Die Kaffeetassen klappern,
Vespafahrer brummen durch die Gassen, ein Händler stapelt wie jeden Tag die Gemüsekisten
auf. Der kreativ gepflasterte Boden hat die eine oder andere Stolperfalle und die
wild angeordneten Straßenzüge geben selbst nach Jahren noch Anlass, sich zu verlaufen.
Alte Männer diskutieren mit einer Zeitung unter dem Arm auf der Straße, und wenn Sie
einen barocken Stühle zu reparieren haben oder einen neuen alten Bilderrahmen brauchen,
sind Sie hier genau richtig.
„Gleichzeitig sind schon Fragen aufgekommen,
wie eigentlich das mit den sanitären Anlagen gewesen ist.“
Wir begleiten
Britta Kägler, Historikerin am deutschen historischen Institut in Rom, auf einem historischen
Stadtspaziergang durch das römische Viertel „Rione Ponte“.
„Wir gehen davon
aus, dass nicht alles in den Tiber geleitet wurde, viel aber sicherlich doch und man
hat ansonsten dann auch Sickergruben.“
Frau Kägler ist in ihrem Element.
Entlang von historischen Zeugnissen, die heute noch sichtbar sind, betreten wir die
Geschichte eines Stadtbezirks, dessen Blütezeit im ausgehenden Mittelalter zu finden
ist.
Wir beginnen unseren Spaziergang auf der Engelsbrücke. Bereits im Mittelalter
prägte sie die Entwicklung des Viertels.
„Die Engelsbrücke ist im Grunde
genommen der direkte Weg für jeden Pilger, der aus dem Norden kommt, um zum Petersdom
zu gelangen, und es ist – zumindest, wenn wir vom Mittelalter und der frühen Neuzeit
ausgehen – ein Nadelöhr in der Stadt. Es hat eine infrastrukturelle Bedeutung, denn
irgendwie muss man über den Fluss kommen und wenn man nicht größere Umwege in Kauf
nehmen möchte – die Milvische Brücke liegt eigentlich außerhalb der eigentlichen Stadt
und die Ponte Sisto würde einen Umweg von bestimmt zwei Kilometer Länge bedeuten.
Das heißt wir haben nur diese eine Brücke, um in Richtung Vatikan und des Stadtviertels
Borgo zu kommen. Und es ist eigentlich ursprünglich eine Brücke gewesen, die das Grabmal
des Hadrian mit der Stadt auf der anderen Seite verbinden sollte. Denn alles auf der
anderen Seite des Tibers, auch dort, wo jetzt die Engelsburg liegt, war schon außerhalb
der Aurelianischen Stadtmauer, also außerhalb des eigentlichen Rom.“
Wir
setzen uns in Richtung Süden in Bewegung. Am Ende der Brücke – gegenüber der Engelsburg
- lag früher übrigens ein Platz, an dem Hinrichtungen stattgefunden hatten. Die Köpfe
der Enthaupteten hat man zur Abschreckung längs der Engelsbrücke, gut für die Passanten
sichtbar, aufgespießt. Von dieser Seite betrachtet, bekommt die viel benutzte Brücke,
gerade als Verbindung zum Vatikan, noch einmal eine ganz andere Bedeutung.
Im
sogenannten Tiberknie gelegen, reicht der Rione Ponte bis fast an die Piazza Navona
und das Pantheon heran – aber wie gesagt nur fast. Denn große, monumentale Gebäude
und imposante Plätze sucht man im Rione Ponte vergeblich. Doch ist es gerade das,
was den Charme des Viertels ausmacht, die Palette reicht von bunt und lebendig bis
hin zu heimelig und rätselhaft. Erwähnenswert ist zum Beispiel der auf einem Trümmerberg
errichtete Palazzo d’Orsini, den man jedoch beim Umrunden des Hügels kaum sehen kann,
weil er rings herum zugebaut ist. Außerdem findet sich gleich um die Ecke der angeblich
engsten Gasse Roms das Haus der Fiammetta, die die Kurtisane von Cesare Borgia gewesen
sein soll. Wir bekommen von Frau Kägler eine kleine Lesehilfe.
„Also wenn
man mit offenen Augen durch dieses Stadtviertel geht, dann sollte man versuchen, den
Blick immer ein bisschen nach oben zu lenken, weil man dann den ersten Stock in den
Blick bekommt. Die Ergeschosse von den meisten Häusern, an denen man vorbei geht,
sind relativ unspektakulär, sind auch ganz einfach gebaut. Ab dem ersten Stock finden
Sie dann Verzierungen, finden Sie zum Beispiel auch Bruderschaftszeichen an verschiedenen
Häusern oder Bürger, die ihre Initialen an die Fassade ihres Hauses als Inschrift
angebracht haben. Es werden dann auch einzelne Renaissanceelemente sichtbar. Wir haben
antiquisierende Säulen, wir haben kleine Kapitelle, wir haben ganz geometrische Fassaden.
Heute sieht man, wenn man jetzt durch die Stadt geht, auch viele von diesen Fensterläden,
also es macht insgesamt einen sehr einheitlichen Eindruck und es ist ein wirklich
sehr schönes Stadtviertel.“
Seine Blütezeit erlebt der Rione Ponte in der
Renaissance, also im 15. und 16. Jahrhundert. Das Bankwesen floriert, aber auch Handel
und Handwerk gedeihen. Was waren das für Berufe, die die Gestalt des Viertels prägten?
„Handwerker, die zum Beispiel die Nähe zum Wasser brauchten, denn Rione
Ponte – Ponte heißt ja Brücke auf italienisch – zeigt schon, wie nahe am Tiber dieses
Stadtviertel liegt. Man hat dort zum Beispiel Leder verarbeitendes Gewerbe, die fließendes
Wasser brauchen. Man hat sogenannte „Schwimmmühlen“, also man auf dem Fluss Korn mahlen
auf kleinen Pontons, auf denen diese Mühlen angebunden waren. Wir haben Weber zum
Beispiel, also auch Gewerbe, das ziemlich stark gestunken haben muss. Wir haben sehr
viele Pilger, die durchkommen und dadurch ein historisches Hotelviertel, in dem Reisende
unterkommen. In dem Pilger, deren erklärtes Ziel es ist, einmal das Petrusgrab gesehen
zu haben, für ein oder zwei Nächte schlafen. Einige von den reicheren Pilgern kommen
mit Pferden, die in Ställen angebunden sein müssen, insofern haben wir wirklich eine
ganz bunte Mixtur in diesem relativ kleinen Bereich der Stadt.“
Bis heute
gibt es im Rione Ponte noch jede Menge, Schreiner, Schmide, Gerber und andere Handwerksbetriebe.
Außerdem sind alte Hotelbetriebe erhalten, die bereits zur Renaissancezeit entstanden
waren. Hierzu gehört die unweit des Tiberufers gelegene „Albergo dell’Orso“, wo einst
sogar Johann Wolfgang von Goethe und Michel de Montaigne abgestiegen sein sollen.
„Der historische Hotelbetrieb hat sich eigentlich gar nicht so sehr gewandelt
in dem, was wir heute von einem Hotel kennen. Man konnte sich dort einmieten, also
man musste Geld zahlen. Man hatte einen Bereich, in dem man Pferde abstellen konnte,
weil natürlich einige Reisende zu Pferd gekommen sind, die dann Heu und Hafer bekommen
haben und einfach einen Platz zum Anleinen. Und oben drüber, ab dem 1. Stockwerk,
2. und häufig auch noch ein 3. Stockwerk, waren kleine Kammern untergebracht, in denen
Reisende meistens auch mit mehreren Personen gleichzeitig übernachtet – nicht einmal
unbedingt mit Personen, die sie kannten – also man wurde auch einfach mit Fremden
zusammen gelegt. Unten gab es eine Küche, sodass man also auch in diesen Pensionen
versorgt werden konnte, Mahlzeiten erhielt. Ganz selten war es auch nicht, dass man
unterhalb des Daches, also in diesen kleinen Attiko-Wohnungen auch eine Prostituierte
finden konnte, die dort ihre Dienste anbot, gerade eben bei diesen Durchreisenden.
Das muss aber nicht in jedem Hotel der Fall gewesen sein und vielleicht gerade bei
den Pilgerherbergen weniger.“
Womit wir wieder im Bereich „Kirche“ angelangt
wären. Davon gibt es im Rione Ponte einige. Diese Kirchen sind von unterschiedlichen
nationalen Einflüssen geprägt. Die verschiedenen Nationen machten sich gegenseitig
Konkurrenz und brachten ihren Nationalstolz unter anderem durch imposante Kirchen
zum Ausdruck. Frau Kägler erzählt uns mehr darüber.
„Es gibt in Rom vor
allem das Phänomen der sogenannten „Nationalkirchen“. Die Nationen, die sich hier
in Rom versammelt haben – es gibt natürlich schon seit dem Mittelalter und früher
Deutsche in der Stadt, deutschsprachige. Ganz besonders zahlreich vertreten waren
zum Beispiel Bäcker. Die haben sich als Landsleute zusammengeschlossen. Das war natürlich
auf der einen Seite in Form von Zünften der Fall, aber es bestand einfach auch das
große Interesse daran, in der Muttersprache die Messe zu hören. Und es entstanden
im Mittelalter Hospize, in denen man sich um kranke Pilger und kranke Landsleute gekümmert
hat. Es wurden dann mehrere Häuser zusammen gekauft und aus ein oder zwei Hospizen,
zum Beispiel bei Santa Maria dell`Anima gab es ein Hospiz für die Männer, ein Hospiz
für die Frauen – die waren unmittelbar nebeneinander gelegene Häuser, aus denen man
dann angefangen hat, einen großen Kirchkomplex zu bauen. Und das passiert in der Zeit
im 14. Jahrhundert, als die Päpste aus Avignon zurückkommen. Es ist die Zeit, in der
ein großer Bauboom, gerade in diesem Bereich um die Piazza Navona, auch in dem Stadtgebiet
des Rione Ponte entsteht. Die einzelnen Nationen – die Spanier, die Franzosen, die
Deutschen – treten in unglaubliche Konkurrenz zueinander. In dem Modell, wo San Luigi
dei Francesi eine herausragende Barockkirche wird, überlegt man sich bei der deutschen
Nation dann eben: Mit unserer Hallenkirche, die da so im Grunde genommen aus der Mode
fällt, können wir keinen Staat machen. Das Ding wird 50 Jahre nach dem Neubau abgerissen
und eine neue Kirche gebaut, mit der man dann wieder in Konkurrenz treten kann zu
den anderen Nationen und das ist ein Phänomen, das es vor allem in Rom gibt.“
Neben
Nationalkirchen, Kunst und Handwerk, gemütlichen Restaurants und kleinen Cafés bietet
der Rione Ponte auch Platz für Witz und Satire. Unweit der Cancelleria, der päpstlichen
Kanzlei, machen wir Bekanntschaft mit Pasquino, einer sprechende Statue.
„Die
sprechenden Statuen sind ein Faszinosum. Wenn Sie heute daran vorbei gehen, dann sehen
Sie an einer alten Statue, die eigentlich kaum noch Arme und ein nurnoch unschwer
zu erkennendes Gesicht, angeklebte Zettelchen. Bis vor kurzer Zeit klebten die Zettel
noch am Knie, am Torso, am Gesicht zum Teil, an der Nase. Inzwischen hat man aus Denkmalschutzgründen
eine Plastikstele daneben gestellt, an die diese Zettel geklebt werden sollen. Das
sind anonyme Zettelchen, satirische oder Spottgedichte zum Beispiel, die sich heute
in der Moderne mit der aktuellen Politik und Silvio Berlusconi beschäftigen, und das
gleiche auch schon im 16., 17., 18. Jahrhundert mit den damaligen Inhabern der Macht
– das heißt mit der Kurie, mit hohen, römischen Adelsfamilien, den Reichen, den Machthabern
und vor allem natürlich mit dem Papst – gemacht haben. Also wer unzufrieden war, hatte
hier ein Instrument, um sich Luft zu machen. Man hat seinen Namen nicht darunter gesetzt,
man hat auf Italienisch oder früher auf Latein, einfach geschrieben, was einem nicht
gepasst hat.“
Wir sind am Ende des Viertels angekommen und stehen am Corso
Vittorio Emanuele, der den Tiber mit der Piazza Venezia verbindet. Von hier aus ist
die Ausgrabungsstätte der Area Sacra und der Torre Argentina nur ein paar hundert
Meter entfernt. Aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte. .. (rv
08.10.2011 ks)