Beim Friedensgebet
der Religionen in Assisi stand er nur zwei Schritte vom Papst entfernt: Rowan Williams,
der anglikanische Erzbischof von Canterbury, war einer der hochrangigsten Gäste des
Gipfels vom Donnerstag. Wir sprachen an diesem Wochenende mit dem Oberhaupt der anglikanischen
Weltkirche über seine Eindrücke in Assisi.
„Die Atmosphäre war sehr freudig
und festlich, das haben viele Leute gesagt. Dahinter steht natürlich eine bemerkenswerte
Kette von Begegnungen und Visionen, die von Papst Johannes Paul II. ausging. Der Tag
von Assisi war herzerfrischend: Er fühlte sich leicht an. Das ist vielleicht das falsche
Wort – ich will sagen: Man spürte eine Freiheit des Geistes.“
Der Papst
hat als die zwei großen Bedrohungen der Menschheit unserer Tage den Terrorismus und
die Leugnung Gottes ausgemacht. Wie kommentieren Sie das?
„Ich fand das
wirklich sehr interessant: Er gab in seinem typischen Stil eine scharfsinnige Analyse
der verschiedenen Arten von Gewalt, und er wollte nach meinem Eindruck auf dasselbe
hinaus, was auch viele andere Assisi-Teilnehmer ansprachen: dass nämlich das Leugnen
Gottes in letzter Konsequenz zur Leugnung des Menschlichen führt, und dass ein echter
Humanismus sozusagen über uns eine Verankerung haben muss. Sonst entstehen ein Anti-Humanismus,
die Religion der Terroristen, oder der anti-religiöse Humanismus der Säkularisten.
Keiner von beiden tut uns, der Welt, gut!“
Sie selbst haben in Ihrer Rede
von Assisi über unsere Unfähigkeit nachgedacht, Fremde als Nachbarn zu akzeptieren.
Ein Thema, das Ihnen offenbar sehr am Herzen liegt...
„Ja, das stimmt. Und
ich habe dazu einen meiner walisischen Lieblingsdichter zitiert: Wahrscheinlich ist
es das erste Mal, dass ein Lehrer an einer Qäkerschule in Wales in einem solchen Kontext
zitiert worden ist! Für Walter Williams stand aber das Wort „recognition“, An-Erkennung,
im Zentrum seines dichterischen Schaffens und auch dessen, was er als christlicher
Friedensaktivist tat. An-Erkennung: Du erkennst bei näherem Hinsehen im anderen etwas
von dir selbst, was es dir künftig unmöglich macht, ihn einfach nur als einen Fremden
zu behandeln. Und das bricht dann in der Moral und Spiritualität durch.“
Stimmt
es, dass Sie in der Mittagspause in Assisi, während viele Teilnehmer auf ihren Zimmern
meditierten oder auch schliefen, einen Besuch in einem Kloster gemacht haben?
„Ja,
der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel und ich sind tatsächlich entwischt, um
ein neues Haus der Ökumenischen Gemeinschaft von Bose zu besuchen, das sie in Assisi
eröffnet hat. Es war wunderbar: eine halbe Stunde bei Kaffee und Kuchen mit den Brüdern.
Dieses Kloster ist erst letzte Woche eröffnet worden, und es trägt schon den ganzen
friedlichen Geist des Mutterklosters aus dem norditalienischen Bose in sich. Zwar
kann dieses Kloster nur eine geringe Zahl von Gästen aufnehmen, aber ich gehe
schon davon aus, dass es in Zukunft eine wichtige Adresse für ökumenische Begegnungen
in der Stadt des heiligen Franziskus sein wird. Ich freue mich, dass ich dass nicht
verpasst habe, auch wenn ich dafür auf meine Siesta verzichten musste!“
Der
Bürgermeister von Assisi hat am Donnerstag vorgeschlagen, man könne die Stadt doch
künftig nutzen als Ort, an dem wichtige Friedensverträge unterzeichnet werden. Was
halten Sie von dieser Idee?
„Das ist sicher eine gute Idee, auf die ich
auch andere ansprechen werde, ja. Es wäre vor allem eine sehr greifbare Erinnerung
daran, dass Friede nicht nur ein enges weltliches Ideal ist, das im 18. Jahrhundert
aufkam, sondern dass schon im Mittelalter Franziskus und die Franziskaner diesem Ideal
verpflichtet waren. Ich glaube, es schadet nicht, daran zu denken, dass einige der
großen Versöhnungsideen aus dem Evangelium herkommen.“
In Bose – Sie haben
den Ort eben schon angesprochen – fand vor ein paar Monaten die letzte Runde des katholisch-anglikanischen
Dialogs statt. Was ist aus Ihrer Sicht dabei herausgekommen?
„Der wichtigste
Fortschritt ist (wie immer bei solchen Dialogen) das Aufbauen von Beziehungen, und
Bose mit seinem ökumenischen Profil und seiner ökumenischen Gastfreundschaft spielte
dabei eine massive Rolle. Ich sehe als Ergebnis ein starkes Interesse beider Seiten
füreinander und ein großes Engagement, zusammenzuarbeiten.“
Ein weiteres
wichtiges Thema im anglikanisch-katholischen Miteinander hat sich aus dem Commonwealth-Gipfel
in Australien in diesen Tagen ergeben: Die politischen Führer haben dort beschlossen,
das jahrhundertealte Verbot aufzuheben, dass der Monarch keinen katholischen Partner
heiraten darf. Was sagen Sie dazu?
„Ich sage dazu sofort, dass diese Entscheidung
mir keinerlei schlaflose Nächte bereitet. Die harte Frage, also die Verfassungsfrage,
ist die, in welchem Glauben ein Thronerbe erzogen wird in einer anglikanischen Umgebung:
Schließlich wird ja der Thronerbe bei Amtsantritt zum juristischen Oberhaupt der Kirche
von England. Darum begrüße ich sehr das Statement, das (der katholische) Erzbischof
Vincent (Nichols) abgegeben hat. Er hat dieses Problem anerkannt und sich sehr konstruktiv
dazu geäußert. Ich denke, solange der Monarch de jure „supreme gouverneur“ der anglikanischen
Kirche von England ist, solange muss klargestellt sein, dass er in einer entsprechenden
Umgebung erzogen wird. Erzbischof vincent (Nichols) hat in diesem Zusammenhang auf
den gemeinsamen Grund hingewiesen, den Anglikaner und Katholiken längst haben.“
Könnte
das jetzt zu einer Neuauflage der Debatte führen, ob der britische Monarch wirklich
Oberhaupt der Kirche von England sein muss?
„Ich sehe natürlich, dass eine
Hochzeit im Königshaus verständlicherweise zu einem gewissen Gefühl im Volk führt,
weil das wie eine Frage der Gerechtigkeit und der Menschenrechte wirkt. Und es wirkt
auch wie eine Diskriminierung der heutigen römischen Katholiken, wenn man daran erinnert,
dass es einmal Zeiten in Großbritannien gab, als die Katholiken als eine Art Taliban
galten. Ich merke also, dass es da eine verbreitete Grundstimmung im Volk gibt, aber
ich glaube nicht, dass das Thema an sich jetzt von Volkes oder auch politischem Willen
wirklich so dringend auf die Tagesordnung gesetzt werden müsste...“
Sie
haben zu Monatsbeginn Afrika besucht, einen Kontinent, auf dem die anglikanische Kirche
wächst. Sie waren in Malawi, Simbabwe und Sambia. Was war Ihr Ziel bei dieser Reise?
„Ich
wollte vor allem einige anglikanische Ortskirchen bereisen, die jetzt kürzlich eine
schwere Zeit durchgemacht haben. In Simbabwe traf ich auf Anglikaner, die stark unter
Druck stehen. Ich habe zusammen mit einigen afrikanischen Erzbischöfen, die mich begleiteten,
der Regierung von Simbabwe klargemacht, dass wir besorgt sind über das Beschneiden
der Rechte und über die Verfolgung der Anglikaner. Und dass das nicht so eine Art
postkolonialer britischer Exzentrik ist, sondern etwas, über das die ganze anglikanische
Gemeinschaft wirklich besorgt ist. Ichglaube, diese Botschaft ist ziemlich
klar rübergekommen.“
Sie haben Präsident Robert Mugabe von Simbabwe getroffen
– was ist bei diesem Treffen herausgekommen?
„Die positivste Entwicklung
– aber wir wissen gar nicht, ob das überhaupt ein Ergebnis dieses Treffens ist – ist
die Tatsache, dass die Gerichte in Simbabwe einige positive Urteile gefällt haben
über die Rechte der legitimen anglikanischen Bischöfe. Ich habe den Eindruck, dass
den Behörden aufgegangen sein könnte, dass es sich nicht gelohnt hat, aufsässige Bischöfe,
die sich von der anglikanischen Kirche entfernen, zu unterstützen. Am Sonntag kamen
etwa 16.000 Menschen zu einer Eucharistiefeier, die wir in einem Sportstadion zelebriert
haben; gleichzeitig kamen etwa hundert zu einem rivalisierenden Gottesdienst der aufsässigen
Bischöfe. Ich glaube, das ist den Behörden nicht entgangen.“
In Großbritannien
hatten viele die Befürchtung, dass Ihre Begegnung mit Mugabe dessen Regime einen Propagandaerfolg
verschaffen würde. War Ihnen diese Befürchtung klar?
„Ich verstehe die Befürchtungen,
und ich weiß auch, wie solche Begegnungen ausgeschlachtet und zur Legitimierung von
politischen Führern dieser Art eingesetzt werden können. Aber eine Absage des Treffens
wäre womöglich noch gefährlicher gewesen! Natürlich war das ein Risiko, und ich war
auch nicht sehr darauf aus gewesen, Mugabe zu treffen – aber die anglikanische Kirche
vor Ort wünschte sich das sehr: Sie wollte, dass das Dossier mit ihren Klagen buchstäblich
von jemandem auf den Schreibtisch des Präsidenten gelegt wird, damit er nicht sagen
kann, er habe davon nichts gewußt. Und ich glaube, das war es wert, das Risiko einzugehen.“
Die
afrikanischen Anglikaner sind mit vielem, was die anglikanischen Kirchen in anderen
Teilen der Welt machen, nicht einverstanden, und das führt zu Spaltungen. Hatte der
Papst auch die Anglikaner im Blick, als er in Assisi äußerte, die Art und Weise, wie
Religion heute vielfach praktiziert werde, verstelle die Sicht auf Gott und mache
die Menschen vom Glauben abspenstig?
„Ich vermute, dass der Papst da auch
andere und nicht nur Anglikaner im Blick hatte! Aber Anglikaner natürlich auch. Es
ist nie gut, wenn alle wissen, wogegen Christen sind, aber keiner mehr weiß, wofür
Christen eigentlich positiv einstehen. Wir hatten ein gutes Gespräch mit Erzbischof
Fisichella vom Päpstlichen Rat für die Neuevangelisierung, und da war das genau der
Punkt: Wie zeigen wir stärker, wofür wir positiv stehen? Ich glaube, die Ereignisse
von Assisi waren sehr hilfreich dabei, wieder klarzumachen: Wir stehen für das Evangelium.“
Werden
Sie nächstes Jahr auch eine Rolle bei der vatikanischen Bischofssynode zur Neuevangelisierung
spielen?
„Es gibt da Möglichkeiten, die aber noch nicht konkret sind. Bei
unserem Gespräch mit Fisichella haben wir aber beschlossen, nicht nur bei der Synode,
sondern noch weitergehender zu kooperieren. Es geht vor allem um einen Gedankenaustausch
über Erfahrungen und Methoden bei der Neuevangelisierung. Erzbischof Fisichella und
seine Mitarbeiter waren sehr interessiert an den Aktivitäten britischer anglikanischer
Gruppen; sie hatten auch schon Kontakte zu den Alphakursen. Also, da gibt es noch
viele Wege zu entdecken.“
Vor vierhundert Jahren wurde in Großbritannien
die berühmte King James Bible, die britische Bibelübersetzung, herausgegeben. Die
anglikanische Kirche feiert das dieses Jahr ausgiebig. Was ist das Wichtige an diesem
Datum?
„Schon das Erstellen der King James Bible war in gewisser Hinsicht
ein ökumenisches Ereignis: Es brachte Gelehrte und Bischöfe zusammen, die ansonsten
keine Zeit miteinander hätten verbringen wollen. Dadurch wurde diese Bibelausgabe
aber auch zu etwas, das als Anker christlicher Identität jenseits des konfessionellen
Streits angesehen werden konnte. Zweitens ging die Sprache dieser Bibel allen, die
in dieser Zeit englisch sprachen, unter die Haut und schuf Begriffe. Und drittens
– das ist am schwierigsten zu erklären – spricht diese damals gefundene Sprache in
gewisser Weise immer noch zu den Menschen von heute, weil sie sich ernst anhört. Sie
kommt aus einer Zeit, wo es ein Idiom für das Feierliche gab, wie es das heute eigentlich
nicht mehr gibt. Und nun wollen wir zwar nicht, dass Religion altertümlich oder altmodisch
klingt, aber wir brauchen dennoch Momente in unserer liturgischen Praxis und bei der
Bibellesung, in denen wir daran erinnert werden: Wir reden hier über etwas anderes
als über das tägliche Geschäft zuhause und auf der Straße. Es ist etwas Außerordentliches,
auch etwas Erschreckendes – und dafür steht die Sprachgebung der King James Bible
in unseren Ohren heute noch. Zwar sollten wir sie nicht bei jedem Gottesdienst wieder
hervorziehen, aber wir sollten auch nicht diese Art und Weise, über Gott und zu Gott
zu sprechen, aus dem Blick verlieren, denn das wäre ein großer Verlust.“
Sie
nannten die King James Bible gerade ein sozusagen ökumenisches Projekt – aber sie
wurde doch erstellt, damit es eine offizielle Bibelausgabe mit dem Stempel der Kirche
von England gab! Kann man das heute wirklich ökumenisch feiern?
„Ich meinte
mit ökumenisch, dass diese Bibel innerhalb der Kirche von England eine sehr breite
Koalition von Menschen zusammenhielt. Natürlich sollte sie die Genfer Bibelübersetzung
mit ihren gefährlichen calvinistischen Fußnoten zurückdrängen – gefährlich deswegen,
weil der Calvinismus einen Sturz ungerechter Regierungen erlaubte. Und natürlich war
das auch ein Muskelspiel staatlicher Macht in kirchlichen Dingen. Aber wie einige
Kommentatoren dieses Jahr herausgestrichen haben: Das Überraschende ist, dass die
King James Bible diesen Umständen entkommen ist und zu etwas viel Größerem wurde.“