Der Churer Bischof Vitus Huonder hat den Sexualkundeunterricht an den Schweizer Schulen
scharf kritisiert. Er fordert, dass Eltern ihr Kind für dieses Fach dispensieren lassen
können. In einem Interview mit der „NZZ am Sonntag“ unterstreicht Huonder, dass die
Sexualerziehung grundsätzlich in der Verantwortung der Eltern und nicht in jener des
Staates liege. Und: Es gebe ein „Widerstandsrecht“, wenn der Staat auf die religiösen
Weltanschauungen der Eltern nicht Rücksicht nehme. Der Sexualkundeunterricht dürfe
nur dann in der Schule stattfinden, wenn er dem religiösen Glauben der Eltern als
den Erziehungsberechtigten „nicht fundamental“ widerspreche, sagte Huonder. Denn die
Sexualität sei „grundlegend mit der religiösen Haltung verbunden und eine zentrale
Dimension des Menschseins“. Es sei gewiss kein Problem, wenn im Unterricht reines
Wissen vermittelt werde - etwa darüber, wie HIV übertragen werde oder was Aids für
eine Krankheit sei. „Höchst problematisch“ werde es aber, „wenn zum Beispiel den Kindern
vor allem die Verwendung von Kondomen empfohlen wird“, kritisierte der Churer Bischof:
„Das ist Ideologie - und damit ein Eingriff des Staates in die religiöse Freiheit
und die Erziehungshoheit der Eltern.“ Nehme der Staat nicht Rücksicht auf die religiösen
Weltanschauungen der Eltern, so müssten diese als Gläubige die Möglichkeit haben,
„sich den staatlichen Übergriffen zu entziehen“, sagte Huonder.
Unter
dem Titel „Sexualerziehung, staatlich verordnet“ will der Churer Bischof am kommenden
Sonntag ein Bischofswort vorlegen. Darin betont er das Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit;
es nehme unter den Menschenrechten einen besonderen Platz ein. Die Rechte der Eltern
seien direkt davon ableitbar. In der staatlichen Sexualerziehung, wie sie gegenwärtig
an den Schulen praktiziert wird, sieht Huonder letztlich eine Verletzung der Gewissens-
und Religionsfreiheit. Die Vatikanzeitung „Osservatore Romano“ hat derweil am Samstag
Behauptungen zurückgewiesen, wonach die katholische Kirche Sexualkundeunterricht generell
ablehne. Dieser müsse aber eng mit ethisch-philosophischer, psychologischer und
spiritueller Erziehung einhergehen, heißt es in einem Artikel der vatikanischen Tageszeitung.
Die Kirche sei „entschiedene Befürworterin einer Gesamterziehung über den Leib, also
auch über die sexuellen Funktionen“, schreibt die italienische Publizistin Lucetta
Scaraffia in dem Beitrag. Oft werde der Sexualkundeunterricht aber auf eine „reine
Ansammlung von technischen Anleitungen zum Gebrauch von Verhütungsmitteln“ reduziert.
Dies bemängelten die Kirchen an Vorlagen für den Unterricht und seiner Durchführung.
Der Verzicht auf einen psychologischen und moralischen Ansatz betrachte den Menschen
nicht in seiner Gesamtheit, kritisierte sie.