Auf Druck der Märkte
und der EU geht in Italien die Ära Silvio Berlusconi zu Ende –fünfzehn Jahre, die
das Land geprägt haben. Noch an diesem Wochenende wird damit gerechnet, dass der Ministerpräsident
seinen angekündigten Rücktritt wahrmacht; dann liegt das weitere Prozedere in den
Händen von Staatspräsident Giorgio Napolitano. Dieser könnte z.b. Neuwahlen ansetzen;
er könnte aber auch versuchen, eine von einem „Experten“ geführte Regierung mit möglichst
breiter Mehrheit auf die Beine zu stellen, um nötige Reformen im Land durchzuführen.
Auch im Vatikan werden die politischen Manöver dieser Tage mit angehaltenem Atem verfolgt.
Unsere italienischen Kollegen sprachen mit Antonio Maria Baggio, der an der Sophia-Universität
von Loppiano Politische Ethik unterrichtet.
„Italien muss angesichts des
Drucks von außen Würde und Respekt wiedererlangen. Das Land ist überreich an Ressourcen
– wir müssen eine politische Lage schaffen, die diesen Ressourcen das Aufblühen erlaubt.
Hier steht nicht Italiens Souveränität auf dem Spiel; vielmehr muss das ganze Europa
einen Sprung nach vorne machen, es muss seine besten Kräfte zusammenballen, um den
Prozess der politischen Einigung Europas zu vollenden. Italien als Mitgründerin Europas
muss dabei wieder die Rolle spielen, die ihm zukommt. Es ist die drittgrößte Volkswirtschaft
auf diesem Kontinent!“
Italien sortiere sich in diesen Tagen neu: Da sei
es vor allem wichtig, schnell eine handlungsfähige Regierung zu bekommen. Baggio schwebt
ein „Kabinett des Übergangs und des Waffenstillstands“ bis zu den nächsten regulären
Wahlen von 2013 vor. Und dann spricht sich der Professor für Politische Ethik für
eine „neue Methode“, einen neuen Stil in der italienischen Politik aus: „ohne diesen
Hass, diese Wut, dieses Klima der Konfrontation, das wir in diesen Jahren erlebt haben“.
Dabei könnten „auch die Katholiken eine wichtige Rolle spielen, weil sie im sozialen
Feld sehr präsent sind“. Der Hintergrund dazu: Der Vatikan erlaubte den katholischen
Kräften in Italien von 1870 bis nach dem Ersten Weltkrieg nicht die Gründung einer
eigenen Partei; darum warfen sie sich ganz ins Soziale und sind in diesem Bereich
bis heute führend.
„Im Moment fehlen unseren Politikern keineswegs Bezugspunkte
aus der katholischen Lehre. Die christliche Soziallehre ist wohl die solideste gedankliche
Struktur: Sie hat gezeigt, dass sie auch in ganz verschiedenen Zeitläuften Bestand
hat. Man muss sie anwenden, und dafür brauchen wir eine Kraftanstrengung aller Christen,
die in der italienischen Politik engagiert sind. Eines muss dabei aber klar sein:
Die Christen, die aktiv für die katholische Seele in der italienischen Gesellschaft
sorgen, können keine Kirchenleute sein, auch nicht die kirchlichen Laienverbände.
Sie können für die Inspiration sorgen, aber die Handelnden müssen dann die Katholiken
als Staatsbürger sein.“