Österreich: Kardinal Schönborn seit 20 Jahren Bischof
Eine gemischte Bilanz nach 20 Jahren als Bischof in der Erzdiözese Wien hat Kardinal
Christoph Schönborn gezogen. Positiven und sehr hoffnungsvollen Entwicklungen auf
der einen Seite stehen dramatische Probleme auf der anderen Seite gegenüber, so Schönborn
im Gespräch mit „Kathpress" und Medien der Erzdiözese Wien zum 20. Jahrestag seiner
Bischofsweihe am 29. September 1991.
Zur Frage, wie er sein Bischofsamt verstehe,
verwies der Kardinal auf das Bild des Hirten. Dieser brauche eine feste Hand, eine
klare Stimme, ein waches Auge und ein sorgendes Herz. Weiters auch Verstand "und er
soll nicht glauben, das alles von ihm abhängt". Oft gehe der Hirte der Herde voran.
Es komme aber auch vor, dass die Herde vorangeht und gute Weiden findet, an die der
Hirte nicht gedacht hatte. Schönborn: "Manchmal lernt auch der Hirte von der Herde."
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in Caritas, Bildung und Schule Als „echten Wachstumsbereich" im Leben der
Kirche bezeichnete Schönborn die Caritas. Deren Tätigkeit habe sich in seiner Amtszeit
fast verdreifacht. Dies zeige zum einen, wie groß die soziale Not im Land tatsächlich
sei, zum anderen werde die große Akzeptanz und Wertschätzung deutlich, die die Bevölkerung
der Caritas entgegenbringt. Auch im Schulbereich gebe es sehr positive Entwicklungen.
Der katholische Privatschulbereich sei in den vergangenen 20 Jahren stark ausgeweitet
worden.
Ebenso freut sich der Kardinal über „geistliche Wachstumsbereiche"
in der Erzdiözese Wien. So verzeichne er einen - wenn auch medial wenig beachteten
- Boom an Jugendgebetsgruppen. In seiner Amtszeit seien auch vier neue Klöster in
der Erzdiözese errichtet worden bzw. in Bau und die Zisterzienser von Heiligenkreuz
hätten so viele Ordensmitglieder wie noch nie zuvor in ihrer Geschichte.
Negativer
Trend bei Kirchenaustritten und Messbesuch Als schmerzliche Entwicklungen
wies der Kardinal auf die vielen Kirchenaustritte hin. Leider sei es auch immer noch
nicht gelungen, den Rückgang bei den Kirchgängern zu stoppen. Die Zahl der sonntäglichen
Messbesucher habe sich in seiner Amtszeit fast halbiert, räumte Schönborn ein. Das
sei „dramatisch und erschütternd". Ebenso unerfreulich sei die Entwicklung, dass die
Kirche gesamtgesellschaftlich stetig an Ansehen verloren habe.
Tief getroffen
hätten ihn auch die Vorkommnisse rund um die Affäre Groer in den 1990er Jahren, so
manche Spannungen innerhalb der Bischöfe oder die Missbrauchsfälle in der Kirche.
Kraft schöpfe er persönlich aus dem Gebet, der Feier der Eucharistie und viele ermutigende
Begegnungen mit Menschen.
Kirchlicher Reformprozess Auf den
Reformprozess in der Erzdiözese Wien angesprochen meinte der Kardinal, dass er in
der Vergangenheit wohl fälschlicherweise der Überzeugung gewesen sei, „dass wir keine
Pfarren auflösen werden". Dieses Vorhaben werde wohl nun aber nicht zu halten sein.
Schönborn wörtlich: „Wenn wir in Wien nur mehr halb so viele Katholiken sind, aber
immer noch die gleiche Zahl von 172 Pfarren haben wie zur Zeit, wo wir doppelt so
viele waren, dann müssen wir uns die Frage stellen, wie wir künftig damit umgehen,
damit es nicht zu einem Crash kommt. "
Zur Frage, wie er als Bischof damit
umgehe, im Spannungsfeld zwischen Anliegen des Kirchenvolks und Vorgaben des Vatikans
zu stehen, erwiderte der Kardinal, dass diese Vorstellung so nicht stimme. Er erlebe
selten Spannungen zwischen „der progressiven Kirchenbasis" und „dem konservativen
Vatikan". Die Dinge seien wesentlich komplexer, die Konfliktlinien würden sowohl quer
durch das „Volk" als auch durch „Rom" laufen. Im Vatikan gebe es „ganz großartige,
hingebungsvolle dienstbereite Menschen, von einer unglaublichen Weite und Großherzigkeit",
andererseits aber auch Missstände, moralisches Fehlverhalten oder Engstirnigkeit.
Schönborn: „Licht und Schatten sind überall ziemlich gleich verteilt, im Vatikan und
in der Erzdiözese Wien."
Zugleich wolle er aber ausdrücklich betonen, so Schönborn,
dass er schon seit seinen jungen Priesterjahren „Rom oft wirklich als rettend erlebt"
habe. Der Papst gebe Orientierung, schenke neue Perspektiven und eine Erweiterung
des Horizonts. Das habe für Johannes Paul II. gegolten und gelte nun natürlich auch
für Benedikt XVI. So habe er, Schönborn, den obersten Hirtendienst des Petrusnachfolgers
oft als etwas „unglaublich Heilsames und Rettendes" erlebt.
Jeder Getaufte
zur Mission aufgerufen Als vordringlichste Aufgabe für die kommenden Jahre
nannte Schönborn die Forcierung des Missionsgedankens. Mission bzw. Evangelisierung
sei bei weitem nicht nur Aufgabe von Priestern oder Ordensleuten. Jeder Getaufte sei
dazu aufgerufen und auch befähigt, so der Kardinal. Es gehe um das „gemeinsame Priestertum
aller Getauften", wie es schon vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) betont wurde.
Diese Lehre des Konzils sei auch heute, knapp 50 Jahre später, immer noch nicht bei
vielen Katholiken angekommen, so Schönborn.
Das Konzil spreche zuerst vom
Volk Gottes, das alle Getauften gemeinsam darstellen würden. Alle seien berufen, den
Glauben konsequent zu leben und zu bezeugen. Erst in einem weiteren Schritt unterscheide
das Konzil zwischen verschiedenen Diensten und Ämtern in der Kirche, seien es Bischöfe
und Priester, Ordenschristen oder Laien. Schönborn: „Für alle zentral ist ohne Unterschied
die universale Berufung zur Heiligkeit."
Auf Anfrage erläuterte der Wiener
Erzbischof die kirchliche Bestimmung des medial vielfach kritisierten bzw. ins Spiel
gebrachte Predigtverbots für Laien. Dies beziehe sich ausdrücklich nur auf die Predigt
im Rahmen der Eucharistiefeier. Weil Eucharistie und Wortverkündigung eine innere
Einheit bilden, bestimme die Kirche, „dass derjenige, der der Eucharistiefeier vorsteht
auch den 'Tisch des Wortes' bereitet und die Schriftlesungen auslegt."
Daneben
gebe es aber vielfältige Formen des Predigtdienstes, etwa im Rahmen von Andachten,
Wortgottesdiensten ohne Eucharistiefeier oder Begräbnissen, wo selbstverständlich
auch Laien predigen würden. Letztlich sei jeder Gläubige zum Predigen aufgerufen,
sei es in der Familie oder auch am Arbeitsplatz.
Mitteleuropäische Biografie Die
Ernennung von Christoph Schönborn zum Weihbischof von Wien erfolgte am 11. Juli 1991
und wurde seinerzeit zeitgleich mit der Ernennung des damaligen Wiener Weihbischofs
Kurt Krenn zum neuen Diözesanbischof von St. Pölten veröffentlicht. Schönborn, damals
46-jähriger Dominikanermönch und international renommierter Theologe, empfing seine
Bischofsweihe am 29. September 1991 im Wiener Stephansdom. Die Weihe spendeten der
damalige Wiener Erzbischof, Kardinal Hans Hermann Groer, sowie Kardinal Franz König
und der Brünner Bischof Vojtech Cikrle.
Herkunft und Lebensweg geben Schönborn
eine mitteleuropäische Biografie: Bald nach seiner Geburt in Skalken bei Leitmeritz
am 22. Jänner 1945 musste die Familie das Land verlassen und fand eine neue Heimat
in Vorarlberg, wo Christoph Schönborn aufwuchs. 1964 legte er die Profess als Dominikaner
ab und wurde am 27. Dezember 1970 zum Priester geweiht. Nach Jahren als Studentenseelsorger
in Graz und Professor für Dogmatik an der Kath.-Theol. Fakultät in Fribourg (Schweiz)
wurde er am 11. Juli 1991 zum Titularbischof von Sutri und Weihbischof der Erzdiözese
Wien ernannt. Am 13. April 1995 erfolgte seine Ernennung zum Erzbischof-Koadjutor
und wenige Monate danach, am 14. September 1995, trat Schönborn das Amt als Erzbischof
von Wien an. Am 21. Februar 1998 wurde der Wiener Erzbischof vom Papst zum Kardinal
kreiert. Schönborns Titelkirche in Rom ist die Pfarrkirche Gesù Divin Lavoratore.