Die Ansprache des Papstes an den deutschen Botschafter, ein Auszug
Auszug aus der Ansprache des Papstes bei der Akreditierung des neuen Botschafters
der Bundesrepublik Deutschland bei Heiligen Stuhl, Reinhard Schweppe.
Der
offizielle Besuch eines Papstes in Deutschland mag Anlass sein, einmal darüber nachzudenken,
welchen Dienst die katholische Kirche bzw. der Heilige Stuhl in einer pluralistischen
Gesellschaft, wie sie in unserem Heimatland gegeben ist, leisten kann. Viele Zeitgenossen
sehen den Einfluss des Christentums wie auch anderer Religionen darin, eine bestimmte
Kultur und Lebensweise in der Gesellschaft zu prägen. Eine Gruppe von Gläubigen markiert
durch ihr Verhalten bestimmte Formen des sozialen Lebens, die von anderen Menschen
übernommen werden und so der Gesellschaft einen spezifischen Charakter geben. Diese
Auffassung ist nicht falsch, aber sie schöpft das Selbstverständnis der katholischen
Kirche nicht aus. Zweifellos bildet die Kirche auch eine kulturelle Gemeinschaft und
wirkt auf diese Weise in die jeweiligen Gesellschaften hinein, in denen sie besteht.
Aber sie ist dennoch überzeugt, nicht nur kulturelle Gemeinsamkeiten in verschiedenen
Formen in den Ländern gebildet zu haben, wie sie umgekehrt von deren Überlieferungen
mitgeformt wird. Sie hat darüber hinaus das Bewusstsein, durch ihren Glauben Wahrheit
über den Menschen zu wissen und damit zum Eintreten für die Werte verpflichtet zu
sein, die unabhängig von den jeweiligen Kulturen für den Menschen als solchen gelten.
Sie unterscheidet zwischen dem Spezifischen ihres Glaubens und den Vernunftwahrheiten,
für die er den Blick öffnet und die auch unabhängig von diesem Glauben dem Menschen
als Menschen zugänglich sind. Glücklicherweise ist ein Grundbestand an allgemeinen
menschlichen Werten in unserer Verfassung von 1949 und in den Menschenrechtserklärungen
nach dem Zweiten Weltkrieg zu positivem Recht geworden, weil Menschen nach den Schrecknissen
der Diktatur die auf ihre anthropologische Wahrheit gründende Allgemeingültigkeit
dieser Werte erkannt und zu geltendem Recht gestaltet haben. Heute stehen aber erneut
Grundwerte des Menschseins zur Debatte, in denen es um die Würde des Menschen als
Menschen geht. Hier sieht die Kirche über den Raum ihres Glaubens hinaus eine Pflicht,
im Ganzen unserer Gesellschaft für die Wahrheiten und Werte einzutreten, bei denen
die Menschenwürde als solche auf dem Spiel steht. So kommt uns – um einen besonders
wichtigen Punkt anzusprechen – keinerlei Urteil darüber zu, ob ein Individuum „schon
Mensch“ oder „noch Mensch“ ist, und ebenso wenig steht uns zu, den Menschen zu manipulieren
und sozusagen machen zu wollen. Eine Gesellschaft ist nur dann wahrhaft menschlich,
wenn sie die Würde jeder Person von der Zeugung bis zum natürlichen Tod respektiert
und uneingeschränkt schützt. Wenn sie sich aber entschließen würde, ihre schutzbedürftigsten
Mitglieder auszusortieren, Menschen vom Menschsein auszuschließen, verhielte sie sich
zutiefst inhuman und auch unwahrhaftig angesichts der für jeden Menschen guten Willens
einsichtigen Gleichheit der Würde aller Menschen in allen Lebensstadien. Wenn der
Heilige Stuhl in Grundfragen der Menschenwürde, wie sie sich heute in vielen Bereichen
der pränatalen Existenz des Menschen stellen, in den Bereich der Gesetzgebung hineinspricht,
so tut er es nicht, um den Glauben indirekt anderen aufzuzwingen, sondern um Werte
zu verteidigen, die als Wahrheiten des Menschseins grundsätzlich für alle einsichtig
sind, auch wenn Interessen verschiedener Art diese Einsichtigkeit vielfach zu verdunkeln
suchen. An dieser Stelle möchte ich noch einen anderen bedenklichen Aspekt ansprechen,
der, wie es scheint, durch materialistische und hedonistische Tendenzen vor allem
in den Ländern der sogenannten westlichen Welt um sich greift, nämlich die geschlechtliche
Diskriminierung von Frauen. Jeder Mensch, ob Mann oder Frau, ist dazu bestimmt, für
den anderen da zu sein. Eine Beziehung, welche nicht beachtet, dass Mann und Frau
die gleiche Würde besitzen, bedeutet ein schweres Vergehen gegen die Menschlichkeit.
Hier ist es an der Zeit, Prostitution wie auch die weite Verbreitung von Material
erotischen oder pornographischen Inhalts, gerade auch über das Internet, energisch
einzuschränken. Der Heilige Stuhl wird darauf achten, dass der notwendige Einsatz
gegenüber diesen Missständen seitens der katholischen Kirche in Deutschland vielfach
entschiedener und deutlicher erfolgt. Bei den langjährigen und einvernehmlichen
Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Heiligen Stuhl dürfen
wir insgesamt viele gute Ergebnisse vermerken. Es ist erfreulich, dass die katholische
Kirche in Deutschland ausgezeichnete Möglichkeiten des Wirkens hat, dass sie das Evangelium
frei verkünden und in zahlreichen sozialen und karitativen Einrichtungen bedürftigen
Menschen helfen kann. Für die konkrete Unterstützung dieser Arbeit seitens des Bundes,
der Länder und der Gemeinden bin ich wirklich dankbar. Unter den vielen Aspekten einer
dankenswert positiven Zusammenarbeit zwischen dem Staat und der katholischen Kirche
will ich nur als Beispiel den Schutz des kirchlichen Arbeitsrechts durch das staatliche
Recht anführen sowie des weiteren die Unterstützung der katholischen Schulen wie auch
der kirchlichen Einrichtungen im karitativen Bereich, deren Arbeit ja letztlich dem
Wohl aller Bürger dient.