Italien: „Wir brauchen keine Helden, sondern Leute, die einfach ihre Pflicht tun“
Erst demolierten Unbekannte
sein Auto. Dann fand er, vor ein paar Tagen, einen blutigen Schweinekopf vor seinem
Pfarrhaus: eine deutliche Warnung durch die `Ndrangheta, die Mafia. Doch Pfarrer
Ennio Stamìle aus Cetraro in der süditalienischen Provinz Kalabrien will sich nicht
einschüchtern lassen. Der Geistliche ist bekannt für seine ablehnende Haltung gegenüber
der Mafia, die er in seinen Predigten zum Ausdruck bringt.
„Wahrscheinlich
ist das einfach eine Reaktion auf unsere seelsorgliche Arbeit, die manchmal auch zur
„denuncia“ werden muss, zur Anklage. So lehrt uns das übrigens die Soziallehre der
Kirche, etwa die Enzyklika Solicitudo rei socialis von Johannes Paul II: Danach gehört
die „denuncia“ zu unserer prophetischen Aktion. Natürlich kommt zuerst „annuncio“,
also Verkündigung, aber dann eben auch die „denuncia“, die Anklage. Es ist doch klar,
dass wir nicht schweigen können angesichts des Bösen, das immer besorgniserregender
wird – weil es die Armen, die Einzelnen, die Älteren und sogar die Behinderten mit
einbezieht. Wie sagt doch Jesaja: Um der Liebe zu meinem Volke willen kann ich nicht
schweigen!“
Schade nur, dass „in einigen Kreisen der Unterentwicklung
und Unterkultur“, wie Don Ennio formuliert, seine „denuncia“ nicht als Aufruf zur
Bekehrung aufgenommen wird, sondern „als eine Art Herausforderung“. Er wolle eigentlich
gar nicht von den Medien das Etikett des Anti-Mafia-Priesters aufgeklebt bekommen.
„Der
Priester ist als Christ gegen niemanden! Wir stehen auf der Seite der Menschen: jedes
Menschen, auch des Menschen, der Übles tut. Das ist unsere Mission! Wir haben keine
Interessen zu verteidigen, sondern eine prophetische Funktion auszuüben. Und das wird
leider nicht verstanden. Mir tut das sehr leid, weil dadurch das Bild dieser außerordentlichen
Region Kalabrien verfinstert wird, einer Region, in der außerordentliche Menschen
leben und viel Gutes tun, in aller Stille, junge und nicht mehr so junge.“
Die
`Ndrangheta verdüstert nicht nur das Image ihrer Herkunftsregion Kalabrien, wo sie
im 19. Jahrhundert entstand: Ihre Fangarme reichen mittlerweile bis nach Südamerika,
Russland oder Australien. Man schätzt ihren Jahresumsatz auf 44 Milliarden Euro; das
würde sie zur stärksten Mafiabande Europas überhaupt machen. Auch die Mafiamorde von
Duisburg im Jahr 2007 gehen auf ihr Konto. Was tun gegen diese Mafia? Don Ennio im
Gespräch mit Radio Vatikan:
„Wir brauchen keine Helden, wir brauchen vielmehr
Leute, die einfach nur ihre Pflicht tun, trotz ihrer Grenzen oder Schwächen – nur
das brauchen wir! Helden brauchen wir keine, allerdings haben wir welche, auch wir
hier in Cetraro und anderswo in Kalabrien: Menschen die von der `Ndrangheta ermordet
wurden. Nicht nur Politiker, sondern auch Staatsanwälte, auch Priester. Also, Helden
haben wir schon. Jetzt fehlen uns noch Leute, die sich täglich für das Gute einsetzen,
für die Gerechtigkeit, für die Legalität und Solidarität!“
Anders gesagt:
Nein zur Grauzone. Dabei ist auch diese Grauzone dem Pfarrer von Cetraro durchaus
vertraut.
„Vor allem schwächere, jüngere Leute sagen: Hier in Kalabrien
gibt`s ja keine Arbeit, darum müssen wir zur ´Ndrangheta gehen, die gibt uns einen
Job. Also treten wir ihr bei...“
Gegen diese resignative Haltung, die viele
in den Dienst der Mafia rutschen läßt, ruft Don Ennio zu einem Aufstand der Anständigen:
„Wir
werden jetzt sicher nicht stehenbleiben, im Gegenteil! Warum sollten wir uns jetzt
einschüchtern lassen? Absolut nicht! Wir sind ja auch nicht allein: Wir haben viele
Menschen auf unserer Seite, und auch der Herr ist mit uns. Wie Paulus sagt: Nichts
kann uns scheiden von der Liebe Christi. Wir tun einfach das, was wir zu tun haben.
Auch wenn wir keine Helden sind – absolut nicht.“