Was bedeutet Freiheit
für uns heute? Und wofür wollen wir sie einsetzen? Um diese und ähnliche Fragen werden
die Gedanken, Gesänge und Gebete der rund 30.000 Jugendlichen kreisen, die ab Mittwoch
am 34. Europäischen Treffen der ökumenischen Taizé-Gemeinschaft in Berlin teilnehmen.
Junge Menschen aus ganz Europa und von anderen Kontinenten werden von den Kirchen
und Einwohnern Berlins aufgenommen, um unter dem Motto „Wege des Vertrauens“ nach
neuen Wegen der Solidarität zu suchen. Die Geschichte der ehemals geteilten Stadt
ist unter anderem bei der Begegnung mit Zeitzeugen aus der Zeit der Berliner Mauer
Thema. Tragende Säulen werden auch bei diesem Taizé-Treffen Gemeinschaft und Gebet
sein, erzählt der Leiter der ökumenischen Gemeinschaft, Frère Alois, im Interview
mit Radio Vatikan: „Ich erwarte mir Erfahrung von Gemeinschaft. Die großen
Schwierigkeiten, die heute aufbrechen – Erschütterung der Weltwirtschaft usw. – bringt
auch innere Erschütterungen mit sich. Jugendliche fragen sich: Was ist der Sinn meines
Lebens? Wofür kann ich mich einsetzen? Und dafür braucht es eine Erfahrung von Gemeinschaft,
eine Erfahrung, die uns öffnet und uns die Frage nach dem Glauben neu stellen lässt.
Ich denke, heute sind viele junge Menschen bereit, diese Frage wieder neu zu stellen.
Zu dieser Frage wollen wir ins Gespräch kommen und drei Mal am Tag zu gemeinsamen
Gebeten zusammenkommen.“
Obwohl Taizé schon einmal in Berlin zu Gast war,
sei das diesjährige Treffen das erste „wirklich europäische Treffen“ der Taizé-Gemeinschaft
in der deutschen Hauptstadt, so Bruder Alois. Zu DDR-Zeiten sei die Initiative nur
eingeschränkt gestattet gewesen, fügt er im Rückblick auf den Taizé-Gründer und seinen
Vorgänger Bruder Roger an:
„Bruder Roger war 1986 vor der Wende dort, aber
nur in Ostberlin. Die Genehmigung wurde gegeben für ein Jugendtreffen mit 6.000 Jugendlichen,
aber nur für den Ostteil der Stadt und des Landes. Jetzt endlich können wir nach Berlin,
Ost und West, kommen und auch das Thema wieder neu aufnehmen: Trennungen überwinden,
Mauern überwinden. Und auch neu überlegen: Was bedeutet die Freiheit heute für uns?“
Internationale
Jugendtreffen veranstaltet Taizé seit 1978 jedes Jahr um Silvester in einer anderen
europäischen Großstadt. Mit der Begegnung in Berlin kehrt Bruder Alois als Stuttgarter
in sein Heimatland zurück. Das bereite ihm große Freude, erzählt er im Gespräch mit
Radio Vatikan. Die französische Taizé-Gemeinschaft sei mit Deutschland in besonderer
Weise verbunden, fügt er an: Nach den Franzosen seien die Deutschen die größte Gruppe,
die nach Taizé komme.
„Solidarität braucht ständige Erneuerung“ Bei
der Ankunft in Berlin erhalten die Teilnehmer des Jugendtreffens einen Brief von Frère
Alois, der in über fünfzig Sprachen übersetzt wird. „Zwischenmenschliche Solidarität
ist von jeher notwendig, sie braucht aber ständige Erneuerung, eine Verjüngung durch
neue Ausdrucksweisen“, schreibt der Prior der Taizé-Gemeinschaft in dem Schreiben,
das den Titel „Auf dem Weg zu einer neuen Solidarität“ trägt:
„Der Brief
will uns helfen, dass wir es wagen, uns auf den Weg zu einer neuen Solidarität zu
begeben. Dass wir es wagen, daran zu glauben, dass Solidarität nicht nur eine Utopie
ist und nicht nur eine Notwendigkeit wegen der Abhängigkeiten in einer globalisierten
Welt, sondern dass wir in Solidarität auch eine Lebenserfüllung finden können. Diese
Solidarität können und wollen viele Menschen heute im Glauben verwurzeln, denn schließlich
hat Christus uns eine neue Solidarität als Erbe hinterlassen. Er ist am Kreuz dafür
gestorben, dass alle Menschen in seiner Liebe und Gemeinschaft zusammenfinden. Die
Frage ist: Was machen wir damit?“
Jeden Vormittag werden die Jugendlichen
bis zum 1. Januar, wenn das Treffen endet, in 160 Kirchengemeinden zusammenkommen
und mit ihren Gastgebern über die einzelnen Themen dieses Briefes aus Taizé für 2012
nachdenken: Vertrauen zwischen den Menschen, Vertrauen auf Gott, „Christus der Gemeinschaft“,
versuchen „Salz der Erde“ zu sein - auch für Europa, das sich in der Krise befindet:
„Das
Treffen in Berlin wird ein Ausdruck dafür sein, dass Jugendliche aus allen Ländern
Europas diese neue Entscheidung für Europa wollen. Es braucht persönliche Begegnungen:
Ohne persönliche Begegnung kann Europa nicht wachsen, und dazu wollen wir einen Beitrag
leisten.“ (rv 27.12.2011 pr)