2011-10-20 16:35:40

Simbabwe: Ein Brief aus Harare


Hier geben wir einen aktuellen Brief aus Harare, Simbabwe, von P. Oskar Wermter SJ wieder. Simbabwe ist aus den Nachrichten verschwunden, die Herausforderungen des Alltags bleiben. "Aus unserer Werkstatt" übertitelt der Jesuit, der seit langen Jahren in Harare wirkt und eine Zeitlang auch Generalsekretär der Bischofskonferenz war, seine Aufzeichnungen aus dem seelsorgerischen Alltag in einem bettelarmen Land.

Liebe Freunde! Dieser Tage helfe ich ein paar arbeitslosen Männern in der Gemeinde, sich eine Schreinerwerkstatt einzurichten – in unserer Garage. Aber vielleicht sollte ich auch mal von meiner eigenen “Werkstatt” berichten. Die Erfahrungen in der Gemeinde in Mbare mit all ihren sozialen Problemen wollen reflektiert werden. Sie spiegeln die Schwächen des ganzen Landes wieder. “Es gibt keine Arbeit!” ist die Klage. Aber natürlich gibt es Arbeit. Es gibt unendlich viel zu tun. Der Müll muss weggekarrt werden. Die zerfallenen Mietwohnungen müssen umgebaut werden. Aber es fehlt an Kapital, um Arbeitsplätze zu schaffen. Und am politischen Willen, das wirklich an die Spitze der Tagesordnung zu setzen. Politiker greifen gierig nach von anderen geschaffenen Schätzen, sind aber unfähig, selber etwas Neues zu schaffen, Produktion in Gang zu setzen. Eine neue unabhängige Tageszeitung gibt mir die Möglichkeit, alle paar Wochen eine Spalte zu schreiben.

Zunächst bin ich natürlich Pfarrer in Mbare mit einer offenen Türe für die geplagten, meist arbeitslosen Menschen dort mit ihren täglichen Sorgen: wo kommt die nächste Mahlzeit für die Familie her? Wir können karitativ helfen, aber das Grundübel können wir vor Ort kaum beseitigen. Da sind weitreichende Strukturfragen, die die Politik und die große Wirtschaft angehen. Ich bin kein Politiker, und insofern machtlos, genau wie die Menschen hier. - Aber als Publizist habe ich wenigstens die Möglichkeit, den Finger auf die Wunden zu legen und zu sagen, wie sie geheilt werden können. Was oft ein Umdenken erfordert.

Zum Beispiel Gewalt. In einem anderen Artikel habe ich auf das historische Erbe von Gewalt hingewiesen, die am Ende die Gewalttäter selber vernichtet. Das sind keine akademischen Gedankenflüge. Ein Nachbar und Gemeindemitglied, der politisch die “herrschende Partei” kritisch befragt und einer Bürgervereinigung angehört, wurde Abend für Abend von Parteirabauken belästigt. Als er die Nervensäge nicht mehr aushielt, stellte er sich der Terrorbande. Sie schlugen ihn wund und entführten ihn. Zwei Tage später rief er seine Frau an,” Mach Dir keine Sorgen. Ich bin in Lusaka/Zambia [Nachbarland].” Mittlerweile ist er zurück und hat mir alles erzählt. Die Menschen hier leben in Furcht, weil sie ständig bedroht und eingeschüchtert werden. Dass der Präsident sich gegen Gewalt ausspricht, ist bedeutungslos, solange seine Anhänger Terror verbreiten. Solche Erfahrungen sind das Material für meine “Werkstatt”.

Was heißt eigentlich “Verantwortung” in der Politik? Dass Volksvertreter sich “verantworten”, bzw. Antwort geben auf die Fragen derer, die sie gewählt haben. “Alle Gewalt geht vom Volke aus.” Das hat sich hier noch nicht herumgesprochen. Mein Artikel vom letzen Samstag war ein kleiner Beitrag zu politischer Bildung. Die führenden Politiker der letzten drei Jahrzehnte müssen die Verantwortung übernehmen für viele Gewalttaten und Blutvergießen. Sie müssen dafür Rede und Antwort stehen. Ein Sprecher des Regimes erklärte, dass der Bürgerkrieg (“Gukurahundi”) von 1983 – 87 “erledigt” sein. 20 000 Opfer “erledigt”? Das kann doch wohl nicht sein. Da warten wir noch auf Antworten. Selbst das Regime hat zugegeben, dass es ein “Augenblick des Wahnsinns” gewesen sei. Darauf hat meine Zeitungsspalte hingewiesen.

Dieses Jahr war ich so stark von der Gemeinde in Mbare beansprucht, dass die Medienarbeit - ich bin nebenher zuständig für unser Medienbuero “Jesuit Communications” – etwas zurückgestellt werden musste. Trotzdem haben wir drei Ausgaben unserer Zeitschrift geschafft, und an der Nummer für Weihnachten arbeiten wir. Die laufende Nummer ist über das Thema “Church Holy and Yet Sinful” – “Die Kirche heilig und doch sündig”. Ein aktuelles Thema, aber nicht neu. John Henry Newman (1801 – 1890) hat darüber reflektiert und Karl Rahners Aufsatz “Die Kirche der Sünder” erschien bereits 1948. –
Die erste Nummer des Jahres war über das “Gemeinwohl”, Thema auch eines Bischofs -wortes. Reines Selbstinteresse schafft nicht Wohlstand für alle. Zum Beispiel: Wohnungsbau für die unteren Einkommensschichten bleibt immer hinter dem Bedarf zurück, wenn Profit der Motor sein soll. Das Wohnungselend von Mbare zeigt das sehr klar. Investoren stecken ihr Geld in Wohnungen für die Wohlsituierten. Wohnraum für die kleinen Leute zahlt sich für sie nicht aus. - Die folgende Nummer war über das Thema “Eine neue Staatsverfassung für Zimbabwe”. Ein führender Experte für Verfassungsrecht schrieb den Hauptartikel. Das zentrale Problem ist bei uns, wie man unbegrenzte Machtkonzentration in einer Hand verhindern kann.

Unsere Leute hier haben die unglückliche Neigung, dem Mann an der Spitze zuviel Macht zuzugestehen. Das macht sich auch in der Kirche bemerkbar. Ich war seit langem sehr besorgt über die Führer unserer Jugendgruppen. Sie benahmen sich wie kleine Tyrannen. Wie die “Grossen” in der Politik, hielten sie endlose Reden, ohne wirklich etwas zu bewirken. Und den Mädchen gaben sie keine echte Chance, einen eigenen Beitrag zu leisten. Keine Ahnung von “Führung als Dienst”. Eine gut geplante Tagung hat ihnen jetzt die Augen geöffnet. Wir danken dafür P. Dominic Tomuseni SJ der aus unserer Gemeinde stammt. Zusammen mit Farai Mahati, die jetzt die Gesamtführung unserer Jugend hat, und P. George Bwanali SJ, für die Jugend zuständig, muss er jetzt das “neue Bewusstsein” in Taten umsetzen.

Bald beginnen die Wahlen für unseren Pfarrgemeinderat. Auch hier wollen manche “Präsident auf Lebenszeit” werden. Was auch in unserer Landesverfassung stehen sollte, ist bei uns die Regel: der Vorsitzende kann einmal wiedergewählt werden, dann muss er abtreten (bei uns noch recht selten “sie”). Wir hoffen auf eine Erneuerung unserer Führungsteams durch junge Leute. Vor allem in den Nachbarschaftsgruppen brauchen wir neues Blut. Wenn jemand 10, sogar 15 Jahre die Führung innehatte (ist vorgekommen, obschon irregulär), ist sie (auf der unteren Ebene dominieren die Frauen) für neue Ideen nicht mehr offen. Da müssen die Töchter ran!

Wichtige Mitarbeiter sind für uns die Männer und Frauen, die die jungen Leute auf die Eheschließung vorbereiten. Drei Wochenendseminare im Juli, August und September gaben ihnen dazu das Werkzeug. Kommunikation zwischen Partnern muss gelernt werden, sagen Peter und Sifelani Kumbawa, die das dritte Seminar gestalteten. Jetzt wollen wir ein kleines Zentrum aufbauen, wo Material (Bücher, DVDs etc) zu haben ist und Referenten vermittelt werden. Wir wollen Mediziner, Juristen und Eheberater an der Ehevorbereitung beteiligen. Hier ist das noch eine neue Idee.

Wir haben einen neuen Vorratsraum für Hilfsgüter für die Bedürftigen und eine Küche mit Gasherd für Pfarrfeste und für die tägliche Versorgung der Schulkinder, die ohne gegessen zu haben zur Schule kommen und dann vor Schwäche umfallen. Die alte Feuerstelle fraß viel Holz auf und verpestete die Luft. Wir kommen nicht darum herum: solange die Wirtschaft nicht Arbeitsplätze schafft, müssen wir versuchen, der Armut karitativ beizukommen. Dazu brauchen wir Ihre Hilfe. Zugleich aber beginnen wir mit Selbsthilfe – Projekten (Schreinerei, Schneiderei). Ihre Hilfe wird da eingesetzt, wo die Not am größten ist und um Abhängigkeit von karitativer Hilfe zu vermeiden.

Für alle Ihre Hilfe und Ihr Interesse danke ich Ihnen, auch im Namen meiner Mitbrüder, Mitarbeiter und der ganzen Gemeinde. Schon jetzt möchte ich Ihnen eine besinnliche Advents- und frohe Weihnachtszeit wünschen.

Ihr Oskar Wermter SJ
18. Oktober 2011


PS: Konto “Jesuitenmission” Nr. 5115582 Ligabank BLZ 75090300
Stichwort: 4172 Wermter Simbabwe








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