Kriminologe Pfeiffer zu Missbrauchszahlen: „Kein Anlass, sich zurückzulehnen“
Der sexuelle Missbrauch
von Kindern und Jugendlichen ist seit 1992 drastisch zurückgegangen. Und anders als
es in der Medienöffentlichkeit erscheint, waren Priester oder Ordensleute demnach
fast gar nicht mehr für Fälle verantwortlich. Das geht aus einer neuen repräsentativen
Studie des Kriminalistischen Forschungsinstitutes Niedersachsen hervor, die im Auftrag
des Bundesbildungsministeriums erstellt wurde. Das Ziel: Die Strukturen erkennen,
die Missbrauch begünstigen. 11.500 Personen zwischen 16 und 40 Jahren wurden dafür
befragt.
Der Rückgang an Missbrauch ist ermutigend, aber sicher kein Anlass,
sich zurückzulehnen – so kommentierte der Kriminologe Christian Pfeiffer am Dienstagabend
in Berlin die Studie; der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen
war für die Durchführung der Untersuchung maßgeblich verantwortlich. Immerhin: Während
1992 noch 8,6 Prozent der Frauen und 2,8 Prozent der Männer angaben, bis zum 16. Lebensjahr
eine Missbrauchserfahrung mit Körperkontakt mit dem Täter gemacht zu haben, sanken
diese Anteile bei der aktuellen Befragung in diesem Jahr auf 6,4 und 1,3 Prozent.
Nur eine Person habe angegeben, von einem katholischen Priester durch Körperkontakt
sexuell missbraucht worden zu sein, berichtet Pfeiffer. 8,6 Prozent der Opfer nannten
Lehrer an Schulen als Täter.
Erstmals wurden für die Studie auch Vertreter
der größten Migrantengruppen befragt. Hier traten Ergebnisse zutage, die überraschen
mögen. Auffällig ist zum Beispiel, dass Frauen mit türkischem Migrationshintergrund
seltener von Missbrauchserfahrungen berichten. So gaben 1,7 Prozent an, bis zum 16.
Lebensjahr Missbrauch mit Körperkontakt erlebt zu haben, bei den deutschen Frauen
seien es 7,3 Prozent.
Was nach wie vor schockiert: Ganz überwiegend findet
Missbrauch in der Familie und im Bekanntenkreis statt. Fast 50 Prozent der Frauen
gaben an, von männlichen Bekannten missbraucht worden zu sein, von Vätern, Stiefvätern
und Onkeln.
Ein Ergebnis des runden Tisches Bundesbildungsministerin
Annette Schavan (CDU) hatte die Studie im Zuge des Runden Tischs gegen sexuellen Kindesmissbrauch
in Auftrag gegeben. Die Bundesregierung hatte das Gremium im April 2010 angesichts
der zunächst in kirchlichen und dann auch in weiteren Einrichtungen bekanntgewordenen
Missbrauchsfälle ins Leben gerufen. (kna/rv 19.10.2011 pr)