2012-01-18 10:59:15

Ungarn: Verunsicherung in Verfassungsfragen


RealAudioMP3 Ungarns katholische Kirche hat bisher zurückhaltend auf die nationale und internationale Kritik an der neuen ungarischen Verfassung reagiert. In der Präambel des seit Januar in Kraft getretenen Grundgesetzes haben neben dem Gottesbezug auch Nationalstolz und das Bekenntnis zum Vaterland und zur (Stephans-)Krone einen festen Platz. Nachdem Ungarn mit einem neuen Mediengesetz bereits Ende 2010 den besorgten Blick der Europäischen Union auf sich zog, sind es aktuell Maßnahmen der Regierung in Justiz, Religionspolitik und Wirtschaft, die auch im eigenen Land hohe Wellen schlagen. Der Budapester Weihbischof Janos Szekely ist einer der wenigen katholischen Kirchenvertreter, die sich in der Debatte öffentlich zu Wort gemeldet haben. Er sieht hinter der Kritik primär Angriffe auf die katholischen Grundwerte, die in der Verfassung festgeschrieben sind:


„Die ungarische Regierung macht sich zur Stimme der Werte, die auch erste Wichtigkeit für die Kirche haben. In der Präambel der neuen ungarischen Verfassung steht der Gottesbezug direkt am Anfang. Weiter heißt es darin, dass das menschliche Leben von der Empfängnis an verteidigt werden muss und dass Ungarn die Institution der Familie schützt, die auf der Verbindung von Mann und Frau beruht. Die Konstitution präzisiert weiter, dass die Familie Grundlage für das Fortbestehen des Volkes ist und dass bei Bestimmung der Steuern auch die Kosten der Kindererziehung in Erwägung gezogen werden müssen. Es ist klar, dass vielen europäischen Intellektuellen die Bestätigung solcher Grundwerte nicht gefällt, und diese sie im Gegenteil zum Angriff stimulieren.“


Dass zunehmend auch ungarische Bürger und Gläubige durch das Maßnahmenpaket der Regierung, in dem auch ein neues Religionsgesetz enthalten ist, verunsichert sind, ließe sich freilich ebenfalls nicht leugnen, meint dagegen der ungarische Theologe und Religionswissenschaftler Andras Mate-Toth. Er sagte im Interview mit Radio Vatikan:


„In der jetzigen Kritik hört man weniger darüber, dass die durch das Christentum geteilten Grundwerte kritisiert werden, sondern man kritisiert eher den nicht-demokratischen Leitungsstil der Regierung und auch die Unprofessionalität bei der Vorbereitung der Gesetze – das ist der Grundton der Kritik; sie ist nicht unbedingt ideologischer Art – obwohl natürlich so untermauert.“


Mate-Toth nimmt die aktuelle Debatte im eigenen Land differenziert wahr: Die Grundsäulen der Demokratie sieht er durch die neue Verfassung nicht wirklich gefährdet; im Zweifelsfall werde das ungarische Verfassungsgericht tätig werden, zeigt er sich im Interview mit Radio Vatikan zuversichtlich. Insofern trägt für ihn die harsche Kritik an der Regierung Orban tatsächlich Züge einer etwas „einseitigen Medienkampagne“:


„Die wichtigsten Kritikpunkte sind, dass die Unabhängigkeit des Finanzwesens und der Justiz nach der neuen Verfassung nicht mehr gewährleistet wären. Es ist möglich, dass man eine bessere Formulierung bei der Verfassung hätte wählen können, aber mir scheint es eher, dass die Opposition und viele Verbündete im Ausland ein bisschen zu einseitig eingeheizt worden sind gegen die heutige Regierung, inhaltlich und was den politischen Stil dieser Bewegung bedeutet. Daher kommt diese etwas übertriebene Kritik bezüglich der Verfassung.“


Inwiefern ist aber der Leitungsstil der Regierung Orban „nicht-demokratisch“ und „unprofessionell“, ein Stil, der nach Ansicht von Mate-Toth, zusammen mit ungenauer Medienberichterstattung, auch zu Vertrauensverlust in der eigenen Bevölkerung führt?


„Das Grundproblem ist die Zentralisierung, dass praktisch die Regierung nicht nur bezüglich der Medien, sondern auch des Schulwesens und des Gesundheitswesens versucht, alles in die eigenen Hände zu nehmen. Vielleicht darum, weil sie denkt, dass das Vertrauen in unabhängige Institutionen nicht mehr begründet ist und daher die Regierung selbst handeln muss.“


Leider aber oft sehr unüberlegt, so Mate-Toth – bestes Beispiel dafür sei das neue Mediengesetz gewesen, das nach nationaler und internationaler Kritik inzwischen in einer modifizierten Version in Ungarn Gültigkeit hat.


(rv 16.01.2012 pr)







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