Missbrauch in Belgien: Kirche will auch bei verjährten Fällen handeln
Belgiens katholische
Bischöfe haben am Donnerstag für Fälle von sexuellem Missbrauch durch Kirchenmitarbeiter
um Entschuldigung gebeten. Die Kirche übernehme die moralische Verantwortung und wolle
alles ihr mögliche tun, solche Taten künftig zu verhindern, erklärten die Geistlichen.
Zugleich stellten sie in einem Bericht, der den Titel „Verstecktes Leiden“ trägt,
ihren weiteren Umgang mit den Opfern und deren Forderungen vor. Im Mittelpunkt aller
Maßnahmen stünden die Opfer, erklärt den Vorstoß der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz,
Bischof Guy Harpigny von Tournai, im Interview mit Radio Vatikan:
„Es handelt
sich hier um einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem erstes Ziel ist, den Opfern zuzuhören,
das Schweigen zu brechen und klar und öffentlich die Wahrheit zu sagen und die Fakten
zu benennen. Dann geht es darum, den Opfern Möglichkeit zu geben, sich zu erklären,
Antworten zu erhalten und Anerkennung zu erfahren. Weiter ist vorgesehen, bei bestätigten
Fällen und für Menschen, die Entschädigungen fordern, entsprechende Vermittlungsinstanzen
anzugeben.“
Im Klartext heißt das, dass die Opfer je nach Schwere des Falles
zwischen 2.500 Euro und 25.000 Euro Schmerzensgeld bekommen können; bis Ende Oktober
2012 haben sie Zeit, die Ansprüche anzumelden. Und was ist mit verjährten Fällen,
die nicht mehr gerichtlich verfolgt werden können? Solchen Täter will die belgische
Kirche, wenn es schon die Justiz nicht mehr tut, „Strafen“ auferlegen. Zum Beispiel
in Form persönlicher Entschädigungszahlungen der Täter, heißt es in dem 52-seitigen
Dokument weiter. Auch wolle die Kirche sicherstellen, dass die Täter keine höheren
Positionen und keine Ämter mit Kontakt zur Außenwelt mehr bekleiden, so Bischof Harpigny:
„In
diesem Augenblick wollten wir Gerechtigkeit herstellen, zuhören und heilen. Ich denke,
dass sich die Christenheit in der Zukunft für Prävention einsetzen muss, damit sich
so etwas nicht wiederholt. Man muss gemeinsam mit den Opferns sehen, ob man in diesem
Bereich noch mehr tun kann.“
Nach diesen ersten „Notpflastern“ will die
belgische Kirche aber noch viel mehr tun, versichert der Bischof im Gespräch mit Radio
Vatikan weiter – wenn er auch weiß, dass die spirituelle Heilung eigentlich viel schwieriger
zu bewältigen ist als die obligatorischen rechtlich-finanziellen Maßnahmen:
„Es
ist ein Schritt, aber es ist nicht der letzte: Wir haben versucht, auf die Erwartungen
der Opfer und der öffentlichen Meinung zu antworten. Wir glauben aber, dass es noch
sehr, sehr viel zu tun gibt. Es geht um Hilfestellung für die Opfer, aber es geht
auch um einen spirituellen Weg und um die Frage, wie man ausgehend vom Glauben in
solch schwierigen und schrecklichen Situationen gemeinsam Fortschritte machen kann.
Damit wollen wir den Opfern, die ihren Glauben nicht verloren haben, zeigen, dass
sie im Evangelium Kraft finden können, um dieser Situation zu begegnen. Doch diesen
Schritt haben wir noch nicht getan.“
In dem Dokument „Verstecktes Leiden“
erklären die belgischen Bischöfe auch ihr anfängliches Schweigen nach Bekanntwerden
zahlreicher Fälle im Jahr 2010: Dieses habe „nichts mit Gleichgültigkeit zu tun gehabt
oder mit dem Willen zur Vertuschung“, heißt es in dem Schreiben. Vielmehr habe das
Schweigen „unsere Sprachlosigkeit“ offenbart, heißt es weiter, „wir haben unsere Köpfe
gebeugt und uns gefragt, wie all das passieren konnte“.
Hintergrund
In
den vergangenen zwei Jahren hatten sich in Belgien mehr als 700 Zeugen für sexuelle
Belästigung oder Missbrauch durch Geistliche oder Kirchenmitarbeiter in den vergangenen
Jahrzehnten gemeldet. Ein Großteil der Fälle liegt Jahrzehnte zurück und ist juristisch
verjährt. In Belgien wird seit fast zwei Jahren über Konsequenzen aus Kindesmissbrauch
durch Geistliche debattiert. Auslöser war der Rücktritt von Bischof Roger Vangheluwe
von Brügge im April 2010, der gestehen musste, einen Neffen jahrelang sexuell missbraucht
zu haben. In einer mittlerweile gerichtlich als illegal eingestuften Razzia stürmten
Ermittlungsbeamte eine Sitzung der Belgischen Bischofskonferenz sowie die kirchliche
Missbrauchskommission und beschlagnahmten an beiden Orten Akten und Computer.