Eminenz im Netz: Kardinal
Gianfranco Ravasi, der Präsident des Päpstlichen Kulturrates, ist nicht nur der erste
Kurienverantwortliche, der einen Blog betreibt – streng genommen sogar zwei; seit
einiger Zeit verbreitet Kardinal Ravasi auch Kurznachrichten per Twitter.
„Meine
Twitter bieten Sinnsprüche aus der Bibel, aber auch Reflexionen, die durchaus auch
einmal säkular sein können. Sie gehen also auch an Nichtglaubende.“
Der
renommierte Exeget zitiert da also nicht nur Jesaja und Matthäus, sondern auch Nietzsche
und Dostojewski, Hermann Hesse, Konrad Adenauer oder den Popstar John Lennon mit der
Bemerkung: „Das Leben spielt sich vor unseren Augen ab, aber leider schauen wir oft
anderswo hin, ins Leere“. Einen Autor namens „Küng“, es bleibt unklar ob Hans, Klaus
oder ein anderer, kommt mit folgender Beobachtung vor: „Die Liebe Gottes schützt mich
nicht vor jedem Leid, aber sie schützt mich in jedem Leid, in der Erwartung
des schlussendlichen Sieges der Liebe“. Und den österreichischen Satiriker Karl Kraus
twittert der Kardinal mit folgendem Bonmot: „Der Teufel ist ein Optimist, wenn er
glaubt, dass er die Menschen schlechter machen kann."
Botschaften in 140 Zeichen:
Warum tut sich der Kardinal, einer der brillantesten Köpfe der Kurie, das Diktat dieser
extremen Verkürzung an? Wir haben es in der heutigen Kommunikation mit zwei Extremen
zu tun, antwortet Ravasi.
„Auf der einen Seite steht eine Kultur, die von
einer extremen Geschwindigkeit in der Kommunikation lebt. Sie sucht die Essenz, das
Jetzt-Gleich und eine Klarheit, die alles herunterbricht auf das nackte Gerüst. Nicht
zufällig spricht man heute vom Tod des Nebensatzes. Das sprachliche Räsonnieren, das
seine Argumente von Stufe zu Stufe aufbaut, das wird immer mehr ausgelöscht von diesen
Gerüst-Sätzen. Das andere Extrem ist die Rede, die Vertiefung, Argumente und Nachweise
will. Nun, ich halte es für nötig, dass beide Seiten beachtet werden. Wir sollten
immer daran denken, dass gerade im Religiösen eine essentielle, blitzartige Kommunikation
nicht ausreicht. Und andererseits ist es nicht damit getan, alles auf die traditionelle
Predigt zu reduzieren, auf die tiefgründige katechetische Unterweisung oder auf die
theologische Reflexion. Verkürzung und Vertiefung: Beide Wege sind nötig.“
Mehr
als 7.500 Leute verfolgen mittlerweile das eminente „Gezwitscher“ – nichts anderes
heißt ja „Twitter“. Den Kardinal erreichen kritische bis provokante Anfragen seiner
Follower, in der Erwartung einer Antwort, die Ravasi aus Zeitgründen vorerst nicht
geben kann. Aber manche von ihnen verarbeitet er in seinen beiden Blogs und in seiner
Fernseh-Sendung bei der Rai, einem Programm von 19 Minuten.
„Man muss sich
in einer großen Bandbreite der Kommunikation zu bewegen wissen, in verschiedenen Atmosphären
und Tonhöhen; denn wir leben in einer pluralen Welt, in der nicht alles auf einem
Ton, auf einer Stimme liegt, so wie das früher der Fall war, als Informationen gedruckt
waren oder im Fernsehen kamen. Internet hat eine Vielfalt gebracht, die wir nicht
ignorieren können. Linguisten haben das als eine echte neue Atmosphäre der Kommunikation
beschrieben. Und wer sich ihr entziehen will, wird entweder trotzdem miteinbezogen
oder überholt.“
In der virtuellen Welt des Internet verflechten sich Informationen
und Meinungen. Das ist nicht bloß eine Eigenheit, sondern sogar eine Stärke des World
Wide Web, denkt der Kardinal. Ihn freut es, dass seine Twitter-Einträge von vielen
anderen Nutzern verlinkt und verbreitet werden – dazu sind sie da.
„Selbst
der heilige Paulus empfahl, in allen Lebensrealitäten präsent zu sein, alles zu wählen,
was an Gutem vorhanden ist. Klarerweise gibt es im Internet viele extrem negative
Inhalte, denken wir an Pornografie und alle möglichen Formen von Gewalt. Negatives
sehe ich auch an manchen Reaktionen auf meine Einträge. Aber es gibt auch diesen tiefen
Wunsch, den letzten Grund des Daseins zu verstehen. Es geht darum, über das Beobachtbare,
über die vorletzten Dinge hinauszugehen, die normalerweise im Netz gesucht und gefunden
werden. Es blühen dort eben auch Fragen nach den letzten Dingen auf, nach Leben und
Tod, Gute und Böse, Gerechtigkeit, Wahrheit, Liebe, Schmerz.“