Päpstliche Fastenbotschaft: „Lasst uns aufeinander achten“
„Lasst uns aufeinander
achten und uns zur Liebe und zu guten Taten anspornen“ – um diesen Vers aus dem Hebräerbrief
(10,24) kreist die Fastenbotschaft des Papstes für 2012. Sie wurde an diesem Dienstag
im Vatikan vorgestellt.
Der Hebräerbrief aus dem Neuen Testament „fordert
uns dazu auf, den Blick auf den anderen zu richten, (...) sich nicht unbeteiligt,
gleichgültig gegenüber dem Schicksal unserer Brüder und Schwestern zu zeigen“, schreibt
Benedikt XVI.. Oft überwiege heute allerdings „die entgegengesetzte Haltung: Gleichgültigkeit
und Interesselosigkeit, die ihren Ursprung im Egoismus haben“ – eines Egoismus,
„der sich den Anschein der Achtung vor der ,Privatsphäre‘ gibt“. Dem entgegen
rufe Gott uns auch heute dazu auf, „Hüter unserer Brüder und Schwestern zu sein
(vgl. Gen 4,9)“, so der Papst – ein Plädoyer für den „brüderlichen Blick“.
„Die
Fastenbotschaft will in den Gläubigen die Aufmerksamkeit für den anderen wachhalten“,
kommentiert an diesem Dienstag vor Journalisten Kardinal Robert Sarah, Chef des Vatikan-Hilfswerks
Cor Unum. „Dank dieser Aufmerksamkeit ist es der Kirche im Lauf der Jahrhunderte gelungen,
zum Wachstum der Menschheit beizutragen. Das dichte Netz von Caritas-Einrichtungen
zeigt, wie lebendig das Evangelium Christi ist, das uns aufträgt, ihn vor allem in
den Armen zu suchen und zu finden.“
„Das Achtgeben auf den anderen
bedeutet, für ihn oder sie in jeder Hinsicht das Gute zu wünschen“, so Benedikt
XVI.. Allerdings: „Der zeitgenössischen Kultur scheint der Sinn für Gut und Böse
abhandengekommen zu sein. Dabei muss mit Nachdruck daran erinnert werden, dass das
Gute existiert und obsiegt“. Der Papst warnt vor einer „Verhärtung des Herzens durch
eine Art ,geistliche Betäubung‘, die blind macht für die Leiden anderer“: Dahinter
steckten oft „materieller Reichtum und Übersättigung, aber auch der Vorrang, der persönlichen
Interessen und Sorgen gegenüber allem anderen gegeben wird“. Wörtlich schreibt
der Papst: „Niemals dürfen wir unfähig sein, ,Mitleid zu empfinden‘ mit den Leidenden;
niemals darf unser Herz von unseren Angelegenheiten und Problemen so in Anspruch genommen
sein, dass es taub wird für den Schrei des Armen.“
Auf das Wohl des
Nächsten zu achten, heiße auch, ihn „im Hinblick auf das ewige Heil“ brüderlich
zurechtzuweisen – ein Aspekt christlichen Lebens, von dem der Papst meint, „dass
er in Vergessenheit geraten ist“. „Dahinter steht eine ganze geistliche Tradition“,
erinnert Kardinal Sarah, „sie wird vor allem in den Orden gelebt. Natürlich
ist die brüderliche Zurechtweisung nicht leicht, und es gehört viel Vertrauen dazu,
eine Zurechtweisung auszusprechen oder auch anzunehmen. Aber das ist nötig. Wir sehen
das doch bei jeder Art von Erziehung. Wir können in diesem Licht auch das Handeln
der Kirche in der heutigen Welt lesen: Manchmal ärgern sich einige über das, was der
Heilige Vater oder Kirchenvertreter über bestimmte Themen unserer modernen Kultur
sagen. Aber dahinter steht kein Macht- oder Einflusshunger, sondern die ehrliche Sorge
um das Heil des Menschen und der Welt. Die prophetische Mission der Kirche schließt
auch den Ruf nach mehr sozialer Gerechtigkeit ein. Die Kirche kann nicht schweigen,
wenn viele Hungers sterben, während andere sich an der Ausbeutung ihrer Mitmenschen
bereichern! Und wir können auch nicht verschweigen, dass an der Wurzel unserer Finanzkrise
die Gier steht, die skrupellose Jagd nach Geld. Dem Geld so anzuhängen, ist eine Sünde!”
„Vor dem Bösen darf man nicht schweigen“, schreibt auch Benedikt
XVI.. Und er fährt fort: „Ich denke hier an die Haltung jener Christen, die sich
aus menschlichem Respekt oder einfach aus Bequemlichkeit lieber der vorherrschenden
Mentalität anpassen, als ihre Brüder und Schwestern vor jenen Denk- und Handlungsweisen
zu warnen, die der Wahrheit widersprechen und nicht dem Weg des Guten folgen.“ Nicht
um „Verurteilung oder gegenseitige Beschuldigung“ gehe es, sondern um Liebe:
„Es ist ein großer Dienst, anderen zu helfen und sich helfen zu lassen, zu aufrichtiger
Selbsterkenntnis zu gelangen, um das eigene Leben zu bessern und rechtschaffener den
Weg des Herrn zu verfolgen.“
„Eine Gesellschaft wie die gegenwärtige“
könne „taub werden, sowohl für das körperliche Leid als auch für die geistlichen
und moralischen Bedürfnisse des Lebens. Das darf unter Christen nicht geschehen!“,
fordert der Papst. Und er schreibt an gegen „die Versuchung der Lauheit“: Wer
im Glaubensleben nicht vorwärtsgehe, der falle zurück.
„Die Kirche ist
vor allem Prophetin in der heutigen Welt, um auf das Fehlen Gottes hinzuweisen“, so
Kardinal Sarah. „Hier sind wir an der wirklichen Wurzel der Ungerechtigkeiten, die
uns umgeben: Wenn der Mensch über sich nicht einen Schöpfer und Herrn anerkennt, dann
wirft er sich zu seinem eigenen Schöpfer und Herrn auf, und das soziale Leben wird
zu einem Kampf aller gegen alle. Ohne einen Gott, der uns inspiriert und korrigiert,
wird das Leben ein Kampf ums Überleben, zum Nachteil des Schwächsten. In eine solche
Welt hinein gibt die Kirche das Zeugnis des Evangeliums, das von der Aufmerksamkeit
für den anderen spricht.“