Wieder einmal überschlagen
sich die Ereignisse im Nahen Osten, Schauplatz ist wieder Ägypten. Seit einer Woche
gibt es weitere Tote und Polizeieinsätze gegen Demonstranten. Der Chef des Militärrates,
Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, verspricht eine zivile Regierung bis März
nächsten Jahres, aber das geht den Ägyptern nicht weit genug. Auch Syrien kommt derweil
nicht zur Ruhe, die Regierung geht weiter gegen Demonstranten vor.
Es sind
lang anhaltende Geburtswehen, deren Zeuge wir im Nahen Osten gerade werden. Das sagt
der Nahostexperte des Hilfswerkes Missio, Ottmar Oehring, im Interview mit Radio Vatikan.
Oehring war in der vergangenen Woche in Beirut auf einer Tagung über den arabischen
Frühling und seine Auswirkungen auf die Christen im Nahen Osten.
Der wohl stärkste
Grund für die Unruhen in allen betroffenen Ländern sei, dass die Machthaber die Bedürfnisse
der Menschen nicht erfüllen könnten: Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Unterdrückung,
das alles schaffe „Druck im Kessel“, der sich jetzt einen Ausweg suche. Mit kurzfristigen
Lösungen sei es dabei nicht getan, so Oehring: Das Volk wolle mehr Freiheit und ein
besseres Leben.
„Es steht zu befürchten, dass das weder in Tunesien,
noch in Ägypten und am Ende vielleicht auch nicht in Syrien den Menschen in der Zeit
gewährt werden kann, die sie vielleicht noch abwarten wollen. Wir werden auf jeden
Fall noch lange mit Unruhen in diesen Ländern leben müssen.“
Für
einige Wochen waren es Syrien und die Regierung Bashar al-Assad, die im Fokus der
Aufmerksamkeit standen, jetzt ist es wieder Ägypten, wo erneut Unruhen mit Toten ausgebrochen
sind. Oehring liest diese Proteste aber weniger als islamischen Protest gegen Christen,
er sieht die gleichen treibenden Kräfte am Werk wie noch zu Beginn der Aufstände:
„Die
Revolutionäre, die die Revolution begonnen haben, sind immer noch auf dem Tahrir-Platz,
harren dort aus und verlangen weiterhin, dass ihnen Gehör verschafft wird. Der arabische
Frühling ist ein Prozess, der unumkehrbar ist. Die Menschen haben etwas gefordert.
Das ist ihnen nicht gewährt worden. Sie werden sich so lange weiter dafür einsetzen,
dass ihnen die Freiheit und das bisschen Demokratie gegeben wird, das sie fordern.“
Die Unruhen werden begleitet von vielen Unsicherheiten, so Oehring weiter:
Die Frage nach dem wirklichen Einfluss der Muslimbrüder etwa und die damit zusammenhängenden
Ängste der Christen, die Sorge um ein Chaos, das auch bei Muslimen die Angst auslöst,
bereits bestehender Wohlstand und Sicherheit könnten gefährdet werden, all das schafft
die große Unklarheit des arabischen Frühlings:
„Aber auch hierzu wird
von vielen christlichen Beobachtern ganz klar gesagt, dass kein Mensch sagen kann,
was dann passieren wird. Im schlimmsten Fall muss man sich auch in einem von einer
islamischen Gruppe dominierten Staat mit den Verhältnissen arrangieren. Das haben
die Christen seit vierzehnhundert Jahren in irgendeiner Weise geschafft, mal besser
mal schlechter, mit viel Gewalt aber auch in besseren Zeiten. Genau das gleiche wird
für die Zukunft vorausgesehen. Es könnte aber auch sein – und auch das sagen viele
– dass es tatsächlich eine Bewegung Richtung Demokratie gibt. Die Demokratie in dem
Sinn, wie wir sie hier verstehen, wird es natürlich nicht morgen geben, auch nicht
direkt nach den Wahlen, aber in den nächsten zehn Jahren wird sich in diesen Ländern
auf jeden Fall etwas entwickeln, was in eine gute Richtung gehen kann.“