2011-10-09 14:34:37

Spaziergang durch Rom: Rione Ponte


RealAudioMP3 Die Kaffeetassen klappern, Vespafahrer brummen durch die Gassen, ein Händler stapelt wie jeden Tag die Gemüsekisten auf. Der kreativ gepflasterte Boden hat die eine oder andere Stolperfalle und die wild angeordneten Straßenzüge geben selbst nach Jahren noch Anlass, sich zu verlaufen. Alte Männer diskutieren mit einer Zeitung unter dem Arm auf der Straße, und wenn Sie einen barocken Stühle zu reparieren haben oder einen neuen alten Bilderrahmen brauchen, sind Sie hier genau richtig.

„Gleichzeitig sind schon Fragen aufgekommen, wie eigentlich das mit den sanitären Anlagen gewesen ist.“

Wir begleiten Britta Kägler, Historikerin am deutschen historischen Institut in Rom, auf einem historischen Stadtspaziergang durch das römische Viertel „Rione Ponte“.

„Wir gehen davon aus, dass nicht alles in den Tiber geleitet wurde, viel aber sicherlich doch und man hat ansonsten dann auch Sickergruben.“

Frau Kägler ist in ihrem Element. Entlang von historischen Zeugnissen, die heute noch sichtbar sind, betreten wir die Geschichte eines Stadtbezirks, dessen Blütezeit im ausgehenden Mittelalter zu finden ist.

Wir beginnen unseren Spaziergang auf der Engelsbrücke. Bereits im Mittelalter prägte sie die Entwicklung des Viertels.

„Die Engelsbrücke ist im Grunde genommen der direkte Weg für jeden Pilger, der aus dem Norden kommt, um zum Petersdom zu gelangen, und es ist – zumindest, wenn wir vom Mittelalter und der frühen Neuzeit ausgehen – ein Nadelöhr in der Stadt. Es hat eine infrastrukturelle Bedeutung, denn irgendwie muss man über den Fluss kommen und wenn man nicht größere Umwege in Kauf nehmen möchte – die Milvische Brücke liegt eigentlich außerhalb der eigentlichen Stadt und die Ponte Sisto würde einen Umweg von bestimmt zwei Kilometer Länge bedeuten. Das heißt wir haben nur diese eine Brücke, um in Richtung Vatikan und des Stadtviertels Borgo zu kommen. Und es ist eigentlich ursprünglich eine Brücke gewesen, die das Grabmal des Hadrian mit der Stadt auf der anderen Seite verbinden sollte. Denn alles auf der anderen Seite des Tibers, auch dort, wo jetzt die Engelsburg liegt, war schon außerhalb der Aurelianischen Stadtmauer, also außerhalb des eigentlichen Rom.“

Wir setzen uns in Richtung Süden in Bewegung. Am Ende der Brücke – gegenüber der Engelsburg - lag früher übrigens ein Platz, an dem Hinrichtungen stattgefunden hatten. Die Köpfe der Enthaupteten hat man zur Abschreckung längs der Engelsbrücke, gut für die Passanten sichtbar, aufgespießt. Von dieser Seite betrachtet, bekommt die viel benutzte Brücke, gerade als Verbindung zum Vatikan, noch einmal eine ganz andere Bedeutung.

Im sogenannten Tiberknie gelegen, reicht der Rione Ponte bis fast an die Piazza Navona und das Pantheon heran – aber wie gesagt nur fast. Denn große, monumentale Gebäude und imposante Plätze sucht man im Rione Ponte vergeblich. Doch ist es gerade das, was den Charme des Viertels ausmacht, die Palette reicht von bunt und lebendig bis hin zu heimelig und rätselhaft. Erwähnenswert ist zum Beispiel der auf einem Trümmerberg errichtete Palazzo d’Orsini, den man jedoch beim Umrunden des Hügels kaum sehen kann, weil er rings herum zugebaut ist. Außerdem findet sich gleich um die Ecke der angeblich engsten Gasse Roms das Haus der Fiammetta, die die Kurtisane von Cesare Borgia gewesen sein soll. Wir bekommen von Frau Kägler eine kleine Lesehilfe.

„Also wenn man mit offenen Augen durch dieses Stadtviertel geht, dann sollte man versuchen, den Blick immer ein bisschen nach oben zu lenken, weil man dann den ersten Stock in den Blick bekommt. Die Ergeschosse von den meisten Häusern, an denen man vorbei geht, sind relativ unspektakulär, sind auch ganz einfach gebaut. Ab dem ersten Stock finden Sie dann Verzierungen, finden Sie zum Beispiel auch Bruderschaftszeichen an verschiedenen Häusern oder Bürger, die ihre Initialen an die Fassade ihres Hauses als Inschrift angebracht haben. Es werden dann auch einzelne Renaissanceelemente sichtbar. Wir haben antiquisierende Säulen, wir haben kleine Kapitelle, wir haben ganz geometrische Fassaden. Heute sieht man, wenn man jetzt durch die Stadt geht, auch viele von diesen Fensterläden, also es macht insgesamt einen sehr einheitlichen Eindruck und es ist ein wirklich sehr schönes Stadtviertel.“

Seine Blütezeit erlebt der Rione Ponte in der Renaissance, also im 15. und 16. Jahrhundert. Das Bankwesen floriert, aber auch Handel und Handwerk gedeihen. Was waren das für Berufe, die die Gestalt des Viertels prägten?

„Handwerker, die zum Beispiel die Nähe zum Wasser brauchten, denn Rione Ponte – Ponte heißt ja Brücke auf italienisch – zeigt schon, wie nahe am Tiber dieses Stadtviertel liegt. Man hat dort zum Beispiel Leder verarbeitendes Gewerbe, die fließendes Wasser brauchen. Man hat sogenannte „Schwimmmühlen“, also man auf dem Fluss Korn mahlen auf kleinen Pontons, auf denen diese Mühlen angebunden waren. Wir haben Weber zum Beispiel, also auch Gewerbe, das ziemlich stark gestunken haben muss. Wir haben sehr viele Pilger, die durchkommen und dadurch ein historisches Hotelviertel, in dem Reisende unterkommen. In dem Pilger, deren erklärtes Ziel es ist, einmal das Petrusgrab gesehen zu haben, für ein oder zwei Nächte schlafen. Einige von den reicheren Pilgern kommen mit Pferden, die in Ställen angebunden sein müssen, insofern haben wir wirklich eine ganz bunte Mixtur in diesem relativ kleinen Bereich der Stadt.“

Bis heute gibt es im Rione Ponte noch jede Menge, Schreiner, Schmide, Gerber und andere Handwerksbetriebe. Außerdem sind alte Hotelbetriebe erhalten, die bereits zur Renaissancezeit entstanden waren. Hierzu gehört die unweit des Tiberufers gelegene „Albergo dell’Orso“, wo einst sogar Johann Wolfgang von Goethe und Michel de Montaigne abgestiegen sein sollen.

„Der historische Hotelbetrieb hat sich eigentlich gar nicht so sehr gewandelt in dem, was wir heute von einem Hotel kennen. Man konnte sich dort einmieten, also man musste Geld zahlen. Man hatte einen Bereich, in dem man Pferde abstellen konnte, weil natürlich einige Reisende zu Pferd gekommen sind, die dann Heu und Hafer bekommen haben und einfach einen Platz zum Anleinen. Und oben drüber, ab dem 1. Stockwerk, 2. und häufig auch noch ein 3. Stockwerk, waren kleine Kammern untergebracht, in denen Reisende meistens auch mit mehreren Personen gleichzeitig übernachtet – nicht einmal unbedingt mit Personen, die sie kannten – also man wurde auch einfach mit Fremden zusammen gelegt. Unten gab es eine Küche, sodass man also auch in diesen Pensionen versorgt werden konnte, Mahlzeiten erhielt. Ganz selten war es auch nicht, dass man unterhalb des Daches, also in diesen kleinen Attiko-Wohnungen auch eine Prostituierte finden konnte, die dort ihre Dienste anbot, gerade eben bei diesen Durchreisenden. Das muss aber nicht in jedem Hotel der Fall gewesen sein und vielleicht gerade bei den Pilgerherbergen weniger.“

Womit wir wieder im Bereich „Kirche“ angelangt wären. Davon gibt es im Rione Ponte einige. Diese Kirchen sind von unterschiedlichen nationalen Einflüssen geprägt. Die verschiedenen Nationen machten sich gegenseitig Konkurrenz und brachten ihren Nationalstolz unter anderem durch imposante Kirchen zum Ausdruck. Frau Kägler erzählt uns mehr darüber.

„Es gibt in Rom vor allem das Phänomen der sogenannten „Nationalkirchen“. Die Nationen, die sich hier in Rom versammelt haben – es gibt natürlich schon seit dem Mittelalter und früher Deutsche in der Stadt, deutschsprachige. Ganz besonders zahlreich vertreten waren zum Beispiel Bäcker. Die haben sich als Landsleute zusammengeschlossen. Das war natürlich auf der einen Seite in Form von Zünften der Fall, aber es bestand einfach auch das große Interesse daran, in der Muttersprache die Messe zu hören. Und es entstanden im Mittelalter Hospize, in denen man sich um kranke Pilger und kranke Landsleute gekümmert hat. Es wurden dann mehrere Häuser zusammen gekauft und aus ein oder zwei Hospizen, zum Beispiel bei Santa Maria dell`Anima gab es ein Hospiz für die Männer, ein Hospiz für die Frauen – die waren unmittelbar nebeneinander gelegene Häuser, aus denen man dann angefangen hat, einen großen Kirchkomplex zu bauen. Und das passiert in der Zeit im 14. Jahrhundert, als die Päpste aus Avignon zurückkommen. Es ist die Zeit, in der ein großer Bauboom, gerade in diesem Bereich um die Piazza Navona, auch in dem Stadtgebiet des Rione Ponte entsteht. Die einzelnen Nationen – die Spanier, die Franzosen, die Deutschen – treten in unglaubliche Konkurrenz zueinander. In dem Modell, wo San Luigi dei Francesi eine herausragende Barockkirche wird, überlegt man sich bei der deutschen Nation dann eben: Mit unserer Hallenkirche, die da so im Grunde genommen aus der Mode fällt, können wir keinen Staat machen. Das Ding wird 50 Jahre nach dem Neubau abgerissen und eine neue Kirche gebaut, mit der man dann wieder in Konkurrenz treten kann zu den anderen Nationen und das ist ein Phänomen, das es vor allem in Rom gibt.“

Neben Nationalkirchen, Kunst und Handwerk, gemütlichen Restaurants und kleinen Cafés bietet der Rione Ponte auch Platz für Witz und Satire. Unweit der Cancelleria, der päpstlichen Kanzlei, machen wir Bekanntschaft mit Pasquino, einer sprechende Statue.

„Die sprechenden Statuen sind ein Faszinosum. Wenn Sie heute daran vorbei gehen, dann sehen Sie an einer alten Statue, die eigentlich kaum noch Arme und ein nurnoch unschwer zu erkennendes Gesicht, angeklebte Zettelchen. Bis vor kurzer Zeit klebten die Zettel noch am Knie, am Torso, am Gesicht zum Teil, an der Nase. Inzwischen hat man aus Denkmalschutzgründen eine Plastikstele daneben gestellt, an die diese Zettel geklebt werden sollen. Das sind anonyme Zettelchen, satirische oder Spottgedichte zum Beispiel, die sich heute in der Moderne mit der aktuellen Politik und Silvio Berlusconi beschäftigen, und das gleiche auch schon im 16., 17., 18. Jahrhundert mit den damaligen Inhabern der Macht – das heißt mit der Kurie, mit hohen, römischen Adelsfamilien, den Reichen, den Machthabern und vor allem natürlich mit dem Papst – gemacht haben. Also wer unzufrieden war, hatte hier ein Instrument, um sich Luft zu machen. Man hat seinen Namen nicht darunter gesetzt, man hat auf Italienisch oder früher auf Latein, einfach geschrieben, was einem nicht gepasst hat.“

Wir sind am Ende des Viertels angekommen und stehen am Corso Vittorio Emanuele, der den Tiber mit der Piazza Venezia verbindet. Von hier aus ist die Ausgrabungsstätte der Area Sacra und der Torre Argentina nur ein paar hundert Meter entfernt. Aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte.
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(rv 08.10.2011 ks)







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