Heiligabend an der Strippe: Telefonseelsorge zum Fest
Heiligabend
am Telefon? Für die meisten ist das wohl kein verlockender Gedanke. Für viele Einsame
ist das Telefon aber an Weihnachten die einzige Möglichkeit, Kontakt mit anderen Menschen
zu haben. Viele von ihnen werden auch in diesem Jahr wieder das Angebot der Telefonseelsorge
nutzen, um sich an Heiligabend nicht allein zu fühlen oder Probleme loszuwerden, die
in der Familie vielleicht tabu sind. Dazu braucht es aber auch Menschen, die zuhören.
Tausende Telefonseelsorger der katholischen und evangelischen Kirche sind deshalb
an den Feiertagen im Einsatz. Antje Dechert hat eine von ihnen getroffen.
„Katholische
Telefonseelsorge, guten Abend....“
In der Zentrale der katholischen Telefonseelsorge
in München steht das Telefon auch an Weihnachten nicht still. In diesem Jahr nimmt
Franziska die Anrufe entgegen. Das ist nicht ihr richtiger Name. Der bleibt anonym
– eine Hilfe für diejenigen, die anrufen:
„Das ist oft ein großer Schritt
sich den Menschen mitzuteilen und wirklich mal darüber zu sprechen, was ganz tief
in mir drin ist, was ich vielleicht auch mich noch nie getraut habe auszusprechen.
Und da hilft es auch, diese Anonymität und auch dass es am Telefon ist und man nicht
gesehen werden kann.“
Franziska ist schon seit 10 Jahren hauptamtlich bei
der katholischen Telefonseelsorge im Erzbistum München und Freising tätig. Die fröhlich
wirkende 50-Jährige mit den halblangen, blonden Haaren und der kleinen Nickelbrille
auf der Nase hat seitdem schon oft die Weihnachtsfeiertage am Telefon verbracht. Und
zwar ganz und gar freiwillig, wie sie sagt – denn Heiligabend sei sogar in der Telefonseelsorge
etwas ganz Besonderes:
„Das hört man auch am Telefon bei den Menschen. Egal
in welcher Situation sie leben. Da ist ganz viel Hoffnung zu hören und auch ganz viel
Einlassen auf dieses Geheimnis der Weihnacht. Und das finde ich sehr, sehr beeindruckend
und auch sehr schön. Wir kriegen da viele Anrufe von Menschen, die sich bedanken möchten,
für das, was sie erlebt haben im Jahr, was natürlich für uns was ganz, ganz Schönes
ist.“
Die katholische Telefonseelsorge ist 365 Tage im Jahr erreichbar.
Rund um die Uhr kann hier jeder das abladen, was ihn bedrückt. Und die Nachfrage ist
groß: Nur 30 Prozent der Anrufenden kommt durch. Rund 2 Millionen Gespräche sind es
jedes Jahr, die Telefonseelsorger deutschlandweit führen. Das macht über 5500 am Tag.
An Feiertagen wie Weihnachten sind es auch mal mehr. Darunter auch Menschen, die suizidgefährdet
oder psychisch krank sind, sagt Franziska. Die vermittele sie aber an spezielle Beratungsstellen
weiter. Doch die meisten die an Weihnachten anriefen, seien - in Anführungszeichen
- „ganz normal“: Gestresste Mütter und Väter, pubertierende Jugendliche, Singles und
vereinsamte Rentner – meistens Menschen, denen keiner anmerkt, dass sie Hilfe brauchen.
„Die Menschen, die hier anrufen: vielleicht ist es die Frau, die sie vorher
im Supermarkt an der Kasse haben stehen sehen und bei der sie sich gar nichts gedacht
haben und gar nicht mitkriegen wie viel Kraft sie aufwendet, weil sie dieses Jahr
nach der Scheidung das erste Mal alleine Weihnachten feiert. Oder es ruft jemand an,
den sie schon lange nicht mehr gesehen haben. Und es ist ihnen gar nicht aufgefallen,
dass dieser Mensch seine Wohnung gar nicht mehr verlässt, vielleicht weil er Ängste
hat und dann bei uns anruft, um mal wieder mit einer menschlichen Stimme Berührung
zu kriegen. Oder es ist die Frau, die ihren Mann verloren hat im letzten Jahr und
dieses Fest alleine feiert.“
Ihnen allen hört Franziska dann aufmerksam
zu. Ihr Büro in der Telefonseelsorge ist schlicht eingerichtet. Nichts soll die Mitarbeiter
hier ablenken von ihren Gesprächen. Nur in der Weihnachtszeit steht ein kleines Gesteck
aus Tannenzweigen auf dem Schreibtisch. Aber darauf achtet Franziska beim Telefonieren
gar nicht. Dann ist sie einfach nur ganz Ohr:
„Ich telefoniere meistens
mit geschlossenen Augen, um mich konzentrieren zu können. Meistens lenken uns ja die
Augen ab, damit mir nichts entgeht, von dem was ich hören kann und mich dann ganz
drauf konzentriere, mache ich die Augen zu.“
Ein Gespräch dauert zwischen
15 Minuten und einer Stunde. Länger nimmt sich Franziska nur in schweren Fällen Zeit.
Zu viele andere hängen sonst in der Warteschleife. Wie aber kann man in so kurzer
Zeit den Einsamen Mut machen?
„Viele klagen dann auch drüber, dass ihre
Wünsche nach Familie nicht in Erfüllung gegangen sind und ofterzähle ich den
Menschen dann, dass eigentlich Weihnachten eine Einladung ist, weit über die Kleinfamilie
hinaus, in der sie feiern. Das ist eine Einladung in eine Gemeinschaft, in die Gemeinschaft,
die wir heute vielleicht auch Kirche nennen. Und dass Christus zwar im Stall, bei
seiner Mutter zur Welt kam, ja aber eine Botschaft an uns alle gerichtet hat. Und
die Menschen sind oft erstaunt, wenn ich sage, Christus hat uns aus der Familie hinausgerufen
in eine größere Gemeinschaft.“
Franziska ist selbst alleinstehend.
Eine Familie hat sie trotzdem. Ihre Eltern und ihre Schwester, sagt sie, hätten sich
schon daran gewöhnt, dass sie Heiligabend nicht immer mitfeiern könne.
„Wir
verlegen dann unsere Treffen auf den Tag, wann ich auch frei habe und genießen das
dann sehr.Ich glaube, sie sind auch ein bisschen stolz, jemanden
in der Familie zu haben, der das gerade an einem solchen Tag auch teilt: die Kraft
und die Feierlichkeit, die wir aus unserer Familie entwickelt haben.“ (rv
23.12.2011 ad)