Papst Benedikt XVI. hat am Mittwoch Abend eine Vesper in der römischen Basilika Sankt
Paul vor den Mauern gehalten. Sie galt dem Fest der Bekehrung des hl. Paulus und markierte
gleichzeitig den Abschluss der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen. In seiner
Predigt nannte der Papst das Erreichen der „vollen Einheit“ der Christen „wichtig
für das Wohl der Menschheitsfamilie“. Wir dokumentieren die deutsche Übersetzung seiner
Predigt in unserer Arbeitsübersetzung. Der offizielle Text wird demnächst vom deutschsprachigen
„Osservatore Romano“ veröffentlicht werden.
„Liebe Brüder und Schwestern,
Mit
großer Freude grüße ich herzlich alle, die ihr hier, am liturgischen Fest der Bekehrung
des Heiligen Paulus, in dieser Basilika versammelt seid, um die Gebetswoche für die
Einheit der Christen abzuschließen in diesem Jahr, in dem wir den 50. Jahrestag der
Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils feiern, das der selige Johannes XXIII. eben
in dieser Basilika am 25. Januar 1959 angekündigt hat. Die heute zu Ende gehende Gebetswoche
bietet uns folgendes Thema zur Meditation an: „Wir werden alle verwandelt durch den
Glauben an Jesus Christus“ (vgl. 1 Kor 15,51-58).
Die Bedeutung dieser geheimnisvollen
Verwandlung, von der die zweite Kurzlesung des heutigen Abends spricht, zeigt sich
in wunderbarer Weise im persönlichen Schicksal des Heiligen Paulus. Nach dem überwältigenden
Ereignis auf dem Weg nach Damaskus wurde Saulus, der besonders eifrig die junge Kirche
verfolgte, verwandelt in einen unermüdlichen Apostel des Evangeliums Jesu Christi.
In dem, was dieser außerordentlicher Verkünder des Evangeliums erlebt hat, wird deutlich,
dass diese Verwandlung nicht das Ergebnis einer langen inneren Reflexion ist und auch
nicht das Ergebnis einer persönlichen Anstrengung. Sie ist vor allem ein Werk der
Gnade Gottes, die auf unergründlichen Wegen gewirkt hat. Deswegen sagt Paulus, als
er später einige Jahre nach seiner Bekehrung an die Gemeinde in Korinth schreibt,
wie wir in dem ersten Lesungstext dieser Vesper gehört haben: „Doch durch Gottes Gnade
bin ich, was ich bin, und sein gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben.“
(1 Kor 15,10) Bei genauerer Betrachtung der Geschichte des heiligen Paulus sieht man
ein, dass die Verwandlung, die er in seiner Existenz erlebt hat, sich nicht auf die
ethische Ebene beschränkt – wie der Wechsel von der Immoralität zur Moralität -, noch
auf die intellektuelle Ebene – als ein Wechsel in der Weise, die Wirklichkeit zu verstehen
- , sondern es handelt sich um eine radikale Erneuerung des eigenes Seins, in vielerlei
Hinsicht ähnlich einer Wiedergeburt. Eine solche Verwandlung hat ihr Fundament in
der Teilnahme am Geheimnis des Todes und der Auferstehung Jesu Christi und erweist
sich als ein schrittweiser Weg der Angleichung an Ihn. Im Licht dieses Bewusstseins
wird Paulus sagen, als er später einmal die Legitimität seiner apostolischen Berufung
und des von ihm verkündigten Evangeliums verteidigen muss: „Nicht mehr ich lebe, sondern
Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im
Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ (Gal
2,20).
Die persönliche, gelebte Erfahrung des Heiligen Paulus erlaubt es ihm,
mit begründeter Hoffnung dieses Geheimnis der Verwandlung zu erwarten, das alle betreffen
wird, die an Jesus Christus geglaubt haben, sowie die Menschheit und die gesamte Schöpfung.
In der zweiten Kurzlesung, die heute Abend vorgetragen wurde, beschreibt der Heilige
Paulus, nach einer langen Argumentationskette, die der Stärkung der Hoffnung auf die
Auferstehung der Gläubigen dient, unter Verwendung der der traditionellen Bilder der
zeitgenössischen apokalyptischen Literatur, mit wenigen Worten den großen Tag des
Jüngsten Gerichts, in dem sich das Schicksal der Menschheit vollendet: „Plötzlich,
in einem Augenblick, beim letzten Posaunenschall… werden die Toten zur Unvergänglichkeit
auferweckt, wir aber werden verwandelt werden.“ (1 Kor 15,52) An jenem Tag werden
die Gläubigen Christus gleichgestaltet werden und alles Vergängliche wird verwandelt
in seine Herrlichkeit: „Denn dieses Vergängliche muss sich mit Unvergänglichkeit bekleiden
und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit.“ (v. 53) Dann wird der Triumph Christi
vollendet sein, weil, wie Paulus sagt und so aufzeigt, dass die alten Weissagungen
der Schrift sich erfüllen, der Tod endgültig besiegt sein wird und mit ihm die Sünde,
die den Tod in die Welt hat eintreten lassen und das Gesetz, das die Sünde erweist,
ohne die Kraft zu schenken, die Sünde zu besiegen: „Verschlungen ist der Tod vom Sieg.
Tod, wo ist dein Sieg? / Tod, wo ist dein Stachel? Der Stachel des Todes aber ist
die Sünde, die Kraft der Sünde ist das Gesetz.“ (Vv. 54-56) Der Heilige Paulus sagt
uns also, dass durch die Taufe auf den Tod und die Auferstehung Christi jeder Mensch
Teil hat am Sieg von Jenem, der als Erster den Tod besiegt hat und auf diese Weise
einen Weg der Verwandlung begonnen hat. Diese Verwandlung offenbart ich seitdem in
einer Neuheit des Lebens und sie wird ihre Fülle am Ende der Zeiten erreichen.
Es
ist sehr bezeichnend, dass der Abschnitt mit einer Danksagung schließt: „Gott aber
sei Dank, der uns den Sieg geschenkt hat durch Jesus Christus, unseren Herrn.“ (v.
57) Das Siegeslied über den Tod wandelt sich in ein Danklied an den Sieger. Auch wir
wollen mit der Feier des abendlichen Gotteslobes, unsere Seelen und unsere Herzen
erheben zu einem Dankhymnus für das, was die göttliche Gnade in dem Völkerapostel
gewirkt hat und durch den wunderbaren Heilsratschluss, den Gottvater in uns wirkt
durch den Herrn Jesus Christus. Wenn wir unser Gebet erheben, vertrauen wir darauf,
in das Bild Christi verwandelt und gleichgestaltet zu werden. Das ist ganz besonders
wahr, wenn wir für die Einheit der Christen beten. Wenn wir nämlich die Gabe der Einheit
für die Jünger Christi erflehen, machen wir uns die flehentliche Bitte zu eigen, die
Jesus selber am Vorabend seines Leidens und Sterbens betend an den Vater gerichtet
hat: „Auf dass alle eins seien“ (Joh 17.21). Daher ist das Gebet für die Einheit der
Christen nichts anderes als die Verwirklichung des göttlichen Plans für die Kirche,
und der tätige Einsatz für die Wiederherstellung der Einheit ist eine Pflicht und
für alle eine große Verantwortung.
Auch wenn wir in unseren Tagen die schmerzliche
Situation der Trennung wahrnehmen, können und müssen wir Christen hoffnungsvoll in
die Zukunft schauen, weil der Sieg Christi die Überwindung all dessen bedeutet, was
uns daran hindert, die Fülle des Lebens mit Ihm und mit den anderen zu teilen. Die
Auferstehung Jesu Christi bekräftigt, dass die Güte Gottes das Böse besiegt, und dass
die Liebe den Tod übersteigt, Er begleitet uns im Kampf gegen die zerstörerische Kraft
der Sünde, die die Menschheit und die gesamte Schöpfung schädigt. Die Gegenwart des
auferstandenen Christus fordert uns Christen alle auf, gemeinsam in der Sache des
Guten zu handeln. Vereint in Christus sind wir berufen, an seiner Sendung teilzuhaben,
dorthin Hoffnung zu bringen, wo Ungerechtigkeit, Hass und Verzweiflung herrschen.
Unsere Trennungen verdunkeln unser Zeugnis für Christus. Das Erreichen der vollen
Einheit, die wir in tätiger Hoffnung erwarten und für die wir voll Vertrauen beten,
ist nicht ein zweitrangiger Sieg, sondern wichtig für das Wohl der Menschheitsfamilie.
In
der heute vorherrschenden Kultur ist der Begriff „Sieg“ häufig mit der Vorstellung
von einem unmittelbaren Erfolg verbunden. In der christlichen Optik hingegen ist der
Sieg ein langer und, in den Augen der Menschen, nicht immer linearer Prozess der Verwandlung
und des Wachsens im Guten. Dies geschieht nach den Zeiten Gottes, und nicht der unseren,
und verlangt von uns tiefen Glauben und geduldige Ausdauer. Auch wenn das Reich Gottes
mit der Auferstehung endgültig die Geschichte unterbricht, so ist dieses Reich doch
noch nicht ganz verwirklicht. Der endgültige Sieg wird erst sein mit der zweiten Ankunft
des Herrn, den wir mit geduldiger Hoffnung erwarten. Auch unsere Erwartung der sichtbaren
Einheit der Kirche muss geduldig und vertrauensvoll sein. Nur in dieser Haltung finden
unser tägliches Gebet und der Einsatz für die Einheit der Christen ihren vollen Sinn.
Die Haltung eines geduldigen Erwartens bedeutet nicht Passivität oder Resignation,
sondern bereitwillige und aufmerksame Antwort auf jede Gelegenheit zur Gemeinschaft
und Brüderlichkeit, die der Herr uns schenkt.
In diesem geistlichen Klima
möchte ich gerne einige Anwesende besonders grüßen; an erster Stelle Kardinal Monterisi,
Erzpriester dieser Basilika, den Abt und die Kommunität der Benediktinermönche, bei
denen wir zu Gast sind. Ich grüße Kardinal Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur
Förderung der Einheit der Christen und alle Mitarbeiter dieses Dikasteriums. Ich grüße
herzlich und brüderlich Seine Eminenz Metropolit Gennadios, Repräsentant des Ökumenischen
Patriarchats und den H.H. Kanoniker Richardson, persönlicher Repräsentant des Erzbischofs
von Canterbury in Rom, und alle Repräsentanten der verschiedenen Kirchen und kirchlichen
Gemeinschaften, die heute hier zusammengekommen sind. Darüber hinaus ist es mir eine
besondere Freude, einige Mitglieder der Arbeitsgruppe von Vertretern verschiedener
Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften in Polen zu grüßen, die die Arbeitshilfe für
die Gebetswoche in diesem Jahr vorbereitet haben und denen ich meine Dankbarkeit ausdrücken
möchte und meinen Wunsch, dass sie auf dem Weg der Versöhnung und der Zusammenarbeit
weitergehen; sowie auch die Mitglieder des „Global Christian Forum“, die in diesen
Tagen in Rom sind und über die Erweiterung der ökumenischen Bewegung um neue Glieder
beraten. Ich grüße auch die Gruppe der Studenten des Ökumenischen Instituts des Ökumenischen
Weltrats der Kirche in Bossey.
Der Fürsprache des Heiligen Paulus möchte ich
all diejenigen anvertrauen, die mit ihrem Gebet und ihrem Engagement sich für das
Anliegen der Einheit der Christen einsetzen. Auch wenn es manchmal scheint, als sei
der Weg zur Wiederherstellung der vollen Einheit noch sehr weit und voll von Hindernissen,
lade ich alle dazu ein, ihren Entschluss zu erneuern, mutig und großherzig die Einheit
zu suchen, die der Wille Gottes ist, gemäß dem Beispiel des Heiligen Paulus, der in
Schwierigkeiten aller Art immer ein festes Vertrauen auf Gott bewahrt hat, der sein
Werk vollenden wird. Im Übrigen fehlt es auf diesem Weg nicht an positiven Zeichen
einer wiedergefundenen Brüderlichkeit und eines gemeinsamen Verantwortungssinns angesichts
der großen Schwierigkeiten, die unsere Welt plagen. All dies ist ein Grund zur Freude
und für große Hoffnung. Das muss uns dazu ermutigen, uns weiterhin dafür einzusetzen,
gemeinsam zum Ziel zu gelangen, in dem Wissen, dass unsere Mühen nicht vergeblich
sind im Herrn. (vgl. 1 Kor 15,58) Amen.”