Prälat Ike aus Nigeria: Vorschläge für mehr Stabilität im Land
Nach der Anschlagsserie
auf Christen in Nigeria hatten Kirchenvertreter an die Regierung appelliert, mehr
für die Sicherheit im Land zu tun. Der Leiter des Katholischen Institutes für Entwicklung,
Gerechtigkeit und Frieden in Nigeria (CIDJAP), Prälat Obiore Ike, schlägt als Teil
einer politischen Lösung einen ausgewogeneren Einfluss der verschiedenen Volksgruppen
in der Landesführung vor. Ike sagte im Interview mit unserem Partnerradio Radio Horeb:
„Wir
fürchten keinen Bürgerkrieg, aber wir denken, dass die Verfassung des Landes ein wenig
umgeändert werden muss, in die Richtung, dass wir zu einer tatsächlich funktionierenden
Föderation werden, in der die jeweiligen Volksgruppen in sechs Teilen innerhalb des
einen Landes regieren.“
Präsident Goodluck Jonathan müsse aus dem Ernst
der Lage spürbare Konsequenzen ziehen, gibt Ike anderen besorgten Kirchenvertretern
in seinem Heimatland recht. Nach Vorstellung des Prälaten gehört dazu erstens die
Sorge um die Sicherheit religiöser Minderheiten wie der Christen:
„Wir erwarten
von der Landesregierung mehr Sicherheit für das Volk. Nigeria wird mehr und mehr zum
Schauplatz internationaler Sorge. In den letzten Monaten werden Christen systematisch
bedroht, in mehreren Bundesländern Nigerias wurden Christen umgebracht, in Adamaba,
in Yobe, in Bautschi, in Kano, in Damaturu, in Maidugri, in Gombe und eben im Norden.
Jeden Tag gibt es neue Meldungen von Menschen, die erzählen, was ihnen geschehen ist.“
Auch
die Vereinten Nationen sehen das Wüten der islamistischen Sekte „Boko Haram“ inzwischen
mit zunehmender Sorge. Die Anschläge auf Christen könnten als „Verbrechen gegen die
Menschlichkeit“ eingestuft werden, wenn sich herausstellen sollte, „dass es sich um
systematische und allgemeine Angriffe auf die Zivilbevölkerung handelt“, heißt es
in einer Erklärung der UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte von diesem Donnerstag.
Das gelte auch, wenn die Angriffe der Sekte auf Zivilisten „auf der Basis der Religion
oder der ethnischen Zugehörigkeit“ stattfänden, so Navi Pillay.
Neben der mangelhaften
Sorge um die Sicherheit im Land kritisiert Prälat Ike zweitens die jüngsten wirtschaftlichen
Manöver der Regierung: Nach Aufhebung der Subventionen für Benzinpreise seit Jahresbeginn
stieg der Benzinpreis auf mehr als das Doppelte. Die Folge waren Streiks – denn viele
der armen Nigerianer sehen in dem billigen Benzinpreis ihren einzigen Anteil am Gewinn
der Regierung durch den Erdölexport. Damit habe der Präsident selbst die eigenen Anhänger
gegen sich aufgebracht:
„...was dazu geführt hat, dass seine Sympatisanten
jetzt auch noch gegen die Regierung sind. Es gibt Streiks im Lande, die Leute arbeiten
nicht, der Flugverkehr liegt lahm. Die Kirche ist gegen eine solche Verteuerung der
Lebensmittel und des Benzins, denn die Leute sind hier ja überwiegend arm. Wenn man
jetzt noch zusätzlich so etwas macht und Armut verbreitet, dann verbreitet man Unsicherheit
auf anderer Ebene. Das Volk denkt: Das kann man auch anders machen.“
Als
eine seiner ersten Amtshandlungen hatte Goodluck Jonathan im März 2010 – da war er
gerade einen Monat lang als Übergangspräsident im Amt – das Kabinett aufgelöst und
damit möglichen politischen Gegenwind von vornherein minimiert. Jonathan stammt aus
Südnigeria, ist Christ, und hatte bei Amtsantritt mit Widerständen aus der muslimisch
geprägten Führungsliga Nordnigerias zu kämpfen. Der Prsäsident fühle die eigene Macht
durch Boko Haram unterwandert, berichtet Ike:
„Unser Präsident hat vor wenigen
Tagen in einer Ansprache betont, dass Fanatiker und Sympatisanten von Boko Haram auch
seine eigene Regierung infiltriert hätten, sie sitzen in der Armee, in der Polizei
usw. Man weiß nicht mehr: Wer ist der Feind und wer arbeitet mit der Regierung zusammen?“
Auf
Boko Harams Konto gehen allein im vergangenen Jahr mehr als 500 Morde. Nach Ikes Ansicht
hat der arabische Frühling in Nordafrika dazu beigetragen, dass sich einige Muslime
in Nigeria islamisierten. Der Prälat sieht die neue Anschlagsserie der Terrorsekte
Boko Haram in diesem Zusammenhang: als Reaktion auf die vom Westen gestützten Demokratiebewegungen
in Ländern mit muslimischer Mehrheit. In Nigeria gebe es von muslimischer Seite allerdings
auch klare Solidaritätsbekundungen gegenüber den verfolgten Christen, erinnert Ike
weiter:
„Ein Mullah der Muslimbruderschaft hat sich von Boko Haram klar
abgegrenzt. Wir haben als Christen in meiner Diözese zusammen mit Muslimen ein Statement
abgegeben: Christen und Muslime sind, gemeinsam gegenüber Gott, Brüder und Schwestern.“
Zwar
seien zahlreiche Christen aus den betroffenen Gebieten geflohen, insgesamt habe die
Gewalt aber eine Bestärkung im Glauben zur Folge, lobt der Gesitliche. Nigerias Christen
seien „tapfer“:
„Die Christen verkünden ihren Glauben mehr als je, die
Kirchen sind voll, sie singen, beerdigen ihre Toten. Durch solche Ereignisse lässt
sich die christliche Gemeinschaft nicht erschüttern“, so Obiore Ike.