Benedikt XVI: „Medizin gegen die Müdigkeit des Glaubens“
Der Glaubenskrise
und der Neuevangelisierung des alten Kontinents Europas hat Papst Benedikt XVI. seine
diesjährige Weihnachtsansprache vor der Römischen Kurie gewidmet. Er machte seine
geistlichen Anregungen dazu am Weltjugendtag von Madrid fest, zu dem er im August
mit Hunderttausenden jungen Menschen zusammengetroffen war; „Medizin gegen die Müdigkeit
des Glaubens“ nannte der Papst die Erfahrungen bei einem solchen Weltjugendtag.
„Am
Ende dieses Jahres steht Europa in einer wirtschaftlichen und finanziellen Krise,
die letzten Endes auf der ethischen Krise beruht, die den Alten Kontinent bedroht.
Selbst wenn Werte wie Solidarität, Einstehen für die anderen, Verantwortlichkeit für
die Armen und Leidenden weitgehend unbestritten sind, so fehlt häufig die motivierende
Kraft, die konkret den einzelnen und die großen gesellschaftlichen Gruppen zu Verzichten
und Opfern bewegen kann. Erkenntnis und Wille gehen nicht notwendig miteinander.“
Das
Thema des Papstes: Lebendiger Glaube für heute Aus dieser Lage steigen
grundsätzliche Fragen auf, so der Papst. Die Kirche müsse darauf mit der Neuevangelisierung
antworten, „damit aus Botschaft Ereignis, aus Verkündigung Leben wird.“
„Die
große Thematik dieses Jahres wie der kommenden Jahre“ heiße in der Tat: Wie verkündigen
wir heute das Evangelium? Wie kann Glaube als lebendige Kraft heute Wirklichkeit werden?“
Danach
ließ Papst Benedikt in der prächtigen Sala Clementina vor den Kardinälen und Bischöfen
im apostolischen Palast sein Jahr 2011 Revue passieren, darunter auch seine Reise
in die Heimat.
Rückblick auf die Deutschlandreise „In
Deutschland, dem Ursprungsland der Reformation, hatte natürlich die ökumenische Frage
mit all ihren Mühsalen und Hoffnungen ein besonderes Gewicht. Untrennbar davon steht
immer wieder im Brennpunkt der Dispute die Frage: Was ist Reform der Kirche? Wie geschieht
sie? Was sind ihre Wege und ihre Ziele? Mit Besorgnis sehen nicht nur treue Glaubende,
sondern auch Außenstehende, wie die regulären Kirchgänger immer älter werden und ihre
Zahl beständig abnimmt; wie der Priesternachwuchs stagniert; wie Skepsis und Unglaube
wachsen.“
Was also solle die Kirche tun, damit „die Trendwende gelingt“?
Der Papst ist sich sicher: Äußere Reformen sind ungenügend.
„Das Machen
allein löst die Aufgabe nicht. Der Kern der Krise der Kirche in Europa ist – wie ich
in Freiburg dargestellt habe – die Krise des Glaubens. Wenn wir auf sie keine Antwort
finden, wenn Glaube nicht neu lebendig wird, tiefe Überzeugung und reale Kraft von
der Begegnung mit Jesus Christus her, dann bleiben alle anderen Reformen wirkungslos.“
Begegnungen in Madrid Kontrapunkt war hier für den Papst
die Begegnung „mit der freudigen Leidenschaft des Glaubens in Afrika“ und „die großartige
Erfahrung des Weltjugendtages zu Madrid“. Gerade in diesen Begegnungen mit den jungen
Christen sieht Benedikt XVI. die Kirche der Zukunft. Ihre Ecksteine fasst er in fünf
Punkten zusammen: Universalität der Kirche, eine neue, selbstlose Art, Christ zu sein,
Anbetung, Beichte und schließlich die innere Freude, die aus dem Angenommensein durch
Christus kommt.
„Da ist als erstes eine neue Erfahrung der Katholizität,
der Universalität der Kirche. Das ist es, was junge Menschen und alle Anwesenden ganz
unmittelbar berührt hat: Wir kommen von allen Kontinenten, und obwohl wir uns nie
gesehen haben, kennen wir uns. … Dass alle Menschen Brüder und Schwestern sind, ist
hier nicht bloß Idee, sondern wird reale gemeinsame Erfahrung, die Freude schafft.“
Von
da aus komme dann eine neue Art, das Menschsein und das Christsein zu leben, so der
Papst weiter. Er machte dies an der Begegnung mit den 20.000 Freiwilligen des Weltjugendtages
fest.
„Mit seiner Zeit gibt ein Mensch immer ein Stück seines Lebens. Am
Ende waren diese jungen Menschen sichtbar und greifbar von einem großen Gefühl des
Glücks erfüllt: Ihre Zeit hatte Sinn; im Weggeben ihrer Zeit und ihrer Arbeitskraft
hatten sie gerade die Zeit, das Leben gefunden. Und da wurde mir etwas Grundsätzliches
deutlich: Diese jungen Menschen hatten im Glauben ein Stück Leben gegeben, nicht weil
es geboten und nicht weil man sich damit den Himmel verdient … Diese jungen Menschen
haben Gutes getan, auch wenn es schwer war, auch wenn es Verzichte forderte, weil
es schön ist, das Gute zu tun, für die anderen da zu sein. Man muss nur den Sprung
wagen. All dem geht voraus die Begegnung mit Jesus Christus, die in uns die Liebe
zu Gott und zu den anderen entzündet und uns frei macht von der Suche nach dem eigenen
Ich.“
„Gott ist da“ Ein drittes Element, das „immer selbstverständlicher
und zentraler zu den Weltjugendtagen und der von ihnen ausgehenden Spiritualität gehört“,
wie der Papst sagte, ist die Anbetung.
„Gott ist nicht irgendeine mögliche
oder unmögliche Hypothese über den Ursprung des Alls. Er ist da. ... In diese Gewissheit
der leibhaftigen Liebe Gottes zu uns treten wir als Mitliebende hinein. Das ist Anbetung,
und das bestimmt dann mein Leben. Nur so kann ich auch Eucharistie richtig feiern
und den Leib des Herrn recht empfangen.“
Als weiteres wichtiges Element
der Weltjugendtage nannte Benedikt die „immer selbstverständlicher zum Ganzen gehörende
Anwesenheit des Bußsakraments.“
„Damit anerkennen wir, dass wir immer wieder
Vergebung brauchen und dass Vergebung Verantwortung ist ... Immer wieder wird meine
Seele verschmutzt durch diese nach unten ziehende Schwerkraft, die in mir da ist.
Deshalb brauchen wir die Demut, die immer neu Gott um Vergebung bittet.“
„Es
ist gut, dass ich bin!“ Als letztes, „nicht zu übersehendes Kennzeichen“
der Spiritualität der Weltjugendtage nannte Benedikt die Freude. Der tiefste Grund
dafür ist aus Sicht des Papstes die aus dem Glauben kommende Gewissheit, gewollt,
akzeptiert und geliebt zu sein.
„Dieses Angenommenwerden kommt zunächst
vom anderen Menschen her. Aber alles menschliche Annehmen ist zerbrechlich. Letztlich
brauchen wir ein unbedingtes Angenommensein. Nur wenn Gott mich annimmt und ich dessen
gewiss werde, weiß ich endgültig: Es ist gut, dass ich bin. … Wo der Zweifel an Gott
dominierend wird, da folgt der Zweifel am Menschsein selbst unausweichlich. Wir sehen
heute, wie sich dieser Zweifel ausbreitet. Wir sehen es an der Freudlosigkeit, an
der inneren Traurigkeit, die man in so vielen menschlichen Gesichtern lesen kann.
Nur der Glaube macht mich gewiss: Es ist gut, dass ich bin. Es ist gut, ein Mensch
zu sein, auch in schwieriger Zeit. Der Glaube macht von innen her froh. Das ist eine
der wunderbaren Erfahrungen der Weltjugendtage.“