2011-10-31 11:13:28

Anglikanischer Primas: „Bei Neuevangelisierung zusammenarbeiten“


RealAudioMP3 Beim Friedensgebet der Religionen in Assisi stand er nur zwei Schritte vom Papst entfernt: Rowan Williams, der anglikanische Erzbischof von Canterbury, war einer der hochrangigsten Gäste des Gipfels vom Donnerstag. Wir sprachen an diesem Wochenende mit dem Oberhaupt der anglikanischen Weltkirche über seine Eindrücke in Assisi.

„Die Atmosphäre war sehr freudig und festlich, das haben viele Leute gesagt. Dahinter steht natürlich eine bemerkenswerte Kette von Begegnungen und Visionen, die von Papst Johannes Paul II. ausging. Der Tag von Assisi war herzerfrischend: Er fühlte sich leicht an. Das ist vielleicht das falsche Wort – ich will sagen: Man spürte eine Freiheit des Geistes.“

Der Papst hat als die zwei großen Bedrohungen der Menschheit unserer Tage den Terrorismus und die Leugnung Gottes ausgemacht. Wie kommentieren Sie das?

„Ich fand das wirklich sehr interessant: Er gab in seinem typischen Stil eine scharfsinnige Analyse der verschiedenen Arten von Gewalt, und er wollte nach meinem Eindruck auf dasselbe hinaus, was auch viele andere Assisi-Teilnehmer ansprachen: dass nämlich das Leugnen Gottes in letzter Konsequenz zur Leugnung des Menschlichen führt, und dass ein echter Humanismus sozusagen über uns eine Verankerung haben muss. Sonst entstehen ein Anti-Humanismus, die Religion der Terroristen, oder der anti-religiöse Humanismus der Säkularisten. Keiner von beiden tut uns, der Welt, gut!“

Sie selbst haben in Ihrer Rede von Assisi über unsere Unfähigkeit nachgedacht, Fremde als Nachbarn zu akzeptieren. Ein Thema, das Ihnen offenbar sehr am Herzen liegt...

„Ja, das stimmt. Und ich habe dazu einen meiner walisischen Lieblingsdichter zitiert: Wahrscheinlich ist es das erste Mal, dass ein Lehrer an einer Qäkerschule in Wales in einem solchen Kontext zitiert worden ist! Für Walter Williams stand aber das Wort „recognition“, An-Erkennung, im Zentrum seines dichterischen Schaffens und auch dessen, was er als christlicher Friedensaktivist tat. An-Erkennung: Du erkennst bei näherem Hinsehen im anderen etwas von dir selbst, was es dir künftig unmöglich macht, ihn einfach nur als einen Fremden zu behandeln. Und das bricht dann in der Moral und Spiritualität durch.“

Stimmt es, dass Sie in der Mittagspause in Assisi, während viele Teilnehmer auf ihren Zimmern meditierten oder auch schliefen, einen Besuch in einem Kloster gemacht haben?

„Ja, der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel und ich sind tatsächlich entwischt, um ein neues Haus der Ökumenischen Gemeinschaft von Bose zu besuchen, das sie in Assisi eröffnet hat. Es war wunderbar: eine halbe Stunde bei Kaffee und Kuchen mit den Brüdern. Dieses Kloster ist erst letzte Woche eröffnet worden, und es trägt schon den ganzen friedlichen Geist des Mutterklosters aus dem norditalienischen Bose in sich. Zwar kann dieses Kloster nur eine geringe Zahl von Gästen aufnehmen, aber ich gehe schon davon aus, dass es in Zukunft eine wichtige Adresse für ökumenische Begegnungen in der Stadt des heiligen Franziskus sein wird. Ich freue mich, dass ich dass nicht verpasst habe, auch wenn ich dafür auf meine Siesta verzichten musste!“

Der Bürgermeister von Assisi hat am Donnerstag vorgeschlagen, man könne die Stadt doch künftig nutzen als Ort, an dem wichtige Friedensverträge unterzeichnet werden. Was halten Sie von dieser Idee?

„Das ist sicher eine gute Idee, auf die ich auch andere ansprechen werde, ja. Es wäre vor allem eine sehr greifbare Erinnerung daran, dass Friede nicht nur ein enges weltliches Ideal ist, das im 18. Jahrhundert aufkam, sondern dass schon im Mittelalter Franziskus und die Franziskaner diesem Ideal verpflichtet waren. Ich glaube, es schadet nicht, daran zu denken, dass einige der großen Versöhnungsideen aus dem Evangelium herkommen.“

In Bose – Sie haben den Ort eben schon angesprochen – fand vor ein paar Monaten die letzte Runde des katholisch-anglikanischen Dialogs statt. Was ist aus Ihrer Sicht dabei herausgekommen?

„Der wichtigste Fortschritt ist (wie immer bei solchen Dialogen) das Aufbauen von Beziehungen, und Bose mit seinem ökumenischen Profil und seiner ökumenischen Gastfreundschaft spielte dabei eine massive Rolle. Ich sehe als Ergebnis ein starkes Interesse beider Seiten füreinander und ein großes Engagement, zusammenzuarbeiten.“

Ein weiteres wichtiges Thema im anglikanisch-katholischen Miteinander hat sich aus dem Commonwealth-Gipfel in Australien in diesen Tagen ergeben: Die politischen Führer haben dort beschlossen, das jahrhundertealte Verbot aufzuheben, dass der Monarch keinen katholischen Partner heiraten darf. Was sagen Sie dazu?

„Ich sage dazu sofort, dass diese Entscheidung mir keinerlei schlaflose Nächte bereitet. Die harte Frage, also die Verfassungsfrage, ist die, in welchem Glauben ein Thronerbe erzogen wird in einer anglikanischen Umgebung: Schließlich wird ja der Thronerbe bei Amtsantritt zum juristischen Oberhaupt der Kirche von England. Darum begrüße ich sehr das Statement, das (der katholische) Erzbischof Vincent (Nichols) abgegeben hat. Er hat dieses Problem anerkannt und sich sehr konstruktiv dazu geäußert. Ich denke, solange der Monarch de jure „supreme gouverneur“ der anglikanischen Kirche von England ist, solange muss klargestellt sein, dass er in einer entsprechenden Umgebung erzogen wird. Erzbischof vincent (Nichols) hat in diesem Zusammenhang auf den gemeinsamen Grund hingewiesen, den Anglikaner und Katholiken längst haben.“

Könnte das jetzt zu einer Neuauflage der Debatte führen, ob der britische Monarch wirklich Oberhaupt der Kirche von England sein muss?

„Ich sehe natürlich, dass eine Hochzeit im Königshaus verständlicherweise zu einem gewissen Gefühl im Volk führt, weil das wie eine Frage der Gerechtigkeit und der Menschenrechte wirkt. Und es wirkt auch wie eine Diskriminierung der heutigen römischen Katholiken, wenn man daran erinnert, dass es einmal Zeiten in Großbritannien gab, als die Katholiken als eine Art Taliban galten. Ich merke also, dass es da eine verbreitete Grundstimmung im Volk gibt, aber ich glaube nicht, dass das Thema an sich jetzt von Volkes oder auch politischem Willen wirklich so dringend auf die Tagesordnung gesetzt werden müsste...“

Sie haben zu Monatsbeginn Afrika besucht, einen Kontinent, auf dem die anglikanische Kirche wächst. Sie waren in Malawi, Simbabwe und Sambia. Was war Ihr Ziel bei dieser Reise?

„Ich wollte vor allem einige anglikanische Ortskirchen bereisen, die jetzt kürzlich eine schwere Zeit durchgemacht haben. In Simbabwe traf ich auf Anglikaner, die stark unter Druck stehen. Ich habe zusammen mit einigen afrikanischen Erzbischöfen, die mich begleiteten, der Regierung von Simbabwe klargemacht, dass wir besorgt sind über das Beschneiden der Rechte und über die Verfolgung der Anglikaner. Und dass das nicht so eine Art postkolonialer britischer Exzentrik ist, sondern etwas, über das die ganze anglikanische Gemeinschaft wirklich besorgt ist. Ich glaube, diese Botschaft ist ziemlich klar rübergekommen.“

Sie haben Präsident Robert Mugabe von Simbabwe getroffen – was ist bei diesem Treffen herausgekommen?

„Die positivste Entwicklung – aber wir wissen gar nicht, ob das überhaupt ein Ergebnis dieses Treffens ist – ist die Tatsache, dass die Gerichte in Simbabwe einige positive Urteile gefällt haben über die Rechte der legitimen anglikanischen Bischöfe. Ich habe den Eindruck, dass den Behörden aufgegangen sein könnte, dass es sich nicht gelohnt hat, aufsässige Bischöfe, die sich von der anglikanischen Kirche entfernen, zu unterstützen. Am Sonntag kamen etwa 16.000 Menschen zu einer Eucharistiefeier, die wir in einem Sportstadion zelebriert haben; gleichzeitig kamen etwa hundert zu einem rivalisierenden Gottesdienst der aufsässigen Bischöfe. Ich glaube, das ist den Behörden nicht entgangen.“

In Großbritannien hatten viele die Befürchtung, dass Ihre Begegnung mit Mugabe dessen Regime einen Propagandaerfolg verschaffen würde. War Ihnen diese Befürchtung klar?

„Ich verstehe die Befürchtungen, und ich weiß auch, wie solche Begegnungen ausgeschlachtet und zur Legitimierung von politischen Führern dieser Art eingesetzt werden können. Aber eine Absage des Treffens wäre womöglich noch gefährlicher gewesen! Natürlich war das ein Risiko, und ich war auch nicht sehr darauf aus gewesen, Mugabe zu treffen – aber die anglikanische Kirche vor Ort wünschte sich das sehr: Sie wollte, dass das Dossier mit ihren Klagen buchstäblich von jemandem auf den Schreibtisch des Präsidenten gelegt wird, damit er nicht sagen kann, er habe davon nichts gewußt. Und ich glaube, das war es wert, das Risiko einzugehen.“

Die afrikanischen Anglikaner sind mit vielem, was die anglikanischen Kirchen in anderen Teilen der Welt machen, nicht einverstanden, und das führt zu Spaltungen. Hatte der Papst auch die Anglikaner im Blick, als er in Assisi äußerte, die Art und Weise, wie Religion heute vielfach praktiziert werde, verstelle die Sicht auf Gott und mache die Menschen vom Glauben abspenstig?

„Ich vermute, dass der Papst da auch andere und nicht nur Anglikaner im Blick hatte! Aber Anglikaner natürlich auch. Es ist nie gut, wenn alle wissen, wogegen Christen sind, aber keiner mehr weiß, wofür Christen eigentlich positiv einstehen. Wir hatten ein gutes Gespräch mit Erzbischof Fisichella vom Päpstlichen Rat für die Neuevangelisierung, und da war das genau der Punkt: Wie zeigen wir stärker, wofür wir positiv stehen? Ich glaube, die Ereignisse von Assisi waren sehr hilfreich dabei, wieder klarzumachen: Wir stehen für das Evangelium.“

Werden Sie nächstes Jahr auch eine Rolle bei der vatikanischen Bischofssynode zur Neuevangelisierung spielen?

„Es gibt da Möglichkeiten, die aber noch nicht konkret sind. Bei unserem Gespräch mit Fisichella haben wir aber beschlossen, nicht nur bei der Synode, sondern noch weitergehender zu kooperieren. Es geht vor allem um einen Gedankenaustausch über Erfahrungen und Methoden bei der Neuevangelisierung. Erzbischof Fisichella und seine Mitarbeiter waren sehr interessiert an den Aktivitäten britischer anglikanischer Gruppen; sie hatten auch schon Kontakte zu den Alphakursen. Also, da gibt es noch viele Wege zu entdecken.“

Vor vierhundert Jahren wurde in Großbritannien die berühmte King James Bible, die britische Bibelübersetzung, herausgegeben. Die anglikanische Kirche feiert das dieses Jahr ausgiebig. Was ist das Wichtige an diesem Datum?

„Schon das Erstellen der King James Bible war in gewisser Hinsicht ein ökumenisches Ereignis: Es brachte Gelehrte und Bischöfe zusammen, die ansonsten keine Zeit miteinander hätten verbringen wollen. Dadurch wurde diese Bibelausgabe aber auch zu etwas, das als Anker christlicher Identität jenseits des konfessionellen Streits angesehen werden konnte. Zweitens ging die Sprache dieser Bibel allen, die in dieser Zeit englisch sprachen, unter die Haut und schuf Begriffe. Und drittens – das ist am schwierigsten zu erklären – spricht diese damals gefundene Sprache in gewisser Weise immer noch zu den Menschen von heute, weil sie sich ernst anhört. Sie kommt aus einer Zeit, wo es ein Idiom für das Feierliche gab, wie es das heute eigentlich nicht mehr gibt. Und nun wollen wir zwar nicht, dass Religion altertümlich oder altmodisch klingt, aber wir brauchen dennoch Momente in unserer liturgischen Praxis und bei der Bibellesung, in denen wir daran erinnert werden: Wir reden hier über etwas anderes als über das tägliche Geschäft zuhause und auf der Straße. Es ist etwas Außerordentliches, auch etwas Erschreckendes – und dafür steht die Sprachgebung der King James Bible in unseren Ohren heute noch. Zwar sollten wir sie nicht bei jedem Gottesdienst wieder hervorziehen, aber wir sollten auch nicht diese Art und Weise, über Gott und zu Gott zu sprechen, aus dem Blick verlieren, denn das wäre ein großer Verlust.“

Sie nannten die King James Bible gerade ein sozusagen ökumenisches Projekt – aber sie wurde doch erstellt, damit es eine offizielle Bibelausgabe mit dem Stempel der Kirche von England gab! Kann man das heute wirklich ökumenisch feiern?

„Ich meinte mit ökumenisch, dass diese Bibel innerhalb der Kirche von England eine sehr breite Koalition von Menschen zusammenhielt. Natürlich sollte sie die Genfer Bibelübersetzung mit ihren gefährlichen calvinistischen Fußnoten zurückdrängen – gefährlich deswegen, weil der Calvinismus einen Sturz ungerechter Regierungen erlaubte. Und natürlich war das auch ein Muskelspiel staatlicher Macht in kirchlichen Dingen. Aber wie einige Kommentatoren dieses Jahr herausgestrichen haben: Das Überraschende ist, dass die King James Bible diesen Umständen entkommen ist und zu etwas viel Größerem wurde.“

(rv 29.10.2011 sk)








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