2012-01-12 13:12:23

Warum Kardinal Ravasi twittert


RealAudioMP3 Eminenz im Netz: Kardinal Gianfranco Ravasi, der Präsident des Päpstlichen Kulturrates, ist nicht nur der erste Kurienverantwortliche, der einen Blog betreibt – streng genommen sogar zwei; seit einiger Zeit verbreitet Kardinal Ravasi auch Kurznachrichten per Twitter.

„Meine Twitter bieten Sinnsprüche aus der Bibel, aber auch Reflexionen, die durchaus auch einmal säkular sein können. Sie gehen also auch an Nichtglaubende.“

Der renommierte Exeget zitiert da also nicht nur Jesaja und Matthäus, sondern auch Nietzsche und Dostojewski, Hermann Hesse, Konrad Adenauer oder den Popstar John Lennon mit der Bemerkung: „Das Leben spielt sich vor unseren Augen ab, aber leider schauen wir oft anderswo hin, ins Leere“. Einen Autor namens „Küng“, es bleibt unklar ob Hans, Klaus oder ein anderer, kommt mit folgender Beobachtung vor: „Die Liebe Gottes schützt mich nicht vor jedem Leid, aber sie schützt mich in jedem Leid, in der Erwartung des schlussendlichen Sieges der Liebe“. Und den österreichischen Satiriker Karl Kraus twittert der Kardinal mit folgendem Bonmot: „Der Teufel ist ein Optimist, wenn er glaubt, dass er die Menschen schlechter machen kann."

Botschaften in 140 Zeichen: Warum tut sich der Kardinal, einer der brillantesten Köpfe der Kurie, das Diktat dieser extremen Verkürzung an? Wir haben es in der heutigen Kommunikation mit zwei Extremen zu tun, antwortet Ravasi.

„Auf der einen Seite steht eine Kultur, die von einer extremen Geschwindigkeit in der Kommunikation lebt. Sie sucht die Essenz, das Jetzt-Gleich und eine Klarheit, die alles herunterbricht auf das nackte Gerüst. Nicht zufällig spricht man heute vom Tod des Nebensatzes. Das sprachliche Räsonnieren, das seine Argumente von Stufe zu Stufe aufbaut, das wird immer mehr ausgelöscht von diesen Gerüst-Sätzen. Das andere Extrem ist die Rede, die Vertiefung, Argumente und Nachweise will. Nun, ich halte es für nötig, dass beide Seiten beachtet werden. Wir sollten immer daran denken, dass gerade im Religiösen eine essentielle, blitzartige Kommunikation nicht ausreicht. Und andererseits ist es nicht damit getan, alles auf die traditionelle Predigt zu reduzieren, auf die tiefgründige katechetische Unterweisung oder auf die theologische Reflexion. Verkürzung und Vertiefung: Beide Wege sind nötig.“

Mehr als 7.500 Leute verfolgen mittlerweile das eminente „Gezwitscher“ – nichts anderes heißt ja „Twitter“. Den Kardinal erreichen kritische bis provokante Anfragen seiner Follower, in der Erwartung einer Antwort, die Ravasi aus Zeitgründen vorerst nicht geben kann. Aber manche von ihnen verarbeitet er in seinen beiden Blogs und in seiner Fernseh-Sendung bei der Rai, einem Programm von 19 Minuten.

„Man muss sich in einer großen Bandbreite der Kommunikation zu bewegen wissen, in verschiedenen Atmosphären und Tonhöhen; denn wir leben in einer pluralen Welt, in der nicht alles auf einem Ton, auf einer Stimme liegt, so wie das früher der Fall war, als Informationen gedruckt waren oder im Fernsehen kamen. Internet hat eine Vielfalt gebracht, die wir nicht ignorieren können. Linguisten haben das als eine echte neue Atmosphäre der Kommunikation beschrieben. Und wer sich ihr entziehen will, wird entweder trotzdem miteinbezogen oder überholt.“

In der virtuellen Welt des Internet verflechten sich Informationen und Meinungen. Das ist nicht bloß eine Eigenheit, sondern sogar eine Stärke des World Wide Web, denkt der Kardinal. Ihn freut es, dass seine Twitter-Einträge von vielen anderen Nutzern verlinkt und verbreitet werden – dazu sind sie da.

„Selbst der heilige Paulus empfahl, in allen Lebensrealitäten präsent zu sein, alles zu wählen, was an Gutem vorhanden ist. Klarerweise gibt es im Internet viele extrem negative Inhalte, denken wir an Pornografie und alle möglichen Formen von Gewalt. Negatives sehe ich auch an manchen Reaktionen auf meine Einträge. Aber es gibt auch diesen tiefen Wunsch, den letzten Grund des Daseins zu verstehen. Es geht darum, über das Beobachtbare, über die vorletzten Dinge hinauszugehen, die normalerweise im Netz gesucht und gefunden werden. Es blühen dort eben auch Fragen nach den letzten Dingen auf, nach Leben und Tod, Gute und Böse, Gerechtigkeit, Wahrheit, Liebe, Schmerz.“

Und da will Kardinal Ravasi nicht stumm bleiben.

(rv 12.01.2012 gs)








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