Syrien: „Revolution in anderen Ländern ist kein Modell“
Die Christen in Syrien
betrachten die gegenwärtigen Proteste und Auflehnungen gegen das Regime Baschar al-Assad
mit „großer Sorge". Dies sagte der syrisch-orthodoxe Metropolit von Aleppo, Yohanna
Ibrahim Gregorios, am Mittwoch in Wien.
„Syrien ändert sich. Aber niemand
weiß, wie das aussehen wird. Wir haben in unserer Region zwei verschiedene Vorbilder:
Da ist zum einen Irak, und wir möchten nicht, dass sich die Geschichte dieses Landes
in Syrien wiederholt. Wir wollen nicht, dass Christen in kürzester Zeit überallhin
als Flüchtlinge kommen. Und wir wollen nicht, dass Christen aufgefordert werden, das
Land zu verlassen. Das andere Beispiel ist Ägypten. Wir werden sehen, ob die Demokratie
sich dort durchsetzen wird oder nicht. Ich denke, dass die gesamte Region
auf ein Modell wartet, ein Vorbild, an dem man sich ausrichten kann. Bislang haben
wir das nicht, weder in Tunesien, noch in Ägypten. Libyen oder der Jemen kommen da
gar nicht vor. Syrien ist ein völlig eigenes Land, anders als Libyen oder
Ägypten. Da geht es noch um Wichtigeres, die Beziehungen zwischen Israel und Syrien
sind ganz oben auf der Prioritätenliste der Welt. Dieser Friedensprozess ist sehr
wichtig, dazu kommen die Beziehungen mit dem Iran oder der Hisbollah im Libanon, das
alles gibt es nicht in den anderen Ländern.“
Sorgen bereite den Christen
vor allem eine drohende „Welle der Islamisierung“ in einem post-revolutionären Syrien.
Diese sei für die Christen bereits jetzt zu spüren. Zugleich erinnert der Metropolit
daran, dass das Regime gerade für die Religionsgemeinschaften auch ein „hohes Maß
an Sicherheit und Stabilität" gebracht habe.
„Wenn Sie mich fragen, wo die
Christen heute stünden, muss ich sagen, dass es keine einheitliche Meinung der Christen
gibt. Die Leitung der Kirchen glaubt zum Beispiel, dass Stabilität sehr wichtig ist.
Alle glauben aber auch, dass Syrien einen Wandel braucht, der mehr Demokratie bringt,
mehr Freiheit, freie Wahlen und Gleichheit in der Gesellschaft. Das ist vor allem
wichtig, denn in einer Gesellschaft ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Fortschritt.
Die Kirchenleitungen glauben daran, dass es einen Wandel mit all dem geben kann, ohne
dass es zu einem blutigen Aufstand kommt. Jetzt aber kommt der Wandel durch Blutvergießen
und durch Demonstrationen, die nicht immer friedliche Demonstrationen sind.“
Ob
man diese Entwicklung einen „Frühling“ nennen könne, wisse er nicht, denn es sei völlig
unklar, was kommen werde. Ägypten habe zwar eine gewisse Hoffnung gegeben, aber er
selber sei immer noch über einen Punkt sehr beunruhigt:
„Die Welle des überall
wachsenden Fundamentalismus. Alle wollen jetzt wissen, was der Islam ist, was man
da tun muss. Die meisten Frauen gehen jetzt verschleiert. Wenn Sie eine Moschee besuchen,
sehen Sie dort Hunderttausende von Menschen, die dorthin gehen um zu beten, aber auch
um sich belehren zu lassen durch Predigten über die Zukunft des Landes und ihrer Familien.
Das ist für uns völlig neu. Wir wissen nicht, ob sich der Islam auf diese Art und
Weise weiterentwickeln wird. Wenn er das tut, dann müssen wir eine völlig geänderte
Situation erwarten, eine Welle der Islamisierung im Land.“
Gregorios ist
einer der Teilnehmer des dritten „Colloquium Syriacum", das auf Einladung der Stiftung
„Pro Oriente" derzeit in Wien stattfindet. Kirchenvertreter des gesamten Nahen Ostens
beraten noch bis Freitag über die aktuellen Herausforderungen für die Christen unter
dem Eindruck des „Arabischen Frühlings". Zugleich ist es erklärtes Ziel der Tagung,
die Kooperation der Kirchen im Nahen Osten zu stärken, wie es die Nahost-Synode im
Vatikan im Herbst 2010 empfohlen hatte.
„Wir verlassen uns vor allem auf
einen ‚Dialog des Lebens’. Das bedeutet, dass wir gemeinsam leben und uns nicht voneinander
abspalten können. Wir können nicht für uns selber getrennt leben, denn heute ist alles
offen. Ich kann ein Beispiel geben: Ich bin verantwortlich für vier Schulen. 40 %
aller Schüler sind Muslime. Sie besuchen unsere Schulen, unsere christlichen Schulen,
und werden dort unterrichtet, selbst in ihrer eigenen Religion. Unser Curriculum sieht
das so vor. Das ist uns sehr wichtig. Wir bilden die nächste Generation aus, auch
die nächste Generation der Muslime. Das ist ein Weg des ganz alltäglichen Dialoges
mit den Muslimen. Wir glauben an diesen Dialog und wollen den verstärken, denn sonst
können wir gar nicht weiter kommen.“