2012-01-14 09:48:25

Unser Buchtipp: Wer war Jesus von Nazareth?


Gerhard Lohfink: Jesus von Nazareth. Was er wollte - wer er war.
Ludger Schenke u.a.: Jesus von Nazareth – Spuren und Konturen.
Volker Spangenberg, André Heinze (Hrsg.): Der historische Jesus im Spannungsfeld von Glaube und Geschichte.
Von Stefan von Kempis

„Dein Angesicht, Herr, will ich suchen“ (Ps 27,8): Die Suche nach dem Gott, der sich in Jesus ein Gesicht gegeben und anfaßbar gemacht hat, ist eine lebenslange. Kein Papst - auch kein Benedikt XVI., der mit seinen Jesusbüchern Zeugnis von seiner eigenen Suche ablegt - kann den „normalen“ Gläubigen von dieser persönlichen Suche dispensieren. Sie kann spannend sein, diese Suche, aber manchmal auch quälend; die Leitfrage heißt: Wer war Jesus – bzw. wer ist er?

Genau das ist der Ausgangspunkt von Gerhard Lohfinks Jesusbuch – eine Art Summa dieses bekannten deutschen Theologen. Um es gleich zu sagen: Dieses Buch reiht sich gleichberechtigt ein in eine ganze Reihe herausragender Jesusbücher, die in den letzten Jahren erschienen sind, und besticht vor allem durch Systematik und Verständlichkeit. Lohfink legt von Anfang an die Argumente auf den Tisch, warum er stärker als viele andere auf die Glaubwürdigkeit der vier kanonischen Evangelien setzt: Sie haben aus seiner Sicht genauso montiert, gedeutet, ausgewählt, wie es auch ein moderner Dokumentarfilmer mit dem Jesus-Stoff tun würde. Lohfink fragt mutig (auch wenn er diesen Begriff denn doch nicht zu einer eigenen Kapitelüberschrift machen will) nach dem Selbstbewußtsein Jesu.

Sein Schlüssel zur Figur des Nazareners ist die endzeitliche Sammlung Israels, die Jesus u.a. unter dem Eindruck des Völkerwallfahrt-Szenarios aus dem Buch Jesaja durchführen will. Jesu Botschaft heißt: „Gott tritt seine Herrschaft an“; diese Herrschaft gilt zunächst Israel (darum die Wahl der Zwölf als Repräsentanten der zwölf Stämme Israels), durch Israel aber allen Völkern. So drängend ist die Naherwartung, dass Jesus radikal zur Entscheidung aufruft: Die Stunde ist da, und zwar jetzt, es ist keine Zeit mehr zum Zurückschauen. Durchaus überraschend, aber überzeugend ausgeführt ist Lohfinks Deutung der Auferstehung Jesu: Für die Jünger sind die Erscheinungen des Auferstandenen das Zeichen, dass jetzt die unmittelbare Endzeit angebrochen ist. Darum stellen sie u.a. durch die Nachwahl des Matthias den Zwölferkreis in aller Eile wieder her. Umfassend, sehr lesbar und glaubwürdig – ein großes Jesusbuch.

Anders als Lohfink, sozusagen zögernder, geht der Sammelband von Ludger Schenke u.a. namens „Jesus von Nazareth – Spuren und Konturen“ das Thema an. Weil die Akzeptanz des kirchlichen Jesusbildes in der Gesellschaft abnimmt, versuchen die (offenbar allesamt katholischen) Autoren das historische Wissen über Jesus zusammenzutragen: Was ist Konsens der Forschung über Jesus und seine Botschaft, inwiefern läßt sich das noch rekonstruieren? Schenke ist klar, dass das nicht „das letzte Wort über Jesus“ sein kann, weil Historie „nur beschreiben“ darf, eine „deutende Sprache“, die auch „vergegenwärtigt“, ihr aber verboten bleibt. Als Gewinn des historisch-kritischen Zugriffs auf Jesus winkt aus seiner Sicht immerhin „die Möglichkeit, ... in die Position der Hörer des irdischen Jesus hinüber zu wechseln“. Wer sich darum bemüht, muss sich allerdings zunächst einmal durch einen detaillierten Abriß zur Methode des historischen Fragens nach Jesus kämpfen, durch ein Galiläa-Porträt und eine Übersicht über jüdische Religionsparteien zur Zeit Jesu. Alles ausgesprochen informativ, gewiß, aber man vermißt doch das direkte Eintreten in die Evangelien, wie es Lohfink vollführt; dem Leser wird im Schenke-Band schnell deutlich, welch hartes Brot es ist, gesicherte historische Erkenntnisse über den Mann aus Nazareth zu gewinnen. Alle Aufsätze bieten dabei einen faszinierten Überblick über den Stand der Forschung, mit vielen Belegen, einige mit einer sehr hilfreichen Zusammenfassung am Schluß. Die Schlußkapitel über feministische Theologie und Religionsunterricht scheinen auf den ersten Blick den Rahmen der Suche nach dem historischen Jesus zu sprengen, geben aber immerhin eine Vorstellung davon, was alles zur Suche nach Jesus heute dazugehören kann.

„Im Spannungsfeld von Glaube und Geschichte“ zeichnet auch ein neuerer evangelischer Sammelband, herausgegeben von Volker Spangenberg und André Heinze, den historischen Jesus ein. Auch hier gilt es zunächst einmal, harten methodologischen Tobak durchzukauen; immerhin fragt das Buch mehrfach sehr drängend nach den Implikationen, die die historische Jesusforschung für Glaube und Lehre der Kirche(n) hat. Es beschäftigt sich (unter dem bezeichnenden Titel „Zwischen Phantasie und Fälschung“) mit modernen Jesusbildern, aber auch mit dem Jesus, wie ihn das Judentum oder (sehr erhellend: J. Schröter) die apokryphen Texte zum Neuen Testament sehen. Das Interessante und ziemlich Einmalige an dem auf einer Tagung basierenden Buch ist, dass es nicht nur die – überarbeiteten – Vorträge der Tagung abdruckt, sondern auch die Antwort, die jedesmal nach einem Vortrag offenbar spontan einer der Anwesenden gab. Das erlaubt uns einen tiefen Einblick in die Jesusforschung sozusagen als work in progress. Geradezu anrührend ist das Ringen darum, den Jesus, an den wir glauben, nicht „zu verlieren“ (R. Gebauer), und das Eingeständnis, dass historische Jesusforschung „theologisch zutiefst defizitär“ sein kann und „die Exegese zu einer Teildisziplin der Religionswissenschaft“ zu werden droht, wenn sie die „Identität des Irdischen und Erhöhten“ aus dem Blick verliert (ebd.).

Gerhard Lohfink: Jesus von Nazareth. Was er wollte – wer er war. Herder Verlag Freiburg, ca. 30 Euro
Ludger Schenke u.a.: Jesus von Nazareth – Spuren und Konturen. Kohlhammer Verlag Stuttgart, ca. 22 Euro
Volker Spangenberg, André Heinze (Hrsg.): Der historische Jesus im Spannungsfeld von Glaube und Geschichte. Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, ca. 28 Euro

(rv 14.01.2012 sk)







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