An diesem Freitag
findet in der indischen Hauptstadt Neu Delhi der EU-Indien-Gipfel statt. Auf dem Treffen
wollen sich Vertreter der EU-Kommission und der indischen Regierung auf ein Handelsabkommen
einigen, das womöglich die Existenzgrundlage von Millionen von Menschen in Indien
gefährden könnte: Der indische Markt soll sich für europäische Produkte öffnen, die
Zölle für solche Waren gesenkt werden – das sind schöne Aussichten für das krisengeschüttelte
Europa, aber fatal für die Mehrheit der indischen Bevölkerung, erklärt im Gespräch
mit Radio Vatikan der Handelsexperte von Misereor Armin Paasch. Er geht zur Stunde
mit indischen Kleinbauern und -händlern gegen das Abkommen in Neu Delhi auf die Straße:
„Man
muss wissen, dass der Einzelhandel in Indien mit 37 Millionen Beschäftigten der zweitgrößte
Arbeitgeber ist. Und ein Großteil von diesen Arbeitskräften sind im informellen Sektor
beschäftigt. Zehn Millionen Straßenhändler gehören zum Beispiel dazu. Das sind Leute,
die jetzt schon am Existenzminimum leben. Und wenn sie jetzt ihre Arbeit verlieren
würden, würden sie extremer Armut und extremem Hunger ausgesetzt werden. Nun verlangt
die EU, dass europäische Supermarktketten wie Carrefour, Metro und Tesco Supermärkte
in Indien eröffnen können. Und die Kleinhändler befürchten nun, dass sie verdrängt
werden.“
Schätzungsweise 2,9 bis 5,7 Millionen Arbeitsplätze wären mit
der Ausbreitung von modernen Supermärkten in Indien gefährdet. Weiter will die EU,
dass 95 Prozent der indischen Zölle für europäische Produkte abgeschafft werden, so
Paasch weiter. Eine solche Strategie würde der lokalen indischen Landwirtschaft den
Todesstoß versetzen:
„Beispielsweise für Milch würde das bedeuten, dass
14 Millionen indische Bäuerinnen und Bauern der Konkurrenz von subventioniertem Milchpulver
der EU ausgesetzt würden, auch hier befürchten wir starke Verdrängungseffekte, eine
Verdrängung von den Märkten, was auch bedeuten würde, dass diese Bauern eben ihr Einkommen
verlieren würden, und ihr wirtschaftlicher Zugang zu Nahrungsmitteln, also ihre Kaufkraft
sehr stark darunter leiden würde.“
Im Lissabon-Vertrag ist festgeschrieben,
dass die Handelspolitik der EU mit Menschenrechten konform gehen muss. Dieser Maßstab
werde mit Füßen getreten, wenn das Abkommen tatsächlich planmäßig umgesetzt wird,
so der Misereor-Handelsexperte weiter.
40 Prozent leben immer noch in
bitterer Armut Trotz Wirtschaftswachstum und steigenden Exporten leben
in Indien 40 Prozent der Bevölkerung immer noch in extremer Armut; jeder Vierte ist
laut Angaben von Misereor chronisch unterernährt. Das Hilfswerk fordert deshalb eine
Abschätzung der Folgen im Vorfeld von Handelsabkommen vor allem für die arme Bevölkerungsmehrheit
in dem Schwellenland: Kein Handel auf Kosten von Grundrechten wie auf Nahrung und
Arbeit, so der Appell, den Misereor zusammen mit der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung
und mit zivilgesellschaftlichen Partnern in Indien vorbringt. In Neu Delhi wurde zu
diesem Zweck ein Protestmarsch organisiert, der parallel zum Gipfel an diesem Freitag
stattfindet.