Unser Buchtipp: Arno Lustiger - Rettungswiderstand
Arno Lustiger: Rettungswiderstand.
Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit. Eine Besprechung von Gudrun Sailer
„Rettungswiderstand“
heißt das umfangreiche Werk, das der Shoah-Überlebende Arno Lustiger vor kurzem vorgelegt
hat. Der deutsche Historiker, übrigens ein Cousin des verstorbenen Pariser Kardinals
Jean Marie Lustiger, verfolgt damit ein ehrgeiziges Projekt: Er dokumentiert oft vergessene
Hilfeleistungen für in der Nazizeit verfolgte Juden in ganz Europa und darüber hinaus.
Dieser große geographische Horizont öffnet die Augen des Lesers dafür, wo überall
und wie Juden Verfolgungen erlitten, welche Wege ihre Helfer fanden, um ihnen beizustehen,
und welche – höchst vielfältigen - Kategorien von Helfern es überhaupt gab.
Die
Rettungsaktionen für die Juden waren in den wenigsten Fällen konzertiert, aber praktisch
überall flackerten Herde dieser speziellen Form von Widerstand auf, in denen einzelne
„stillen Helden“ oder kleine vernetzte Gruppen in ihrem Bereich das Mögliche taten,
um den bedrängten Juden zu helfen. Wo es über diese Akteure des zivilen Widerstands
bisher bloß Detailstudien und versprengte Erzählungen im historischen Diskurs gab,
da schließt Arno Lustiger diese Lücke mit seinem Überblickswerk.
Dass bei
einer derartigen Fülle des Materials Verallgemeinerungen nicht ausbleiben können,
liegt auf der Hand. So wartet das Kapitel über die Deportation der Juden von Rom mit
dem berüchtigten „Schweigen des Papstes“ auf und stellt die couragierten Rettungsaktionen
durch katholische Ordensleute und Priester, die mehrere tausend Juden versteckten,
als parallele Eigeninitiative dar.
Hunderte von Juden-Rettungsaktionen schildert
Lustiger in knappen, anschaulichen Sätzen. Einige sind gut bekannt, etwa jene von
Angelo Giuseppe Roncalli; der spätere Papst Johannes XXIII. schleuste als Nuntius
in der Türkei Tausende von jüdischen Flüchtlingen nach Palästina. Die meisten von
Lustigers Mikro-Erzählungen über Rettungsaktionen für Juden hingegen haben komplett
unbekannte Akteure; den chinesischen Generalkonsul in Wien, der unerlaubt hunderte
Visa für das sichere Schanghai ausstellte; das polnische Kindermädchen in Warschau,
das 20 Juden aus dem Ghetto versteckte, das Budapester Ehepaar, das einen jüdischen
Bekannten mit einem Schauspieler-Trick aus den Klauen der Schergen rettete.
Warum
die Öffentlichkeit viele dieser Geschichten spät bis gar nicht zur Kenntnis nahm,
erklärt sich Arno Lustiger mit dem Unbehagen, das sie auslösen: Den Wegschauern sei
es unangenehm zu erfahren, dass es unter den gleichen Bedingungen sehr wohl andere
gab, die den Mut fanden, bedrängten Juden zu helfen. „Spielräume hat es auch im totalitären
Regime gegeben“, stellt Arno Lustiger klar. Sein eindrucksvolles und notwendiges Buch
macht das sehr deutlich.
Das Buch ist im Verlag Wallstein erschienen und kostet
etwa 30 Euro.