Finanzkrise: „Europäischer Einigungsprozess in Gefahr“
Europas Einigung steckt
in der Krise – wegen der Schulden vor allem der südeuropäischen Länder. Das ist die
Analyse des Professors für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie, Bernhard
Emunds. Er doziert an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main.
Es
zeige sich, dass der europäische Einigungsprozess in einer Krise stecke, sagte Emunds
im Interview mit Radio Vatikan. Das habe mit den hohen Erwartungen zu tun, die man
an den Aufholprozess in den südeuropäischen Ländern hatte: Dieser sei gescheitert.
Diese Länder haben eine hohe Staatsverschuldung – erstens, weil sie sich verschuldet
haben, und zweitens, weil ihnen Kredit zu sehr günstigen Bedingungen gewährt wurde.
Man habe also vergeblich auf den Aufholprozess gesetzt. Die europäische Währungsunion
habe die Unterschiede zwischen Nord- und Südeuropa verschärft, fügt er an. Einige
Länder wie etwa Deutschland sind sehr stark am Export orientiert, andere Volkswirtschaften
nicht. Vor der Währungsunion habe man die Spannungen durch Aufwertungen der betreffenden
Währungen gelöst. Diese Lösungen gebe es heute aber nicht mehr.
„Die derzeitige
Situation zeigt, dass das Projekt des Euro auf Messers Schneide steht. Es kann so
sein, dass das Ganze scheitert. Es kann sich aber auch eine Fiskalunion durchsetzen.
Das Problem, das damit verbunden ist, ist die Politik in Südeuropa. Ich beschreibe
das gerne so, dass es so etwas wie eine Kreditlogik gibt. Wenn Sie einen Wachstumsprozess
haben, dann ist es ganz normal, dass die Kredite ausgebreitet werden müssen. Das gehört
zu einem solchen Prozess dazu.“
Ein Staat müsse Schulden aufnehmen, um
seine Aufgaben zu erledigen. Wenn man dies tue, müsse man die Kreditlogik beachten.
Um die Kreditwürdigkeit zu behalten, müsse man seine Schulden auch zurückzahlen.
„Das
ist aus Sicht einer demokratischen Regierung durchaus sinnvoll, weil sie sehen muss,
dass sie auch in Zukunft Kredite aufnehmen und damit ihrem eigentlichen Auftrag nachkommen
kann, nämlich der Logik demokratischer Prozesse entsprechend die Lebensbedingungen
der Menschen zu verbessern. Und jetzt haben wir das Problem, dass dieses Folgen der
Kreditlogik, dieses Schauen darauf, dass irgendwie die Gläubiger bedient werden, dass
die irgendwie zufrieden gestellt werden, dazu führt, dass das Ziel der Kreditwürdigkeit
zum allerersten Ziel der Politik wird. Dem wird alles andere untergeordnet, alles
andere geopfert.“
Das führe zu massiven Verschlechterungen für Menschen,
die von staatlichen Leistungen abhängig seien. „Die Kreditlogik hat die Logik der
Demokratie verdrängt.“
Was ist zu tun?
Genau das sei mit
vielen südeuropäischen Staaten geschehen. Sie haben Schulden aufgenommen, die sie
nicht zurückzahlen können. Viele fordern deshalb, dass Nordeuropa diesen Staaten nun
unter die Arme greifen soll.
„Aber wird das ausreichen? Diese Frage ist
nach wie vor offen. Damit stellt sich schon die Frage, ob jetzt nicht der Punkt wäre,
diese Kreditlogik zu beenden, damit die Logik demokratischer Politik, die Lebensbedingungen
der Menschen zu verbessern, wieder zum Tragen kommt. Wofür ich plädieren würde, wäre
eben ein deutlicher Schuldenschnitt, der einen erheblichen Teil der Schulden dieser
Länder reduziert. Und danach eine Fiskalunion, um in Zukunft solche Probleme zu verhindern.“
Im
Moment zeichne sich aber etwas ganz anderes ab – nämlich eine Fiskalunion, die Stabilität
durch Sparen bei den Mittelschichten und bei den Ausgaben für die Benachteiligten
erreichen wolle. Man tue alles, um die Schulden bedienen zu können und damit die Vermögenswerte
der Reichen abzusichern. „Hier sehe ich einen ganz massiven Verteilungskonflikt“,
so Emunds. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist anderer Meinung. Er bleibt
bei seinem „Nein“ zu den Eurobonds, die für den Schuldenschnitt wären. Eine „Vergemeinschaftung
der Haftung“ sei nach den europäischen Verträgen gänzlich ausgeschlossen, so der Bundesfinanzminister.
Verwirrung
durch die mediale Aufbereitung?
Viel von der Verwirrung in der Öffentlichkeit
komme von der Aufgeregtheit, die eine Krise vor allem „in den Medien“ erzeuge, so
Emunds. Das führe dazu, dass Aspekte, die zum Problem dazu gehörten, ausgeblendet
würden:
„Ein Aspekt, der mir deutlich zu wenig vorkommt, ist der, dass alle
Überlegungen, wie aus der Krise herauszukommen ist, immer beinhalten müssen, dass
die Benachteiligten in den südeuropäischen Ländern einen großen Teil der Zeche zahlen
müssen. Der andere Aspekt, der mir zu kurz kommt: dass ein Teil der Krisenursache
nicht nur das Geldausgeben der Regierungen ist. Ein ganz zentraler Teil des Problems
ist, dass die Bundesrepublik oder die Niederlande oder andere nordeuropäische Länder
ein extrem exportorientiertes Wirtschaftsmodell haben. Eine Fiskalunion kann ich mir
nur vorstellen, wenn auch wir in Deutschland eine deutliche Wende in der Wirtschaftspolitik
und eine Wende in der Ausrichtung unserer Volkswirtschaft vornehmen.“