2011-10-22 12:20:52

Arabellion: „Deutsche Waffenexporteure haben keine reine Weste“


RealAudioMP3 Klebt an Deutschlands Waffenexporten das Blut des Arabischen Frühlings? Die Bundesrepublik habe Waffen in Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas geliefert, ohne die absehbaren, menschenrechtlichen Folgen dieser Exporte zu berücksichtigen. Das geht aus einem neuen Bericht der Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“ hervor, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. Neben Deutschland seien weitere Exporteure Österreich, Frankreich, Belgien, Russland und die USA, gibt die Organisation an. Deutschland habe im Zeitraum von 2005 bis 2009 Waffenexporte im Wert von 77 Millionen Euro genehmigt. Noch bis kurz vor Beginn der Proteste in Nordafrika soll in den Ländern des arabischen Frühlings Ware angekommen sein, darunter auch aus Deutschland. Mathias John, Rüstungsexperte für Amnesty Deutschland, erklärt den Bericht im Gespräch mit Radio Vatikan im Detail:

„Wir haben Beispiele, dass unter anderem nach Bahrein aus Deutschland noch 2010 Kleinwaffenexporte genehmigt worden sind. Das Problem ist natürlich immer, dass aufgrund der mangelnden Transparenz bei Waffenlieferungen nie ganz genau festgestellt werden kann, wann denn tatsächlich die Waffen dann auch vor Ort angekommen sind. Aber wir vermuten, dass nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus den anderen Staaten - und das sind eben nicht nur die EU-Staaten und die USA, sondern auch Russland u.a. - dass dort auch bis kurz vor den Protesten und dem arabischen Frühling Waffen geliefert worden sind.“

Die grundsätzlichen Regelungen in Deutschland zum Waffenexport seien „gar nicht so schlecht“, räumt John ein. So hat sich die Bundesregierung selbst verpflichtet, die Menschenrechtslage im Bestimmungsland bei der Genehmigung von Waffenexporten zu berücksichtigen. Gültige Gesetze gebe es zu dieser Frage allerdings nicht, fährt der Experte fort. Bescheinigungen über Verbleib und Gebrauch der Waffen im Empfängerland seien keine Pflicht und könnten zudem je nach Interessenlage interpretiert werden. Auf diese Weise könnten gelieferte Waffen, die offiziell angeblich der „Terrorismusbekämpfung“ dienen, friedlichen Demonstranten das Leben kosten. Hier dürfe die Bundesrepublik die Hände nicht in den Schoss legen, unterstreicht John:

„Aus unserer Sicht könnte die Bundesregierung sehr viel mehr machen, sie könnte im Vorfeld sehr viel machen, indem sie eben wirklich Rüstungsexporte an Menschenrecht verletzende Staaten im Vorfeld schon stoppt, und sie könnte allerdings auch durch ihre Botschaften im jeweiligen Empfängerland mal überprüfen lassen und fragen: Was passiert denn tatsächlich mit den Waffen?“

Der Waffenhandel bringe Deutschland im Vergleich zu anderen Exporteinnahmen nicht allzu viel ein: Die Rede sei hier von ein bis fünf Milliarden Euro am Gesamtanteil aller Exporteinnahmen. Auch hingen an der stark automatisierten Waffenindustrie relativ wenige Arbeitsplätze. Außerdem würden in Deutschland Waffen von Mischkonzernen produziert, die parallel noch viele andere Produkte herstellten. Trotzdem - auffällig sei, dass die Bundesregierung bei Waffenexporten immer wieder außen-, sicherheits- oder wirtschaftspolitischen Interessen den Vorrang gebe, so John. Genau das hatte auch der Weltkirchenexperte der deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Ludwig Schick, bemängelt. Dieses Verhalten habe im Fall des Arabischen Frühlings fatale Folgen gehabt, meint Amnesty-Mitarbeiter John:

„Die Bundesregierung und die nach geordneten Ämter, die diese Anträge der Industrie auf Waffenexporte überprüfen, hätten wirklich nur einen Blick in die Berichte von Amnesty International, von Human Rights Watch oder auch in ihre eigenen Menschenrechtsberichte werfen müssen, um festzustellen, dass die Empfängerländer eine schlechte bis katastrophale Menschenrechtslage haben. Und deswegen ist es für uns unverständlich, warum die Bundesregierung jetzt immer wieder sagt, dass die Menschenrechte dort angemessen berücksichtigt worden wären.“

Ein allgemeines Problem des internationalen Waffenhandels sei mangelnde Transparenz, fährt John fort. Er schließt auch nicht aus, dass zum Beispiel im Kampf der libyschen Opposition gegen das Gaddafi-Regime auch Waffen zum Einsatz kamen, die ursprünglich aus westlichen Ländern stammen. Aus den Augen, aus dem Sinn - gegen diese Logik im internationalen Waffenhandel müsse dringend etwas getan werden, appelliert der Menschenrechtsexperte:

„Es ist grundsätzlich so, dass für legitime Sicherheitsinteressen immernoch notwendig sind, das Problem ist nur: Es muss sicher gestellt werden, dass Waffen nicht zu Menschenrechtsverletzungen und nicht zu Verletzungen des humanitären Völkerrechtes eingesetzt werden.“

UNO-Abkommen zum Waffenhandel in 2012
Auf internationaler Ebene gebe es beim Thema „glücklicherweise schon eine Reihe von Fortschritten“, so John weiter. Dass überhaupt inzwischen Verhandlungen auf Ebene der Vereinten Nationen stattfänden, sei ein „großer Fortschritt“. Das Thema Waffenhandel steht bei der UNO seit 2006 auf der Agenda. Im Juli 2012 wollen die Vereinten Nationen auf einer internationalen Konferenz ein global verbindliches Waffenhandelsabkommen ausformulieren. Dieses wird übrigens auch von der Bundesrepublik Deutschland unterstützt. Der Vatikan, der auch auf der UNO-Konferenz 2012 anwesend sein wird, hat sich in der Vergangenheit immer wieder für mehr Transparenz und eine verbindliche internationale Kontrolle des Waffenhandels eingesetzt. Hören Sie das ganze Interview mit Mathias John durch das Klicken des Lautsprechersymbols oben links. Die Fragen stellte Anne Preckel.

(rv/pm 22.10.2011 pr)








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