2011-11-10 10:27:39

Syrien: „Revolution in anderen Ländern ist kein Modell“


RealAudioMP3 Die Christen in Syrien betrachten die gegenwärtigen Proteste und Auflehnungen gegen das Regime Baschar al-Assad mit „großer Sorge". Dies sagte der syrisch-orthodoxe Metropolit von Aleppo, Yohanna Ibrahim Gregorios, am Mittwoch in Wien.

„Syrien ändert sich. Aber niemand weiß, wie das aussehen wird. Wir haben in unserer Region zwei verschiedene Vorbilder: Da ist zum einen Irak, und wir möchten nicht, dass sich die Geschichte dieses Landes in Syrien wiederholt. Wir wollen nicht, dass Christen in kürzester Zeit überallhin als Flüchtlinge kommen. Und wir wollen nicht, dass Christen aufgefordert werden, das Land zu verlassen. Das andere Beispiel ist Ägypten. Wir werden sehen, ob die Demokratie sich dort durchsetzen wird oder nicht.
Ich denke, dass die gesamte Region auf ein Modell wartet, ein Vorbild, an dem man sich ausrichten kann. Bislang haben wir das nicht, weder in Tunesien, noch in Ägypten. Libyen oder der Jemen kommen da gar nicht vor.
Syrien ist ein völlig eigenes Land, anders als Libyen oder Ägypten. Da geht es noch um Wichtigeres, die Beziehungen zwischen Israel und Syrien sind ganz oben auf der Prioritätenliste der Welt. Dieser Friedensprozess ist sehr wichtig, dazu kommen die Beziehungen mit dem Iran oder der Hisbollah im Libanon, das alles gibt es nicht in den anderen Ländern.“

Sorgen bereite den Christen vor allem eine drohende „Welle der Islamisierung“ in einem post-revolutionären Syrien. Diese sei für die Christen bereits jetzt zu spüren. Zugleich erinnert der Metropolit daran, dass das Regime gerade für die Religionsgemeinschaften auch ein „hohes Maß an Sicherheit und Stabilität" gebracht habe.

„Wenn Sie mich fragen, wo die Christen heute stünden, muss ich sagen, dass es keine einheitliche Meinung der Christen gibt. Die Leitung der Kirchen glaubt zum Beispiel, dass Stabilität sehr wichtig ist. Alle glauben aber auch, dass Syrien einen Wandel braucht, der mehr Demokratie bringt, mehr Freiheit, freie Wahlen und Gleichheit in der Gesellschaft. Das ist vor allem wichtig, denn in einer Gesellschaft ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Fortschritt. Die Kirchenleitungen glauben daran, dass es einen Wandel mit all dem geben kann, ohne dass es zu einem blutigen Aufstand kommt. Jetzt aber kommt der Wandel durch Blutvergießen und durch Demonstrationen, die nicht immer friedliche Demonstrationen sind.“

Ob man diese Entwicklung einen „Frühling“ nennen könne, wisse er nicht, denn es sei völlig unklar, was kommen werde. Ägypten habe zwar eine gewisse Hoffnung gegeben, aber er selber sei immer noch über einen Punkt sehr beunruhigt:

„Die Welle des überall wachsenden Fundamentalismus. Alle wollen jetzt wissen, was der Islam ist, was man da tun muss. Die meisten Frauen gehen jetzt verschleiert. Wenn Sie eine Moschee besuchen, sehen Sie dort Hunderttausende von Menschen, die dorthin gehen um zu beten, aber auch um sich belehren zu lassen durch Predigten über die Zukunft des Landes und ihrer Familien. Das ist für uns völlig neu. Wir wissen nicht, ob sich der Islam auf diese Art und Weise weiterentwickeln wird. Wenn er das tut, dann müssen wir eine völlig geänderte Situation erwarten, eine Welle der Islamisierung im Land.“

Gregorios ist einer der Teilnehmer des dritten „Colloquium Syriacum", das auf Einladung der Stiftung „Pro Oriente" derzeit in Wien stattfindet. Kirchenvertreter des gesamten Nahen Ostens beraten noch bis Freitag über die aktuellen Herausforderungen für die Christen unter dem Eindruck des „Arabischen Frühlings". Zugleich ist es erklärtes Ziel der Tagung, die Kooperation der Kirchen im Nahen Osten zu stärken, wie es die Nahost-Synode im Vatikan im Herbst 2010 empfohlen hatte.

„Wir verlassen uns vor allem auf einen ‚Dialog des Lebens’. Das bedeutet, dass wir gemeinsam leben und uns nicht voneinander abspalten können. Wir können nicht für uns selber getrennt leben, denn heute ist alles offen. Ich kann ein Beispiel geben: Ich bin verantwortlich für vier Schulen. 40 % aller Schüler sind Muslime. Sie besuchen unsere Schulen, unsere christlichen Schulen, und werden dort unterrichtet, selbst in ihrer eigenen Religion. Unser Curriculum sieht das so vor. Das ist uns sehr wichtig. Wir bilden die nächste Generation aus, auch die nächste Generation der Muslime. Das ist ein Weg des ganz alltäglichen Dialoges mit den Muslimen. Wir glauben an diesen Dialog und wollen den verstärken, denn sonst können wir gar nicht weiter kommen.“

(kap 09.11.2011 ord)







All the contents on this site are copyrighted ©.