2011-11-02 13:54:34

Thailand: Katastrophe in Zeitlupe


RealAudioMP3 Die Überschwemmungen in Bangkok sind eine Katastrophe in Zeitlupe. Das sagt der katholische Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde in der thailändischen Hauptstadt gegenüber Radio Vatikan. Jörg Dunsbach erläutert, dass die Menschen in Thailand zwar an heftige Regenwetter gewöhnt seien.

„Allerdings waren die Regenfälle in diesem Jahr so heftig, dass die Regenmengen so groß waren wie noch nie. Das hat zu diesen lang andauernden und außergewöhnlichen Überschwemmungen geführt. Die üblichen Vorsichtsmaßnahmen und der normale Umgang mit einer Flut konnten somit nicht durchgeführt werden. Das hat die Menschen vor größere Herausforderungen gestellt. Die Strassen, auf denen ich mich selber normalerweise bewege, sind mittlerweile weggespült. Das ist eine Situation, die für das ganze Land hier enorme Herausforderungen bedeutet. Die Menschen sind an ihre Grenzen der Belastbarkeit gelangt.“

Das Hochwasser in der Hauptstadt wird laut Behörden frühestens in zehn Tagen abgeflossen sein. So lange werde es mindestens dauern, bis die 5,5 Milliarden Kubikmeter Wasser ins Meer gelaufen sind. Bei den schwersten Überschwemmungen seit fünfzig Jahren sind im ganzen Land mindestens 384 Menschen ums Leben gekommen.

„Thailand ist natürlich sehr stark von dem buddhistischen und sogar vom hinduistischen Erbe geprägt. Die Menschen lernen von frühester Kindheit an, das Leben als Leid zu sehen. Ihre Gefühle versuchen sie dann soweit im Zaun zu halten, dass sie möglichst viel ertragen können. Das ist sich natürlich von Vorteil, wenn Menschen in solche extremen Situationen kommen. Sie sind dann zwar traumatisiert, verlieren aber nicht den Kopf. In einer gewissen Kühle können sie die Situation ertragen und dann im nächsten Schritt überlegen, was zu tun ist.“

Verärgerte Bewohner überschwemmter Außenbezirke von Bangkok bringen die Stadt nach Angaben des Gouverneurs erneut in Hochwassergefahr. 17 der 50 Bangkoker Bezirke sind teilweise überschwemmt.

„Wir erinnern uns noch gut an die Tsunami-Katastrophe vor fünf Jahren. Die war gewissermaßen spektakulärer als die jetzige Katastrophe, weil die Flut über das Land und vor allem auch über die bekannten Urlaubsziele eingebrochen war. Leider gab es ja auch wesentlich mehr Opfer. Allerdings waren die Zerstörungen gewissermaßen reduziert auf die Küstenbereiche. Die jetzige Katastrophe, die sich eben in Zeitlupe abgespielt hat, betrifft zwar nicht so viele Menschen, doch die Zerstörungen sind bei weitem größer als bei dem Tsunami. Deshalb muss das Land das schaffen, mit den eigenen Kräften und mit internationaler Hilfe wieder aufzubauen. Ich hoffe, dass die verschiedenen Kräfte in diesem Land sich angesichts dieser Katastrophe einigen und nicht die Notlage für eigene politische Zwecke ausnutzen.“

(rv 02.11.2011 mg)

Lesen Sie hier einen ausführlicheren Bericht von Pfarrer Jörg Donsbach, Bangkok.

Es war, ist und bleibt wohl eine Katastrophe in Zeitlupe. Die Regenfälle seit Ende September waren so schlimm wie nie zuvor, obwohl man hier mit Überschwemmungen gut umzugehen weiß. Allerdings entsprach die Regenmenge dem Vielfachen des normalen Maßes. Zunächst betraf es die nördlichen Provinzen Thailands, was man mit großem Bedauern wahrgenommen hat. Als dann die Wassermassen sich den Weg in die zentralen, tiefer gelegenen Provinzen flossen und dazu die unaufhörlichen Regenfälle dazu kamen, wuchs die überschwemmte Region ins unüberschaubare. Bei einer reise zu einem AIDS-Kinderheim nördlich von Ayutthaya konnte ich mir ein selber ein Bild der Lage machen. Die Menschen waren mit Autos und dem wenigen an Hab und Gut aus den gefluteten Landstrichen auf die höher gelegenen Straßendämme geflüchtet. Dort wurden sie von den im Lande gängigen fahrbaren Garküchen mit Wasser und Lebensmitteln versorgt. Wer auf den Dächern ausharrte, wurde vom Boot aus betreut. Allerdings schoben immer mehr Wassermassen aus dem Norden in die zentralen Bereiche vor, sodass das Wasser unaufhörlich stieg und schließlich sogar die Straßen und Befestigungsdämme überspülte und wegriss.

Kinder und Alte
Am meisten litten die Kinder und Alten, unter denen die meisten der bisher 377 Toten zu verzeichnen sind. Das Wasser kam so schnell, dass für diese Opfer jede Rettung zu spät kam. Langsam wurde die Tragödie zum festen Bestandteil der Nachrichten, erst recht, als sich abzeichnete, dass die Wassermassen nicht nur auf Bangkok und den zentralen Ablauf – den durch Bangkok fließenden Chao Phraya – zuströmten, sondern dass die Flutdämme der Stadt, die wie Venedig mit Kanälen, sog. Klongs, durchzogen ist, der erwarteten Fluthöhe nicht standhalten würden.

Dies war der Anlass zur Flucht aus der Innenstadt. Während die nördlichen, westlichen und östlichen Vorstadtbezirke nach und nach vollkommen und meterhoch überflutet wurden, versuchte man, die Wassermassen um die zentrale Innenstadt herum zu leiten und die Dämme zu verstärken. Die für den vergangenen Samstag erwartete Scheitelwelle, die mit der Flut vom Meer in der Stadt zusammentreffen sollte, erreichte allerdings nicht die kritische Marke von 2.50 m, sondern blieb bei 2.49 m stehen. Mir kam es vor wie ein Wunder, da ich zur gleichen Zeit an einem der Hauptfluttore der Stadt am Rande des Flusses stand. Seit dem ist die Höhe stabil und man rechnet in den kommenden Tagen mit einer Entspannung. Die Menschen haben es trotz einzelner dramatischer Fälle, mit einer für die Thailändische Mentalität typischen stoischen Ruhe ertragen. Dies rührt aus der buddhistischen Erziehung, das leidvolle Leben zu ertragen und keine großen Gefühlsausbrüche zu zeigen. Eine zusätzliche Belastung für die Menschen, die alles verloren haben, aber soweit internalisiert, dass sie auch in diesen Extremsituationen – zumindest zum größten Teil – die Fassung bewahrten.

Unter anderem wurde der Reis nicht nur deshalb knapp, weil es zu Hamsterkäufen und Lieferengpässen kam, sondern weil die Menschen größere Mengen an Reis den Geistern opferten – ein hinduistisches Erbe, das sich durch den ganzen Alltag der Thais zieht. So versuchten sie auf ihre Weise, in ihrer "Religion" Schutz zu finden.

Flucht
Viele allerdings haben die City verlassen und suchen in Pattaya oder dem Nord-Osten des Landes Schutz. Langsam strömen die Menschen nun wieder zurück. Unterdessen wurde von staatlicher, militärischer und ziviler Seite aus unmittelbar geholfen, soweit dies überhaupt möglich war. Wasser, Lebensmittel und Reis wurden von der Stadtbevölkerung gespendet und verteilt. Ebenso die internationale Hilfe durch Caritas International, Rotes Kreuz oder die Kirchen vor Ort war sofort angelaufen.

Problematisch sind nun mehrere Szenarien:
Erstens sind von den überschwemmten 2/3 der Provinzen Thailand viele in mehrfacher Hinsicht zerstört. Nicht nur Menschenleben, sondern auch Häuser, Straßen, Wege, Fahrzeuge, Maschinen, landwirtschaftliche Fahrzeuge, Felder, Lagerhallen, Nahrungsmittelvorräte, Produktionshallen, Industriegebiete, Unternehmen, Zulieferbetriebe, Strom-, Gas-, Wasser-, und Kanalisationslogistik und vieles mehr. Das ganze Ausmaß des Wiederaufbaus wird erst langsam – eben in Zeitlupe – deutlich.
Zweitens: Es entsteht zurzeit ein emotionales Ungleichgewicht zwischen den Menschen außerhalb der City, die unter dem Wasser leiden und den Menschen innerhalb der Stadt, die verschont geblieben sind. Vielleicht ist es noch zu früh von Aggression zu sprechen, aber der Neid und die Missgunst sind die Ventile, durch die sich die emotionale Zurückhaltung doch noch Bahn brechen könnte. Dies kann nur aufgefangen werden, wenn alle versuchen, so schnell wie möglich das land wieder aufzubauen.
Drittens: Die politische Katastrophe scheint sich bereits am Horizont abzuzeichnen. Wie es aussieht wird in diesem politisch diffizilen Geflecht die Flut nun instrumentalisiert, um politisches Kapital daraus zu schlagen. Dies wiederum hilft niemandem und wird dem Wiederaufbau sicher nicht dienlich sein.

Hoffnungen
Wir alle hoffen das Beste – und wir versuchen auch als beide christliche Kirchen mit den uns zur Verfügungstehenden Netzwerken vor Ort zu helfen, zum einen in Zusammenarbeit mit den thailändischen Kirche, zum anderen durch die Unterstützung großer internationaler Unternehmen hier im Land, aber auch in Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen aus Deutschland, sowie mit der Deutschen Botschaft hier in Bangkok.

Seit Wochen ist auch in unseren Gottesdiensten das fürbittende Gebet für die Menschen in ihrer Notlage präsent. Außerdem sind auch viele der Gemeindemitglieder unmittelbar betroffen. Langsam wird sich zeigen, wo wir gezielt Aufbauarbeit leisten können und dem Land wieder eine Perspektive geben können.

Meiner Einschätzung nach wird sich Thailand von dieser Naturkatastrophe nur erholen, wenn es gelingt, die gesellschaftlichen und politischen Kräfte zu bündeln und die Welt seinerseits die Lage der Menschen hier nicht vergisst. Der Tsunami vor fünf Jahren war zugegebener Maßen spektakulärer und kostete bedauerlicherweise wesentlich mehr Menschenleben. Die Zerstörungen aber, die das Wasser in 2/3 aller Thailändischen Provinzen angerichtet hat, sind wesentlich höher.

Es wird Jahre brauchen, bis sich wieder Normalität eingespielt hat. Wir alle beten und hoffen, dass es allen, denen dieses Land am Herzen liegt, auch gelingt.







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