Papst Benedikts zweite
Afrikareise führt das Kirchenoberhaupt in wenigen Tagen in das kleine westafrikanische
Land Benin. Mit dabei ist ein Kurienbischof aus Benin, den Benedikt seit Jahrzehnten
kennt: Barthelemy Adoukonou, Sekretär des päpstlichen Kulturrates und in den 70er
Jahren Doktorand bei Joseph Ratzinger in Regensburg. Gudrun Sailer sprach mit Bischof
Adoukonou.
„Die katholische Kirche repräsentiert in meinem Land seit 150 Jahren
eine große Quelle der Hoffnung und der tätigen Nächstenliebe. Der Kirche gehören bei
uns hat mehr als 20 Prozent der Menschen an, einige Statistiken sprechen von 27 Prozent,
die traditionellen Religionen sollen bei 20 Prozent liegen. Nun gut, ich bin weniger
davon überzeugt...! Wie es ein afrikanischer Präsident einmal bei einer Pilgerfahrt
ausdrückte: Wissen Sie, wir sind hier 20 Prozent Katholiken und 80 Prozent Muslime,
aber 100 Prozent Anhänger der traditionellen Religionen. Das heißt, der Prozess der
Evangelisierung lässt noch viel zu wünschen übrig. Wir haben sichere und gläubige
Katholiken, ja, aber die traditionellen Praktiken mischen sich immer noch darunter.“
Was sind heute die großen Herausforderungen für die Kirche in Benin?
„Die
große Herausforderung ist, dass wir unsere Kultur zutiefst kennen müssen. Und eine
tiefgehende Arbeit der Inkulturation leisten müssen. Das ist eine gigantische Arbeit.
Sie erfordert viel Energie. Wir müssen dort, wo man das Evangelium hinbringen muss,
die anthropologische Struktur unseres Volkes sehen, unsere Mentalität, wo und wie
sie sich verwurzelt. Betrachten wir etwa die traditionelle Religion in Benin, den
Voodoo. Da sehen wir, dass die traditionellen Weisen, die Ältesten, immer sagten:
Beachtet das Gesetz der Natur, richtet euch nach dem Gesetz der Natur. Und überlasst
die Magie den Hexern. Hier liegt für die Voodoo-Ältesten die eigentlich religiöse
Dimension ihres Glaubens; es gibt da diese Nähe zu den Gesetzen der Natur und die
Notwendigkeit, sich danach zu richten: Natur bedeutet das Gute. Und das Gute, das
heißt auch Gott. Wir haben infolgedessen als Christen die Pflicht, zu den Voodoo-Anhängern
zu gehen, um zu versuchen, alles zu festigen, was es dort auf dem Grund der traditionellen
Religionen an Solidem, an Starkem, gibt.“
Also gleichsam das Anerkennen
dessen, was es an Gutem und Heiligem in den anderen Religionen gibt. Genügt das schon
als Basis für eine tiefgehende Evangelisierung in einem Land wie Benin? Oder gibt
es noch andere Herausforderungen auch?
„Es gibt klarerweise auch die Herausforderung
der sozialen Gesellschaft, die Spannungen zwischen den Ethnien, schlechte Regierungsführung,
Korruption. Alles wichtige soziale Probleme, die zu Recht nach einer Antwort verlangen
– und auch das ist ein Ziel der Evangelisierung. Ich denke, da gibt es zwei große
Achsen: Die Inkulturation und die sozialen Probleme. Und ich würde ein drittes hinzufügen:
die Notwendigkeit für uns heute, afrikanische Denker zu haben – so wie damals die
Kirchenväter. Das waren Männer, die das Innere ihrer damaligen Kultur bewohnten, Philosophen,
Menschen, die in die Weisheit verliebt waren, und die aus dem Inneren den christlichen
Glauben lebten und ihm die Macht gaben, die Kultur zu verändern. Sie haben nicht darauf
gedrängt, die christliche Kultur zu hellenisieren.“
Und inwiefern können
die Kirchenväter heute in Afrika Vorbilder sein?
„Wir brauchen heute Bischöfe,
Priester, die die Taufgnade ernst nehmen, die sie dazu aufruft, Heilige zu werden.
Man muss also – auf unseren Fall heruntergerechnet – unterscheiden: was ist an den
traditionellen Religionen Magie und Hexerei, und dann muss man daran gehen, diese
Elemente bannen; und gleichzeitig versuchen, das Starke an den traditionellen Religionen
aufzuspüren. Wir brauchen eine Art Neufassung der kulturellen Ordnung der Kirche bei
uns. Die Kirche in Afrika ist weniger materiell arm als kulturell arm. Deshalb müssen
wir die Arbeit der Inkulturation leisten, richtig in die Tiefe, und die Kirche mit
afrikanischer Kultur ausstatten. Und dann wird sie wirklich verwurzelt sein. Andernfalls
riskieren wir dasselbe Schicksal wie Nordafrika. Augustinus und andere betrieben seinerzeit
in Nordafrika die Arbeit der Inkulturation auf Latein. Als die anderen kamen, wurde
das weggespült, weil es nicht tief genug saß. Und in Nordafrika haben wir heute muslimische
Gesellschaften. Aber in Frankreich, Italien, Spanien, den Ländern lateinischer Sprache,
da ist der Glaube geblieben – zwar mit den Einschränkungen der Säkularisierung, aber
doch. Wir haben es nötig, dass unsere Kultur nicht so leicht entwurzelt werden kann.
In anderen Worten: Sie braucht eine tiefe Inkulturation.“
Ich fasse das
Konzept der Inkulturation jetzt einmal etwas salopp zusammen: Das Christentum kann
und soll sich gleichsam wohnlich einrichten in einer vorgegebenen Kultur, alles prüfen,
das Gute behalten. Welche Zukunft haben dabei die nicht-christliche Religionen?
„Ich
denke, wir werden der traditionellen Religion dann eine Zukunft geben, wenn wir sie
annehmen und sie gleichzeitig von der Dimension von Magie und Hexerei trennen. Sowohl
Afrika als auch die Kirche werden von dieser Dynamik gewinnen. Blicken wir nochmals
auf die Geschichte des Christentums: In Europa hat das Christentum in seiner frühen
Phase die Liebe zur Wahrheit angenommen, die Philosophie. Dieser Reichtum ist in die
Kirche übergegangen und macht bis heute einen gewichtigen Teil ihrer Identität aus.
Wenn die Kirche in Afrika dieselbe Anstrengung macht und sich selbst die Chance gibt,
Wurzeln zu schlagen, dann erwirbt sie einen Fortbestand dessen, was die Kultur an
besten Elementen hat – sie rettet sie für die Zukunft.“
Wird der Papst
in Benin über Voodoo sprechen, etwa in Oudiah?
„Da er in ein Land kommt,
das traditionell der Voodoo-Kultur angehört, wird er sicher etwas darüber sagen. Wie
Sie wissen, gibt es große afrikanische Missionare, die Freunde der traditionellen
Religionen waren. In Ouidah waren es übrigens Angehörige der Voodoo-Religion, die
seinerzeit praktisch den Arbeitsdienst für die Kirche gemacht haben; sie brachten
Sand vom Strand, um die Basilika zu bauen. Und der Voodoo-Tempel befindet sich genau
gegenüber der Basilika. Als Johannes Paul II. zum zweiten Mal in Benin war, klagten
ihm Voodoo-Verantwortliche ihr Leid. Sie sagten zum Papst: Wir respektieren euch,
schicken unsere Kinder an eure Schulen, lassen zu, dass sie Priester oder Ordensfrauen
werden. Aber ihr Christen behandelt uns mit Herablassung. Papst Benedikt wird sicherlich
verlangen, dass alle Religionen, die in Benin vertreten sind, nicht nur Voodoo, auch
Islam und alle anderem, dass man gemeinsam an Versöhnung und Frieden arbeitet. Wir
erwarten uns ein Wort der Ermutigung für den Weg des Dialogs zwischen den Religionen.“
Themenwechsel: die Katholische Kirche spielt eine wichtige Rolle bei Versöhnung
und Frieden in Afrika, auch in Benin. Was sind die sichtbaren Effekte davon?
„Als
es 1989 / 1990 darum ging, eine Nationalkonferenz für Demokratie in Benin zu machen,
die erste in Afrika, wandte man sich an die Kirche. Und Erzbischof Isidore De Souza
wurde der Präsident der Konferenz. Er half beim Übergang von einem marxistisch-leninistischen
System zur Demokratie. Das hat er so gut gemacht, dass alles ohne Gewalt abging. Sicher,
es gibt bis heute in Benin Probleme mit Korruption, Regionalismus und anderem mehr.
Aber in großen Zügen funktioniert es. Die Kirche ist respektiert, vor allem auch für
diese Rolle in der Demokratie, die Erinnerung daran ist sehr stark. Und dann: Kardinal
Gantin. Gleichsam der Vater der Nation, von allen geschätzt. Die aktuelle Regierung
hat viel gemacht, um sein Andenken zu ehren, sie hat den neuen Flughafen und eine
zentrale Straße nach ihm benannt, einen Gantin-Gedenktag eingeführt, eine nach ihm
benannte Stiftung ins Leben gerufen. Die Kirche ist präsent. Sicher ist sie auch Rivalitäten
ausgesetzt von Seiten gewisser anderer Strömungen. Aber es läuft fair ab. Es gibt
keine Spannungen zwischen Personen. Die Kirche ist integriert in die Nation. Seit
der Unabhängigkeit bis jetzt sind es Christen, die das Land am meisten geprägt haben,
und sie waren einigermaßen erfolgreich. Allerdings muss uns auch klar sein: Der politische
Mensch ist noch nicht heilig an sich, wie wir uns das wünschen, da ist noch ein Stück
des Weges zurückzulegen.“
2009 fand im Vatikan die Bischofssynode für Afrika
statt, an der Sie – wenngleich damals noch nicht Bischof - teilgenommen haben. Benedikt
XVI. hat es sich ja bei Synoden zur Gewohnheit gemacht, quasi als stiller Hörer dabei
zu sitzen, was kein Papst vor ihm gemacht hat. Nun wird er in Benin sei postsynodales
Schreiben überreichen. Was steht drin?
„Ich bin sicher, dass der Papst
bei seiner Botschaft an Afrika, die er den Bischöfen überreichen wird, in der Linie
dessen bleibt, was er in seiner Predigt zur Eröffnung der Afrikasynode gesagt hat.
Er sprach von Afrika als der Lunge der Menschheit. Das ist ein außergewöhnliches Lob.
Er bat uns, auf der Hut zu sein vor religiösem Extremismus, aber auch vor Materialismus.
Er bat uns, diesen Schatz zu wahren, der die Beziehung zu Gott ist, und die Familie
zu schützen, denn die menschliche Person ist sozial geboren, das heißt als Beziehung,
als Familie. Auf eine höhere Ebene übersetzt heißt das, gemeinsam mit den anderen
Ortskirchen in Afrika unsere Identität als Familie Gottes zu leben. Nicht umsonst
wurden wir bei der ersten vatikanischen Afrika-Synode als Familie bezeichnet. Der
Sinn dahinter war, dass alle Nationen diesen Reichtum der Beziehungen, als eine Art
Familie, leben können. Tatsächlich muss man heute daran arbeiten, dass die Nationen
zusammen eine Familie bilden.“
Dieses Familie-Sein muss sich natürlich dann
auch auf der Ebene der Wirtschaft und der Politik zeigen, sagten Sie einmal bei anderer
Gelegenheit.
Wir wissen im Grund, dass die aktuelle Krise daher kommt,
dass wir ein neues Idol haben – Geld. Dieses neue Idol zieht die Aufmerksamkeit von
Gott ab und hin auf das Materielle. Das beraubt auch den Menschen seines Charakters
als Mittelpunkt jeder Institution, unter anderem auch der Wirtschaft. Der Papst wird
uns sicher daran erinnern, dass wir daran arbeiten müssen, untereinander versöhnt
zu sein. Gerecht zu sein. Am Frieden zu arbeiten. Das heißt nichts anderes, als dass
der Mensch zurückfinden muss zu seinem Protagonisten-Sein. Die soziale Natur des Menschen
äußert sich nirgendwo besser als in der Familie. Gott schuf den Menschen als Mann
und Frau, also auch als Spannung in der Liebe. Und diese Spannung in der Liebe ist
fruchtbar. Deshalb ist die Familie – Vater, Mutter, Kind – ein Bild Gottes. Dieses
Bild müsste zur gleichen Zeit grundlegend für jede Gesellschaft sein. Leider ist das
nicht der Fall. Johannes Paul II. hatte1981 eine Charta der Familie vorgeschlagen,
was die UNO ablehnte. Danach hat man die Familie quasi aufgeteilt, es wurden die Rechte
der Frau, die Rechte des Kindes, und andere Rechte daraus. Das lief parallel zum Prozess
der Individualisierung. Aber wer ist der, der das alles regelt? Der postmoderne Mensch,
der, indem er Gott ablehnt, gleichzeitig die Struktur der Gesellschaft als Familie
ablehnt. Ich bin sicher, der Papst wird uns Afrikaner daran erinnern, dass alle diese
großen Werte gerettet werden müssen.
Das wäre natürlich ein immenser Auftrag
an Afrika, wenn wir daran denken, wie sehr die Weltöffentlichkeit heute von westlichen
Kräften bestimmt ist…
„In der Tat haben die Atheisten, die Nichtglaubenden,
heute die öffentliche Debatte auf internationaler Ebene vereinnahmt. Etwa bei der
UNO. Sie haben den Vereinten Nationen ihre Gesetze auferlegt. Sie haben eine Option
gegen Gott getroffen, die sich als Option gegen den Menschen erwies. Ich wünsche mir,
dass dieser Papst Afrika bittet, uns dieser Sache anzunehmen, gemeinsam mit anderen
christlichen Nationen, sodass man auf der UNO-Ebene offen sagen kann: Der Westen hat
eine schlechte Wahl getroffen. Die Entscheidung gegen Gott ist eine Entscheidung gegen
den Menschen. Ihr könnt uns nicht ein Recht ohne Gott auferlegen, ein Recht, das letztlich
sich auf eine Ideologie reduziert, die einen kleinen Teil der Menschheit abbildet.“
Sie
selbst, Herr Bischof, gehören dem Ratzinger-Schülerkreis an, kennen Benedikt XVI.
seit Jahrzehnten. Wie sieht dieser Papst Afrika?
„Ich kenne Papst Benedikt
als einen großen Europäer, der aber nicht im Geringsten europazentristisch ist. Er
geht von Europa aus und beschäftigt sich viel mit dem Erbe der Vernunft Europas. Ratzinger,
bei dem ich meine Doktorarbeit gemacht habe, war stets sehr offen für die afrikanischen
Kulturen. Auf gewisse Weise hat er viel von der afrikanischen Kultur aufgenommen.
Da gibt es diese Aussage von Johannes XXIII., der sagte: Wenn wir mit den anderen
reden, wollen wir uns ihnen nicht aufdrängen, aber wir sollen uns auch nicht kleinmachen,
um mehr Gehör zu finden. Der andere erwartet von dir das Beste, was du hast, um sich
mit dir auszutauschen. So erwartet Ratzinger von Afrika, dass es das Beste von sich
selber zum Ausdruck bringt. Ich wünsche mir vom Papst in Afrika, dass er die Bischöfe,
Priester und Laien dazu einlädt, Glaube und Vernunft zu vereinen. Sie sollen die Heiligung
der Kultur suchen von ihrem Innersten her. Und sie sollen nicht nur Verwalter sein,
sondern Bischöfe, die tief spirituell sind, und Menschen, die die Vernunft gebrauchen.“