Arabellion: „Deutsche Waffenexporteure haben keine reine Weste“
Klebt an Deutschlands
Waffenexporten das Blut des Arabischen Frühlings? Die Bundesrepublik habe Waffen in
Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas geliefert, ohne die absehbaren, menschenrechtlichen
Folgen dieser Exporte zu berücksichtigen. Das geht aus einem neuen Bericht der Menschenrechtsorganisation
„Amnesty International“ hervor, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. Neben Deutschland
seien weitere Exporteure Österreich, Frankreich, Belgien, Russland und die USA, gibt
die Organisation an. Deutschland habe im Zeitraum von 2005 bis 2009 Waffenexporte
im Wert von 77 Millionen Euro genehmigt. Noch bis kurz vor Beginn der Proteste in
Nordafrika soll in den Ländern des arabischen Frühlings Ware angekommen sein, darunter
auch aus Deutschland. Mathias John, Rüstungsexperte für Amnesty Deutschland, erklärt
den Bericht im Gespräch mit Radio Vatikan im Detail:
„Wir haben Beispiele,
dass unter anderem nach Bahrein aus Deutschland noch 2010 Kleinwaffenexporte genehmigt
worden sind. Das Problem ist natürlich immer, dass aufgrund der mangelnden Transparenz
bei Waffenlieferungen nie ganz genau festgestellt werden kann, wann denn tatsächlich
die Waffen dann auch vor Ort angekommen sind. Aber wir vermuten, dass nicht nur aus
Deutschland, sondern auch aus den anderen Staaten - und das sind eben nicht nur die
EU-Staaten und die USA, sondern auch Russland u.a. - dass dort auch bis kurz vor den
Protesten und dem arabischen Frühling Waffen geliefert worden sind.“
Die
grundsätzlichen Regelungen in Deutschland zum Waffenexport seien „gar nicht so schlecht“,
räumt John ein. So hat sich die Bundesregierung selbst verpflichtet, die Menschenrechtslage
im Bestimmungsland bei der Genehmigung von Waffenexporten zu berücksichtigen. Gültige
Gesetze gebe es zu dieser Frage allerdings nicht, fährt der Experte fort. Bescheinigungen
über Verbleib und Gebrauch der Waffen im Empfängerland seien keine Pflicht und könnten
zudem je nach Interessenlage interpretiert werden. Auf diese Weise könnten gelieferte
Waffen, die offiziell angeblich der „Terrorismusbekämpfung“ dienen, friedlichen Demonstranten
das Leben kosten. Hier dürfe die Bundesrepublik die Hände nicht in den Schoss legen,
unterstreicht John:
„Aus unserer Sicht könnte die Bundesregierung sehr viel
mehr machen, sie könnte im Vorfeld sehr viel machen, indem sie eben wirklich Rüstungsexporte
an Menschenrecht verletzende Staaten im Vorfeld schon stoppt, und sie könnte allerdings
auch durch ihre Botschaften im jeweiligen Empfängerland mal überprüfen lassen und
fragen: Was passiert denn tatsächlich mit den Waffen?“
Der Waffenhandel
bringe Deutschland im Vergleich zu anderen Exporteinnahmen nicht allzu viel ein: Die
Rede sei hier von ein bis fünf Milliarden Euro am Gesamtanteil aller Exporteinnahmen.
Auch hingen an der stark automatisierten Waffenindustrie relativ wenige Arbeitsplätze.
Außerdem würden in Deutschland Waffen von Mischkonzernen produziert, die parallel
noch viele andere Produkte herstellten. Trotzdem - auffällig sei, dass die Bundesregierung
bei Waffenexporten immer wieder außen-, sicherheits- oder wirtschaftspolitischen Interessen
denVorrang gebe, so John. Genau das hatte auch der Weltkirchenexperte der
deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Ludwig Schick, bemängelt. Dieses Verhalten
habe im Fall des Arabischen Frühlings fatale Folgen gehabt, meint Amnesty-Mitarbeiter
John:
„Die Bundesregierung und die nach geordneten Ämter, die diese Anträge
der Industrie auf Waffenexporte überprüfen, hätten wirklich nur einen Blick in die
Berichte von Amnesty International, von Human Rights Watch oder auch in ihre eigenen
Menschenrechtsberichte werfen müssen, um festzustellen, dass die Empfängerländer eine
schlechte bis katastrophale Menschenrechtslage haben. Und deswegen ist es für uns
unverständlich, warum die Bundesregierung jetzt immer wieder sagt, dass die Menschenrechte
dort angemessen berücksichtigt worden wären.“
Ein allgemeines Problem des
internationalen Waffenhandels sei mangelnde Transparenz, fährt John fort. Er schließt
auch nicht aus, dass zum Beispiel im Kampf der libyschen Opposition gegen das Gaddafi-Regime
auch Waffen zum Einsatz kamen, die ursprünglich aus westlichen Ländern stammen. Aus
den Augen, aus dem Sinn - gegen diese Logik im internationalen Waffenhandel müsse
dringend etwas getan werden, appelliert der Menschenrechtsexperte:
„Es ist
grundsätzlich so, dass für legitime Sicherheitsinteressen immernoch notwendig sind,
das Problem ist nur: Es muss sicher gestellt werden, dass Waffen nicht zu Menschenrechtsverletzungen
und nicht zu Verletzungen des humanitären Völkerrechtes eingesetzt werden.“
UNO-Abkommen
zum Waffenhandel in 2012 Auf internationaler Ebene gebe es beim Thema
„glücklicherweise schon eine Reihe von Fortschritten“, so John weiter. Dass überhaupt
inzwischen Verhandlungen auf Ebene der Vereinten Nationen stattfänden, sei ein „großer
Fortschritt“. Das Thema Waffenhandel steht bei der UNO seit 2006 auf der Agenda. Im
Juli 2012 wollen die Vereinten Nationen auf einer internationalen Konferenz ein global
verbindliches Waffenhandelsabkommen ausformulieren. Dieses wird übrigens auch von
der Bundesrepublik Deutschland unterstützt. Der Vatikan, der auch auf der UNO-Konferenz
2012 anwesend sein wird, hat sich in der Vergangenheit immer wieder für mehr Transparenz
und eine verbindliche internationale Kontrolle des Waffenhandels eingesetzt. Hören
Sie das ganze Interview mit Mathias John durch das Klicken des Lautsprechersymbols
oben links. Die Fragen stellte Anne Preckel.