzung und neuer zeitlicher Ordnung. Er war
und ist nie um Meinung und Aussage verlegen. Er ist außerdem Familiar im Zisterzienserorden,
also auch dem Ordensleben verbunden. Die italienische Bischofskonferenz
hat ihn für eine dreitägige Konferenz nach Rom unter dem Titel „Der gegenwärtige Jesus“
eingeladen, eine Gelegenheit für Radio Vatikan, ihn zu fragen, ob die Theologie und
Exegese uns heute helfen kann, Jesus zu begegnen.
„Die Theologen selber haben
alles getan, um Jesus verschwinden zu lassen, indem sie ihn bestenfalls einen Sozialrevolutionär
haben werden lassen, oder einen Bauernführer, da sind die abenteuerlichsten Jesusbilder
entstanden. Die Flut der Jesusliteratur war kein Segen, sondern hat die Menschen noch
einmal tiefgreifend verwirrt.“
Ein Auszug aus dem Gespräch mit Pater Bernd
Hagenkord: Über verdeckende Theologen, den beunruhigenden Jesus und den suchenden
Menschen von heute: Professor Berger, Sie haben sich Ihr Leben lang mit
diesem Jesus beschäftigt. Wie würden Sie unseren Umgang mit Jesus heute diagnostizieren?
„Es
herrscht ein bestimmtes Jesusbild vor, dass immer noch den Schlafzimmern des 20. Jahrhunderts
entstammt: Jesus als Vegetarier, als Pazifist, als der Mensch, den man eigentlich
nicht ganz ernst nehmen darf, dem man auf die Schulter klopft und sagt: Du hast es
auch nicht besser gewusst, Kollege. So gehen moderne Menschen mit Jesus um, indem
sie ihn einfach nicht für voll nehmen.“
Sie haben einmal gesagt, dass sie
sich diesem Jesus halb mit dem Computer und halb auf den Knien genähert hätten: Was
würden Sie denn einem modernen Menschen raten?
„Für mich war immer wichtig,
wenn ich meinen Studenten anhand von Texten das Jesusbild dieses oder jenen Textes
erschlossen habe, dann war irgendwann der Funke übergesprungen. Irgendwann haben die
Menschen sich selber auf die Suche gemacht und es spannend gefunden, von ihren eigenen
Klischees wegzukommen, hin zu einem lebendigen Jesus, der unalltägliche Dinge zu sagen
hat. Nicht nur dass er provoziert, sondern er bringt auch wirklich Neues, was häufig
ja verschüttet ist, nicht zuletzt durch die dogmatischen Handbücher, durch die Katechismen
und durch die Praxis der Kirchen.“
Was würden Sie denn sagen, wie man sich
diesem Jesus, an den Verschüttungen vorbei, nähern kann?
„Indem man anhand
von Texten gnadenlos fragt: Wie soll ich das verstehen? Es geht zunächst um das Verstehen
eines Fremden, der fremd geworden ist und in anderen Jahrhunderten wahrscheinlich
nicht weniger fremd war (..). Es geht um die Begegnung mit einem, der fremd ist und
diese Begegnung macht einen schon heiß, wenn man kurz davor ist, etwas davon mit zu
bekommen. Es ist wie beim Topfschlagen (...), Theologen können helfen aber die Menschen
müssen den entscheidenden Schlag selber machen. Wirkliche Begegnung mit Gott.“
Bleibt
uns der Jesus aber nicht doch auch nach allem Erklären und dann Nachfragen letztlich
fremd?
„Ich finde, dass man jeden Tag gespannt sein darf, was man an genau
diesem Tag aus dem Text herausfindet. Das ist bei manchen Texten manchmal ohne Ergebnis,
dass man nichts findet, aber meistens ist es doch so, dass man weiter geführt wird,
wirklich weiter geführt wird, so dass Jesus nicht fremd bleibt, sondern neue Eigenschaften
von sich zeigt. Genau wie meine Frau auch. Meine Frau liebe ich in vergleichbarer
Weise, dass ich gespannt bin, was ich heute an ihr entdecken kann.“
Trage
ich dann nicht zu viel von mir selbst in diesem Jesus hinein?
„Dafür ist
er fremd genug; das ist das Element der Fremdheit, das mir immer wieder eins auf die
Pfoten gibt, wenn ich mich seiner zu sehr bemächtigen will, ihn ideologisch verbrauche,
um meine Schnäppchen zu legalisieren.“
Ruhe und beruhigt sein ist das Gegenteil
von Bibellektüre?
„Ja. Man muss bereit sein, sich überraschen zu lassen
und bereit sein, die liebsten Überzeugungen aufzugeben.“
In der Sprache
von heute: Was für ein Jesus ist das für die Moderne?
„Es ist ein Jesus,
der von der Suche nach der Wahrheit rastlos umgetrieben wird. So wie man sich Sartre
vorstellt, dass er eine Zigarette nach der anderen raucht, weil er mit keiner Antwort
zufrieden ist, die er selbst findet.“