EU: Warum die Kirche für die Finanztransaktionssteuer ist
Auch die Kirche will eine Finanztransaktionssteuer und eine Entwicklung von internationalen
Institutionen, die nicht nur nationale Interessen vertreten. Das sagt Pater Frank
Turner, Leiter des katholischen Büros des Jesuitenordens bei den europäischen Institutionen
in Brüssel. Er sprach bei der 14. Dialogtagung von Europäischer Volkspartei mit Religionsvertretern
im ungarischen Esztergom. Der päpstliche Rat für Gerechtigkeit und Frieden hatte gerade
dazu erst vor wenigen Wochen ein Dokument vorgestellt. Wir haben ihn gefragt, was
die vom Vatikan darin geforderten neuen weltweiten Instrumente zur Finanzkontrolle
sein könnten.
„Es ist sicherlich schwierig zu sagen, wie das aussehen könnte.
Papst Benedikt war deswegen in seiner Enzyklika ‚Caritas in Veritate’ sehr vorsichtig,
Details zu nennen. Das Problem ist, dass es internationale Strukturen wie etwa die
Vereinten Nationen gibt und jeder die damit verbundenen Probleme kennt. Sobald man
ein System etabliert, drückt dieses die Machtbeziehungen in der Welt aus. So gibt
es etwa im Weltsicherheitsrat das Veto, mit dem einige Länder alles blockieren können,
was sie nicht wollen. Russland, die Vereinigten Staaten und China nutzen das von Zeit
zu Zeit. Großbritannien ist es immer noch sehr wichtig, ständiges Mitglied dort zu
sein. Man kann also gar kein internationales System errichten, das sozusagen moralisch
frei wäre von den Machtbeziehungen, die die UNO bestimmen. Deswegen war weder Papst
Johannes Paul II., noch Papst Johannes XXIII., der auch schon über eine Art von internationaler
Regierung angedacht hatte, oder auch Papst Benedikt naiv genug zu glauben, dass man
durch ein internationales System erreichen könnte, dass alle großzügig zueinander
sind.“
Bei aller Kritik an diesen Organisationen sieht Turner aber auch
Tendenzen, über die Nationalen und sektoriellen Grenzen, die sich in den internationalen
Organisationen ausdrücken, hinauszugehen, neben der UNO und der EU auch in der Weltbank
oder der Welthandelsorganisation oder die UNESCO.
„In einigen Gebieten gibt
es aber auch ein klares Fehlen einer jeglichen Autorität, zu sehen etwa beim weltweiten
Flüchtlingsproblem oder dem Umweltschutz. Der Vorschlag Papst Benedikts ist es, nicht
eine Weltregierung zu versuchen, sondern eine neue Art des Regierens in den Blick
zu nehmen, die mit Abstand etwa auf die Weltfinanzkrise schauen kann und nicht nur
schlicht die Interessen einzelner Staaten oder Machtblöcke verteidigt. Im
Detail wird das natürlich sehr schwierig; es geht nur Schritt für Schritt, wie es
auch hier bei dem Treffen deutlich wurde. Allmählich geht es etwa dadurch, dass aus
den G7 die G20 werden und so Ländern Stimme geben, die vorher ausgeschlossen waren,
auch großen Ländern wie Brasilien oder Südafrika. Vor nicht allzu langer
Zeit hat Papst Benedikt dem damaligen britischen Ministerpräsidenten Gordon Brown
aus Anlass eines G7 Treffens geschrieben, dass man nicht vergessen dürfe, dass auch
bei den G20 außer Südafrika ganz Afrika keine Stimme habe. Kein zweites Land ist in
den G20. Auch wenn das System allmählich besser wird, gibt es immer noch große Rückstände,
was etwa diese Länder betrifft. Und darum müssen wir uns kümmern.“
Im Vatikandokument
aus dem päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden geht es auch um die Finanztransaktionssteuer.
Auch hier sieht Pater Turner großen Handlungsbedarf.
„Das große Wachstum
an Finanzprodukten hat in den letzten zwanzig Jahren einen vom normalen Handel abgeschlossenen
Markt geschaffen. Nehmen Sie die Derivate: Da handelt man zum Beispiel nicht Zucker
oder Öl, sondern den zukünftigen Preis von Öl. Es geht nur um Preise. Man ist gar
nicht an Zucker oder Öl selbst interessiert, oder daran, ob das gut oder schädlich
ist, sondern nur in den Preis. Ein riesiger Teil ökonomischer Aktivitäten dreht sich
darum. Geld in Billionen-Größen bewegt sich auf den Märkten in unglaublichen Geschwindigkeiten.
Bisher gibt es keinen Weg, darauf Steuern zu erheben. Wir besteuern Arbeit,
wir besteuern Gewinne, wir besteuern Waren durch Mehrwertsteuern, warum sollte diese
riesige Menge an Geld sich am allgemeinen Steuersystem nicht beteiligen? Es
ist schwer, dass zu schaffen, aber wenn es moderne technische Systeme gibt, das Geld
zu bewegen, muss es auch Systeme geben, es zu bewerten und zu besteuern. Das brauchen
wir.“
Das wollen aber nicht alle, auch wenn die Europäische Union etwa
im Prinzip dafür ist. Vor allem Großbritannien sei dagegen, denn das Bankwesen und
damit diese Finanzprodukte hätten sich zum wichtigsten Exportprodukt des Landes entwickelt.
Eine Steuer würde den Handel verzerren, das Zentrum würde sich schlicht ins Ausland
verlagern.
„Das ist ein Risiko. Das Gegenargument lautet, dass wenn man
wartet bis alle mitmachen, es niemals eine Steuer geben wird. Die EU muss sich jetzt
um das eigene System kümmern und sich dann für ein weitergehendes System einsetzen,
dass über Europa hinaus geht. Solange nationale Eigeninteressen absolut gesetzt werden,
kann es in der Wirtschaft, die ja nicht mehr national sondern global ist, keine Gerechtigkeit
geben. Trotzdem tun wir noch immer so, als ob jeder Staat sein eigener Herr sei.“