Der Vatikan hofft,
dass dem libyschen Volk nach dem Tod von Diktator Muammar al-Gaddafi neue Gewalt,
weitere Leiden und Rache erspart bleiben. In einer offiziellen Erklärung vom Donnerstagabend
heißt es, man erwarte, dass die neue Regierung möglichst bald zum Frieden und zu einem
Neuaufbau des Landes beitrage, und das auf der Grundlage von Recht und Gerechtigkeit.
Der Vatikan betrachtet den Übergangsrat als legitime Vertretung Libyens; er spricht
allerdings keine formelle Anerkennung aus, weil er in der Regel „Staaten anerkennt
und nicht Regierungen“. Das Statement spricht von der Hoffnung des Vatikans, dass
die internationale Gemeinschaft großzügig beim Aufbau des Landes helfe.
„Wenn
ein Mensch stirbt, sollten immer Gefühle christlichen und menschlichen Erbarmens die
Oberhand haben.“ Das sagt uns in einer ersten Stellungnahme der Botschafter des
Papstes für Libyen, Erzbischof Tommaso Caputo, der auf Malta residiert und zu Monatsbeginn
in Tripolis war, wo er unter anderem mit dem Übergangsrat gesprochen hat.
Vatikan:
Übergangsrat ist legitime Vertretung der Libyer
„Man kann sich nicht
über einen solchen Epilog freuen. Der Tod von Oberst Gaddafi ist Teil eines Konflikts,
der einige Zeit gedauert und viele Menschenleben gefordert hat. In diesem Moment sollte
sich auf allen Seiten die Entschlossenheit breitmachen, dem Land wirklich neue Zeiten
aufzuschließen, im Zeichen einer wiedergefundenen sozialen Einheit. Und wenn man jetzt
Hand an den Wiederaufbau und an die innere Versöhnung legt, dann könnte das schon
eine einmalige und unwiederbringliche Möglichkeit sein. Die Voraussetzungen für einen
ausgewogenen sozialen Fortschritt sind soziale Gerechtigkeit und Respekt vor jeder
Person.“
Mit Gaddafis Tod endet, wie das Statement des Vatikans urteilt,
eine „lange und tragische Phase des blutigen Kampfes zur Niederschlagung eines harten
und unterdrückerischen Regimes“. Das dramatische Ereignis lasse erneut über den Preis
des enormen menschlichen Leidens unter einem Regime nachdenken, das nicht dem Respekt
vor der Menschenwürde, sondern nur der Macht Rechnung trage. Der Vatikan versichert,
dass die kleine katholische Gemeinschaft in Libyen weiterhin uneigennützig ihren Beitrag
für die Bevölkerung leisten werde, vor allem im karitativen Bereich und im Gesundheitswesen.
Nuntius Caputo:
„In den letzten vier Jahren hatte ich als Vertreter des
Papstes in Libyen viel Kontakt zu der dortigen Bevölkerung, ich habe vor allem unsere
Ordensfrauen besucht, die in sechzehn staatlichen Gesundheitseinrichtungen in der
Cyrenaika sowie im Großraum Tripolis arbeiten. Ich bin davon überzeugt, dass die Libyer
Frieden und Eintracht wollen, und das lässt eigentlich hoffen für die Zukunft!“
„Osservatore
Romano“: Chaos in Libyen vermeiden
Der Präsident des Päpstlichen Friedensrates,
Kardinal Peter Turkson, gibt zu erkennen, dass er den Gang Gaddafis ins Exil bevorzugt
hätte. „Die Kirche will immer die Bekehrung der Person“, so der Kardinal. „Er hätte
doch ins Exil gehen und dort nachdenken und für alles Getane um Entschuldigung bitten
können.“ Es tue ihm Leid, dass Gaddafi stattdessen „bis zum Ende kämpfen wollte“ und
„so endete“. Mit Blick auf die Länder des „Arabischen Frühlings“ meint Turkson, mit
der Befreiung „gewissen Führungsgestalten“ sei es nicht getan. Jetzt gehe es „um Freiheit
für alle“, auch für die christlichen Minderheiten.
Der vatikanische Kardinalstaatssekretär
Tarcisio Bertone ruft zum Gebet für Libyen auf. Zu Journalisten sagte er in Rom, er
hoffe auf „Versöhnung und Demokratie im Land“. Alle Kräfte Libyens sollten „beim Wiederaufbau
beteiligt werden“, so der engste Mitarbeiter des Papstes.
Die Vatikanzeitung
„Osservatore Romano“ hofft jetzt auf eine schnelle Lösung der politischen Differenzen
im Nationalen Übergangsrat. Das schreibt sie in einem Artikel auf ihrer Titelseite.
Der Fall von Sirte könne ein Ende des Krieges bedeuten. Doch der Präsident des Übergangsrates,
Mahmud Jibril, habe die Befürchtung geäußert, die Situation im Land könnte sich hin
zu einem politischen Kampf entwickeln, dessen Regeln nicht klar definiert seien und
der das Land „rasch in ein Chaos stürzen“ könnte, so die Vatikanzeitung.
Bischof
in Bengasi: „Christen nicht in Gefahr“
Sylvester Carmel Magro ist Päpstlicher
Vikar für Bengasi. Der Bischof sagte uns an diesem Freitagmorgen: „Wir hätten nicht
gedacht, dass das Ende so nahe sein würde. Auf einmal hörten wir Schüsse in der ganzen
Stadt, und da haben wir erraten, dass etwas Derartiges geschehen war. An diesem Freitag
ist es in Bengasi sehr ruhig, weil Feiertag ist und weil viele Menschen am Donnerstag
Abend noch sehr spät gefeiert haben. Wir Christen fühlen mit den Muslimen im Land,
dass es hier einen großen Bedarf an Versöhnung gibt und an einer Rückkehr zu einem
Nationalgefühl. Wir beten für die neuen Verantwortlichen des Landes. Ob Gaddafis Tod
die endgültige Wende für Libyen bedeutet? Das zu sagen, ist jetzt noch zu früh.“
Immerhin
ist Magro zuversichtlich, was das Schicksal der Christen in Libyen betrifft. Sie sind
in der Regel Ausländer, die in Libyen arbeiten, und riskieren aus der Sicht des Bischofs
keinen Rauswurf aus dem neuen Libyen. „Ich glaube nicht; sie brauchen Arbeitskräfte
aus dem Ausland. Hoffen wir, dass wir auch künftig – wie bisher – die Freiheit haben,
unseren Glauben zu leben.“