In Ägypten herrscht
Chaos: Kein arabischer Frühling, eher eine Herbstrevolution, sagt Pfarrer Joachim
Schroedel, Seelsorger der deutschsprachigen Gemeinde in Kairo, kurz vor dieser Sendung
ins Mikrofon von Radio Vatikan. Schroedel wohnt 300 Meter vom Tahrir-Platz entfernt
direkt gegenüber der deutschen Schule und verfolgt von seinem Fenster aus die Eskalation
der Gewalt. Um die 5.000 Demonstranten und 500 Polizisten lieferten sich heftige Gefechte,
Tränengas und Gummigeschosse kämen zum Einsatz, berichtet Schroedel im Gespräch mit
Anne Preckel. Er wird zwischendurch immer wieder vom Lärm der Schüsse unterbrochen.
„Wir
haben die Meldung, dass über 20 Tote jetzt schon zu verzeichnen sind in den zwei Tagen
und über 800 Verletzte, von denen ich sicherlich jetzt grad auch einige in diesem
Moment sehe, weil die Auseinandersetzung ganz ganz hart ist. Im Moment sehe ich, dass
hier etwa 50 Meter entfernt Demonstranten gegen die Polizei stehen, überall sind kleine
Feuer zu sehen, Sonntagnacht sind Molotow-Cocktails geflogen. Ich sehe immer wieder
auch Demonstranten und Polizisten, die weggetragen werden. Da hinten kommt ein Wagen
vom roten Halbmond.“
Die Demonstranten forden den Rücktritt der Militärregierung.
Was ist der Hintergrund der Proteste?
Seit neuen Monaten ist Mubarak aus
dem Amt, aber er hat ja damals gesagt: Ich übergebe meine Macht in die Hände des Militärs
und so ist es auch – das System Mubarak isrt natürlich noch voll da. Das Problem ist,
dass in den letzten neun Monaten nichts Positives sich entwickelt hat, es hat sich
eher alles verschlechtert: Wir haben keine Ordnung auf den Straßen, vor allem zeigt
die Militärregierung keinen Schritt zur Demokratisierung. Und deswegen ist das Volk
jetzt wieder, wie am 25. Januar und in den Tagen vor dem Sturz von Mubarak, auf den
Straßen und fordert den Rücktritt der Militärregierung und endlich mal tiefgreifende
Reformen. Aber was ich da vor mir sehe, ich muss sagen, das erinnert mich absolut
an den 25. Januar, wenn nicht noch schlimmer – so viel Tränengas ist damals nicht
verschossen worden wie heute!“
Der Papst hat in Afrika daran erinnert,
dass die politischen Führer nicht die Freiheit ihrer Völker „amputieren“ dürften.
Welche Erwartungen des Volkes wurden in Ägypten in den vergangenen Monaten konkret
enttäuscht, welche Freiheiten eingeschränkt?
„Ja, die ersten Hoffnungen,
dass man mehr Demokratie wagt, dass man offener sein kann, dass man auch kritisieren
kann, diese Hoffnungen wurden alle zunichte gemacht. Im Vergleich zum Mubarak-Regime
wurden zum Beispiel viel viel mehr Schnellgerichtsverfahren angestrengt. Junge Männer
und Frauen, vor allem die moderne Bloggerszene, musste erleiden, dass man eben nicht
demokratische Strukturen oder auch Meinungsfreiheit zulässt. Man hat sie zum Teil
zu drakonischen Strafen verurteilt, weil sie eben nur einfach gewagt haben, einmal
anzufragen, wie denn das Regime nun weiterregieren will.“
Also haben autoritäre
Methoden im Vergleich zum früheren Regime zugenommen?
„Ich denke, man muss
natürlich auch wirklich wissen, dass der hohe Militärrat aus Männern besteht, die
unter Mubarak Jahrzehnte gedient haben. Die haben keine großes Interesse, hier eine
grundlegende Änderung herbeizuführen, obwohl es immer beteuert wird. Aber geradezu
lächerlich klang Sonntagabend das Kommentar eines hohen Generals, der gegenüber der
Polizei sagte, er beweundere und freue sich, dass die Polizei so ,zurückhaltend’ war
– also da sehe ich etwas völlig anderes, wir haben hier wirklich chaotische Zustände,
die nur noch zu vergleichen sind mit den Zuständen der ersten Revolution. Vielleicht
müssen wir von einer Herbstrevolution reden, und nicht von einem arabischen Frühling!“