Besprochen von: Stefan
v. Kempis, Radio Vatikan, am 10.12.2011
Leichthändig und intelligent, führt
uns „Die Liebeshandlung“ des US-Autors Eugenides auf den ersten Blick eine Dreiecks-Liebesgeschichte
vor Augen, wie wir sie aus den Romanen des viktorianischen Zeitalters kennen, angesiedelt
diesmal in der College-Welt der achtziger Jahre. Ein untergründiger roter Faden aber
ist die spirituelle Suche, auf die sich Mitchell macht, einer der drei Protagonisten.
Der junge Student der Religionswissenschaften, der in der Dreier-Konstellation des
Romans den Part des unglücklichen Liebhabers spielt, ist angezogen vom Religiösen,
sucht nach Antworten auf die großen Fragen der Menschheit. Diese Suche führt ihn in
Quäker-Treffen und zum ständigen Wiederholen des Jesus-Gebets, lässt ihn auf der Akropolis
in Athen um die Gabe des Zungenredens beten und als Freiwilligen in einem Sterbehaus
der Schwestern von Mutter Teresa in Kalkutta arbeiten. Hier scheitert Mitchell an
der selbstgestellten Aufgabe, in seinem kranken Nächsten das Gesicht Gottes zu sehen.
Immerhin erspäht er bei einem Gottesdienst im Mutterhaus der „Missionarinnen der Nächstenliebe“
Mutter Teresa selbst, von hinten: Die nackten Fußsohlen der Knienden sind eines der
vielen eindringlichen Bilder, die einem nach der Lektüre im Gedächtnis haften.
Natürlich
dreht sich der Roman vor allem um die Liebe, und es geht in dieser Hinsicht auch immer
wieder mal zur Sache. Doch die in ihn hineingedrehte große Frage nach dem Glauben
ist sehr selten für einen Roman unserer Zeit. „Ich habe den Eindruck, dass der moderne
Roman sich vor der Beschäftigung mit Religion weitgehend herumdrückt“, hat der Autor
der „Frankfurter Allgemeinen“ anvertraut. Diesem Übel hat er in seinem Werk abgeholfen:
Dabei überzeugt vor allem, wie er den Ton hält. Auch ein anderer Erzählstrang, die
manische Depression von Leonard, trägt zum Ernst dieses Romans bei. Mitchells spirituelle
Suche kommt nicht wirklich an ein Ziel, auch wenn er bei einem Quäker-Treffen eine
innere Stimme zu hören glaubt; ihm zerbrechen vielmehr über dieser Suche seine einzigen
Vorstellungen für die Zukunft, nämlich die Heirat mit Madeleine und das Ansteuern
einer Theologie-Professur. Ein großer Roman!