Hier geben wir einen aktuellen Brief aus Harare, Simbabwe, von P. Oskar Wermter SJ
wieder. Simbabwe ist aus den Nachrichten verschwunden, die Herausforderungen des Alltags
bleiben. "Aus unserer Werkstatt" übertitelt der Jesuit, der seit langen Jahren in
Harare wirkt und eine Zeitlang auch Generalsekretär der Bischofskonferenz war, seine
Aufzeichnungen aus dem seelsorgerischen Alltag in einem bettelarmen Land.
Liebe
Freunde! Dieser Tage helfe ich ein paar arbeitslosen Männern in der Gemeinde, sich
eine Schreinerwerkstatt einzurichten – in unserer Garage. Aber vielleicht sollte ich
auch mal von meiner eigenen “Werkstatt” berichten. Die Erfahrungen in der Gemeinde
in Mbare mit all ihren sozialen Problemen wollen reflektiert werden. Sie spiegeln
die Schwächen des ganzen Landes wieder. “Es gibt keine Arbeit!” ist die Klage. Aber
natürlich gibt es Arbeit. Es gibt unendlich viel zu tun. Der Müll muss weggekarrt
werden. Die zerfallenen Mietwohnungen müssen umgebaut werden. Aber es fehlt an Kapital,
um Arbeitsplätze zu schaffen. Und am politischen Willen, das wirklich an die Spitze
der Tagesordnung zu setzen. Politiker greifen gierig nach von anderen geschaffenen
Schätzen, sind aber unfähig, selber etwas Neues zu schaffen, Produktion in Gang zu
setzen. Eine neue unabhängige Tageszeitung gibt mir die Möglichkeit, alle paar Wochen
eine Spalte zu schreiben.
Zunächst bin ich natürlich Pfarrer in Mbare mit
einer offenen Türe für die geplagten, meist arbeitslosen Menschen dort mit ihren täglichen
Sorgen: wo kommt die nächste Mahlzeit für die Familie her? Wir können karitativ helfen,
aber das Grundübel können wir vor Ort kaum beseitigen. Da sind weitreichende Strukturfragen,
die die Politik und die große Wirtschaft angehen. Ich bin kein Politiker, und insofern
machtlos, genau wie die Menschen hier. - Aber als Publizist habe ich wenigstens die
Möglichkeit, den Finger auf die Wunden zu legen und zu sagen, wie sie geheilt werden
können. Was oft ein Umdenken erfordert.
Zum Beispiel Gewalt. In einem anderen
Artikel habe ich auf das historische Erbe von Gewalt hingewiesen, die am Ende die
Gewalttäter selber vernichtet. Das sind keine akademischen Gedankenflüge. Ein Nachbar
und Gemeindemitglied, der politisch die “herrschende Partei” kritisch befragt und
einer Bürgervereinigung angehört, wurde Abend für Abend von Parteirabauken belästigt.
Als er die Nervensäge nicht mehr aushielt, stellte er sich der Terrorbande. Sie schlugen
ihn wund und entführten ihn. Zwei Tage später rief er seine Frau an,” Mach Dir keine
Sorgen. Ich bin in Lusaka/Zambia [Nachbarland].” Mittlerweile ist er zurück und hat
mir alles erzählt. Die Menschen hier leben in Furcht, weil sie ständig bedroht und
eingeschüchtert werden. Dass der Präsident sich gegen Gewalt ausspricht, ist bedeutungslos,
solange seine Anhänger Terror verbreiten. Solche Erfahrungen sind das Material für
meine “Werkstatt”.
Was heißt eigentlich “Verantwortung” in der Politik? Dass
Volksvertreter sich “verantworten”, bzw. Antwort geben auf die Fragen derer, die sie
gewählt haben. “Alle Gewalt geht vom Volke aus.” Das hat sich hier noch nicht herumgesprochen.
Mein Artikel vom letzen Samstag war ein kleiner Beitrag zu politischer Bildung. Die
führenden Politiker der letzten drei Jahrzehnte müssen die Verantwortung übernehmen
für viele Gewalttaten und Blutvergießen. Sie müssen dafür Rede und Antwort stehen.
Ein Sprecher des Regimes erklärte, dass der Bürgerkrieg (“Gukurahundi”) von 1983
– 87 “erledigt” sein. 20 000 Opfer “erledigt”? Das kann doch wohl nicht sein. Da warten
wir noch auf Antworten. Selbst das Regime hat zugegeben, dass es ein “Augenblick des
Wahnsinns” gewesen sei. Darauf hat meine Zeitungsspalte hingewiesen.
Dieses
Jahr war ich so stark von der Gemeinde in Mbare beansprucht, dass die Medienarbeit
- ich bin nebenher zuständig für unser Medienbuero “Jesuit Communications” – etwas
zurückgestellt werden musste. Trotzdem haben wir drei Ausgaben unserer Zeitschrift
geschafft, und an der Nummer für Weihnachten arbeiten wir. Die laufende Nummer ist
über das Thema “Church Holy and Yet Sinful” – “Die Kirche heilig und doch sündig”.
Ein aktuelles Thema, aber nicht neu. John Henry Newman (1801 – 1890) hat darüber reflektiert
und Karl Rahners Aufsatz “Die Kirche der Sünder” erschien bereits 1948. – Die
erste Nummer des Jahres war über das “Gemeinwohl”, Thema auch eines Bischofs -wortes.
Reines Selbstinteresse schafft nicht Wohlstand für alle. Zum Beispiel: Wohnungsbau
für die unteren Einkommensschichten bleibt immer hinter dem Bedarf zurück, wenn Profit
der Motor sein soll. Das Wohnungselend von Mbare zeigt das sehr klar. Investoren stecken
ihr Geld in Wohnungen für die Wohlsituierten. Wohnraum für die kleinen Leute zahlt
sich für sie nicht aus. - Die folgende Nummer war über das Thema “Eine neue Staatsverfassung
für Zimbabwe”. Ein führender Experte für Verfassungsrecht schrieb den Hauptartikel.
Das zentrale Problem ist bei uns, wie man unbegrenzte Machtkonzentration in einer
Hand verhindern kann.
Unsere Leute hier haben die unglückliche Neigung, dem
Mann an der Spitze zuviel Macht zuzugestehen. Das macht sich auch in der Kirche bemerkbar.
Ich war seit langem sehr besorgt über die Führer unserer Jugendgruppen. Sie benahmen
sich wie kleine Tyrannen. Wie die “Grossen” in der Politik, hielten sie endlose Reden,
ohne wirklich etwas zu bewirken. Und den Mädchen gaben sie keine echte Chance, einen
eigenen Beitrag zu leisten. Keine Ahnung von “Führung als Dienst”. Eine gut geplante
Tagung hat ihnen jetzt die Augen geöffnet. Wir danken dafür P. Dominic Tomuseni SJ
der aus unserer Gemeinde stammt. Zusammen mit Farai Mahati, die jetzt die Gesamtführung
unserer Jugend hat, und P. George Bwanali SJ, für die Jugend zuständig, muss er jetzt
das “neue Bewusstsein” in Taten umsetzen.
Bald beginnen die Wahlen für unseren
Pfarrgemeinderat. Auch hier wollen manche “Präsident auf Lebenszeit” werden. Was auch
in unserer Landesverfassung stehen sollte, ist bei uns die Regel: der Vorsitzende
kann einmal wiedergewählt werden, dann muss er abtreten (bei uns noch recht selten
“sie”). Wir hoffen auf eine Erneuerung unserer Führungsteams durch junge Leute. Vor
allem in den Nachbarschaftsgruppen brauchen wir neues Blut. Wenn jemand 10, sogar
15 Jahre die Führung innehatte (ist vorgekommen, obschon irregulär), ist sie (auf
der unteren Ebene dominieren die Frauen) für neue Ideen nicht mehr offen. Da müssen
die Töchter ran!
Wichtige Mitarbeiter sind für uns die Männer und Frauen, die
die jungen Leute auf die Eheschließung vorbereiten. Drei Wochenendseminare im Juli,
August und September gaben ihnen dazu das Werkzeug. Kommunikation zwischen Partnern
muss gelernt werden, sagen Peter und Sifelani Kumbawa, die das dritte Seminar gestalteten.
Jetzt wollen wir ein kleines Zentrum aufbauen, wo Material (Bücher, DVDs etc) zu haben
ist und Referenten vermittelt werden. Wir wollen Mediziner, Juristen und Eheberater
an der Ehevorbereitung beteiligen. Hier ist das noch eine neue Idee.
Wir haben
einen neuen Vorratsraum für Hilfsgüter für die Bedürftigen und eine Küche mit Gasherd
für Pfarrfeste und für die tägliche Versorgung der Schulkinder, die ohne gegessen
zu haben zur Schule kommen und dann vor Schwäche umfallen. Die alte Feuerstelle fraß
viel Holz auf und verpestete die Luft. Wir kommen nicht darum herum: solange die Wirtschaft
nicht Arbeitsplätze schafft, müssen wir versuchen, der Armut karitativ beizukommen.
Dazu brauchen wir Ihre Hilfe. Zugleich aber beginnen wir mit Selbsthilfe – Projekten
(Schreinerei, Schneiderei). Ihre Hilfe wird da eingesetzt, wo die Not am größten ist
und um Abhängigkeit von karitativer Hilfe zu vermeiden.
Für alle Ihre Hilfe
und Ihr Interesse danke ich Ihnen, auch im Namen meiner Mitbrüder, Mitarbeiter und
der ganzen Gemeinde. Schon jetzt möchte ich Ihnen eine besinnliche Advents- und frohe
Weihnachtszeit wünschen.