Gerhard Lohfink: Jesus von Nazareth. Was er wollte - wer er war. Ludger Schenke
u.a.: Jesus von Nazareth – Spuren und Konturen. Volker Spangenberg, André Heinze
(Hrsg.): Der historische Jesus im Spannungsfeld von Glaube und Geschichte. Von
Stefan von Kempis
„Dein Angesicht, Herr, will ich suchen“ (Ps 27,8): Die Suche
nach dem Gott, der sich in Jesus ein Gesicht gegeben und anfaßbar gemacht hat, ist
eine lebenslange. Kein Papst - auch kein Benedikt XVI., der mit seinen Jesusbüchern
Zeugnis von seiner eigenen Suche ablegt - kann den „normalen“ Gläubigen von dieser
persönlichen Suche dispensieren. Sie kann spannend sein, diese Suche, aber manchmal
auch quälend; die Leitfrage heißt: Wer war Jesus – bzw. wer ist er?
Genau
das ist der Ausgangspunkt von Gerhard Lohfinks Jesusbuch – eine Art Summa dieses bekannten
deutschen Theologen. Um es gleich zu sagen: Dieses Buch reiht sich gleichberechtigt
ein in eine ganze Reihe herausragender Jesusbücher, die in den letzten Jahren erschienen
sind, und besticht vor allem durch Systematik und Verständlichkeit. Lohfink legt von
Anfang an die Argumente auf den Tisch, warum er stärker als viele andere auf die Glaubwürdigkeit
der vier kanonischen Evangelien setzt: Sie haben aus seiner Sicht genauso montiert,
gedeutet, ausgewählt, wie es auch ein moderner Dokumentarfilmer mit dem Jesus-Stoff
tun würde. Lohfink fragt mutig (auch wenn er diesen Begriff denn doch nicht zu einer
eigenen Kapitelüberschrift machen will) nach dem Selbstbewußtsein Jesu.
Sein
Schlüssel zur Figur des Nazareners ist die endzeitliche Sammlung Israels, die Jesus
u.a. unter dem Eindruck des Völkerwallfahrt-Szenarios aus dem Buch Jesaja durchführen
will. Jesu Botschaft heißt: „Gott tritt seine Herrschaft an“; diese Herrschaft gilt
zunächst Israel (darum die Wahl der Zwölf als Repräsentanten der zwölf Stämme Israels),
durch Israel aber allen Völkern. So drängend ist die Naherwartung, dass Jesus radikal
zur Entscheidung aufruft: Die Stunde ist da, und zwar jetzt, es ist keine Zeit mehr
zum Zurückschauen. Durchaus überraschend, aber überzeugend ausgeführt ist Lohfinks
Deutung der Auferstehung Jesu: Für die Jünger sind die Erscheinungen des Auferstandenen
das Zeichen, dass jetzt die unmittelbare Endzeit angebrochen ist. Darum stellen sie
u.a. durch die Nachwahl des Matthias den Zwölferkreis in aller Eile wieder her. Umfassend,
sehr lesbar und glaubwürdig – ein großes Jesusbuch.
Anders als Lohfink, sozusagen
zögernder, geht der Sammelband von Ludger Schenke u.a. namens „Jesus von Nazareth
– Spuren und Konturen“ das Thema an. Weil die Akzeptanz des kirchlichen Jesusbildes
in der Gesellschaft abnimmt, versuchen die (offenbar allesamt katholischen) Autoren
das historische Wissen über Jesus zusammenzutragen: Was ist Konsens der Forschung
über Jesus und seine Botschaft, inwiefern läßt sich das noch rekonstruieren? Schenke
ist klar, dass das nicht „das letzte Wort über Jesus“ sein kann, weil Historie „nur
beschreiben“ darf, eine „deutende Sprache“, die auch „vergegenwärtigt“, ihr aber verboten
bleibt. Als Gewinn des historisch-kritischen Zugriffs auf Jesus winkt aus seiner Sicht
immerhin „die Möglichkeit, ... in die Position der Hörer des irdischen Jesus hinüber
zu wechseln“. Wer sich darum bemüht, muss sich allerdings zunächst einmal durch einen
detaillierten Abriß zur Methode des historischen Fragens nach Jesus kämpfen, durch
ein Galiläa-Porträt und eine Übersicht über jüdische Religionsparteien zur Zeit Jesu.
Alles ausgesprochen informativ, gewiß, aber man vermißt doch das direkte Eintreten
in die Evangelien, wie es Lohfink vollführt; dem Leser wird im Schenke-Band schnell
deutlich, welch hartes Brot es ist, gesicherte historische Erkenntnisse über den Mann
aus Nazareth zu gewinnen. Alle Aufsätze bieten dabei einen faszinierten Überblick
über den Stand der Forschung, mit vielen Belegen, einige mit einer sehr hilfreichen
Zusammenfassung am Schluß. Die Schlußkapitel über feministische Theologie und Religionsunterricht
scheinen auf den ersten Blick den Rahmen der Suche nach dem historischen Jesus zu
sprengen, geben aber immerhin eine Vorstellung davon, was alles zur Suche nach Jesus
heute dazugehören kann.
„Im Spannungsfeld von Glaube und Geschichte“ zeichnet
auch ein neuerer evangelischer Sammelband, herausgegeben von Volker Spangenberg und
André Heinze, den historischen Jesus ein. Auch hier gilt es zunächst einmal, harten
methodologischen Tobak durchzukauen; immerhin fragt das Buch mehrfach sehr drängend
nach den Implikationen, die die historische Jesusforschung für Glaube und Lehre der
Kirche(n) hat. Es beschäftigt sich (unter dem bezeichnenden Titel „Zwischen Phantasie
und Fälschung“) mit modernen Jesusbildern, aber auch mit dem Jesus, wie ihn das Judentum
oder (sehr erhellend: J. Schröter) die apokryphen Texte zum Neuen Testament sehen.
Das Interessante und ziemlich Einmalige an dem auf einer Tagung basierenden Buch ist,
dass es nicht nur die – überarbeiteten – Vorträge der Tagung abdruckt, sondern auch
die Antwort, die jedesmal nach einem Vortrag offenbar spontan einer der Anwesenden
gab. Das erlaubt uns einen tiefen Einblick in die Jesusforschung sozusagen als work
in progress. Geradezu anrührend ist das Ringen darum, den Jesus, an den wir glauben,
nicht „zu verlieren“ (R. Gebauer), und das Eingeständnis, dass historische Jesusforschung
„theologisch zutiefst defizitär“ sein kann und „die Exegese zu einer Teildisziplin
der Religionswissenschaft“ zu werden droht, wenn sie die „Identität des Irdischen
und Erhöhten“ aus dem Blick verliert (ebd.).
Gerhard Lohfink: Jesus von Nazareth.
Was er wollte – wer er war. Herder Verlag Freiburg, ca. 30 Euro Ludger Schenke
u.a.: Jesus von Nazareth – Spuren und Konturen. Kohlhammer Verlag Stuttgart, ca. 22
Euro Volker Spangenberg, André Heinze (Hrsg.): Der historische Jesus im Spannungsfeld
von Glaube und Geschichte. Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, ca. 28 Euro