2011-11-21 15:25:52

Gewalt in Kairo: „Das ist eine Herbstrevolution“


RealAudioMP3 In Ägypten herrscht Chaos: Kein arabischer Frühling, eher eine Herbstrevolution, sagt Pfarrer Joachim Schroedel, Seelsorger der deutschsprachigen Gemeinde in Kairo, kurz vor dieser Sendung ins Mikrofon von Radio Vatikan. Schroedel wohnt 300 Meter vom Tahrir-Platz entfernt direkt gegenüber der deutschen Schule und verfolgt von seinem Fenster aus die Eskalation der Gewalt. Um die 5.000 Demonstranten und 500 Polizisten lieferten sich heftige Gefechte, Tränengas und Gummigeschosse kämen zum Einsatz, berichtet Schroedel im Gespräch mit Anne Preckel. Er wird zwischendurch immer wieder vom Lärm der Schüsse unterbrochen.

„Wir haben die Meldung, dass über 20 Tote jetzt schon zu verzeichnen sind in den zwei Tagen und über 800 Verletzte, von denen ich sicherlich jetzt grad auch einige in diesem Moment sehe, weil die Auseinandersetzung ganz ganz hart ist. Im Moment sehe ich, dass hier etwa 50 Meter entfernt Demonstranten gegen die Polizei stehen, überall sind kleine Feuer zu sehen, Sonntagnacht sind Molotow-Cocktails geflogen. Ich sehe immer wieder auch Demonstranten und Polizisten, die weggetragen werden. Da hinten kommt ein Wagen vom roten Halbmond.“

Die Demonstranten forden den Rücktritt der Militärregierung. Was ist der Hintergrund der Proteste?

Seit neuen Monaten ist Mubarak aus dem Amt, aber er hat ja damals gesagt: Ich übergebe meine Macht in die Hände des Militärs und so ist es auch – das System Mubarak isrt natürlich noch voll da. Das Problem ist, dass in den letzten neun Monaten nichts Positives sich entwickelt hat, es hat sich eher alles verschlechtert: Wir haben keine Ordnung auf den Straßen, vor allem zeigt die Militärregierung keinen Schritt zur Demokratisierung. Und deswegen ist das Volk jetzt wieder, wie am 25. Januar und in den Tagen vor dem Sturz von Mubarak, auf den Straßen und fordert den Rücktritt der Militärregierung und endlich mal tiefgreifende Reformen. Aber was ich da vor mir sehe, ich muss sagen, das erinnert mich absolut an den 25. Januar, wenn nicht noch schlimmer – so viel Tränengas ist damals nicht verschossen worden wie heute!“

Der Papst hat in Afrika daran erinnert, dass die politischen Führer nicht die Freiheit ihrer Völker „amputieren“ dürften. Welche Erwartungen des Volkes wurden in Ägypten in den vergangenen Monaten konkret enttäuscht, welche Freiheiten eingeschränkt?

„Ja, die ersten Hoffnungen, dass man mehr Demokratie wagt, dass man offener sein kann, dass man auch kritisieren kann, diese Hoffnungen wurden alle zunichte gemacht. Im Vergleich zum Mubarak-Regime wurden zum Beispiel viel viel mehr Schnellgerichtsverfahren angestrengt. Junge Männer und Frauen, vor allem die moderne Bloggerszene, musste erleiden, dass man eben nicht demokratische Strukturen oder auch Meinungsfreiheit zulässt. Man hat sie zum Teil zu drakonischen Strafen verurteilt, weil sie eben nur einfach gewagt haben, einmal anzufragen, wie denn das Regime nun weiterregieren will.“

Also haben autoritäre Methoden im Vergleich zum früheren Regime zugenommen?

„Ich denke, man muss natürlich auch wirklich wissen, dass der hohe Militärrat aus Männern besteht, die unter Mubarak Jahrzehnte gedient haben. Die haben keine großes Interesse, hier eine grundlegende Änderung herbeizuführen, obwohl es immer beteuert wird. Aber geradezu lächerlich klang Sonntagabend das Kommentar eines hohen Generals, der gegenüber der Polizei sagte, er beweundere und freue sich, dass die Polizei so ,zurückhaltend’ war – also da sehe ich etwas völlig anderes, wir haben hier wirklich chaotische Zustände, die nur noch zu vergleichen sind mit den Zuständen der ersten Revolution. Vielleicht müssen wir von einer Herbstrevolution reden, und nicht von einem arabischen Frühling!“

(rv 21.11.2011 pr)









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