Kommt europaweit die Finanztransaktionssteuer? Interview mit Jörg Alt
Die Europäische Kommission
will eine Finanztransaktionssteuer: An diesem Mittwoch wurde der entsprechende Gesetzesvorschlag
dem EU-Parlament vorgestellt. Eine Minimalsteuer soll danach bei Börsengeschäften
aller Art, aber auch beim Handel mit so genannten Derivaten in allen EU-Ländern erhoben
werden. Das ist eine Idee, für die die Kampagne „Steuer gegen Armut“ seit Jahren eintritt.
Das Aktionsbündnis bringt 85 Gruppen zusammen, darunter Attac und viele NGOs. Stefan
Kempis fragte den Kampagnensprecher, Jesuitenpater Jörg Alt, ob sich die Brüsseler
Initiative ihrer Lobbyarbeit verdankt oder eher der 2008 losgebrochenen Finanzkrise.
„Es
kommt da beides zusammen: Unsere Kampagne hätte es nicht gegeben ohne die Finanzkrise,
und die enorme Unterstützung der Kampagne durch die Bürgerinnen und Bürger in der
Europäische Union hätte es auch nicht gegeben ohne die Wut, dass einfach offensichtlich
nichts passiert, um die Banken an den Krisenkosten zu beteiligen. Allerdings sind
auch wir erstaunt, dass die EU-Kommission, die von Anfang an zu unseren schärfsten
Kritikern gehört hat, inzwischen auf unserer Seite steht.“
Wie kommt es
denn zu dieser Wende?
„Offensichtlich haben wir es geschafft, unsere Argumente
plausibel zu machen und der Bankenlobby den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es war
ja wirklich von Anfang an irgendwo unrealistisch, dass bei einem Steuersatz von 0,05
das europäische Bankenwesen und das christliche Abendland untergeht!“
Jetzt
soll die Steuer womöglich nach dem so genannten Sitzlandprinzip erhoben werden, heißt
es in der Vorlage – was bedeutet das?
„Das bedeutet, dass der Wohnsitz des
Handelnden darüber entscheidet, wo die Steuer entrichtet werden muss. Es ist also
nicht wichtig, wo gehandelt wird – ob in Singapur, Hongkong oder London –, sondern
es ist wichtig, welche Vertragsparteien an einem Handel beteiligt sind. Das heißt:
Wenn ein Deutscher in Hongkong irgendetwas kauft oder verkauft, wird die Finanztransaktionssteuer
für diesen Deutschen fällig.“
Was ist aus Ihrer Sicht so wichtig an einer
möglichen Finanztransaktionssteuer?
„Die Kampagne hat von vornherein zwei
Ziele verfolgt. Das eine war die Finanztransaktionssteuer, weil wir uns davon auch
eine Stabilisierung der Finanzmärkte erwarten – vor allem, dass dieser Hochfrequenzhandel,
der über Computer abgewickelt wird, unrentabel wird. Denn wenn man in einer Sekunde
oder im Bruchteil einer Sekunde Tausende von Handelsbewegungen heutzutage veranlassen
kann, dann überlegt man es sich trotzdem, wenn man für jede dieser Handelsbewegungen
eben diesen minimalen Steuersatz zahlen muss.
Also, von daher denken
wir, dass die Finanztransaktionssteuer in sich schon ein Gewinn für die Weltwirtschaft
ist – und vor allen Dingen ein kleiner Schritt auf dem Weg, den Finanzmarkt wieder
an die Realwirtschaft zu koppeln, indem man dann vielleicht doch seitens der Händler
auch noch mal überlegt: Was mache ich eigentlich mit dem Geld, das ich gerade habe?
Das
Zweite ist natürlich: Wir denken, dass nicht nur die entwickelten Länder unter der
Finanzkrise gelitten haben, sondern auch die armen Länder. Wir wollen Einnahmen aus
dieser Steuer dazu verwenden, weltweit Armut zu bekämpfen und uns auf die Folgen des
Klimawandels besser vorbereiten zu können.“
Soweit, dass das auch den armen
Ländern zugutekommen könnte, geht aber der Entwurf, der an diesem Mittwoch dem EU-Parlament
vorgestellt wurde, nicht – oder?
„Ja, das ist auch nicht verwunderlich.
Auch die Begeisterung der deutschen und der französischen Regierung für diese Steuer
erklärt sich ja hauptsächlich damit, dass eben viele Regierungen versuchen, über diesen
Weg ihre Haushaltsdefizite abzusenken. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass
z.B. gerade die französische Regierung auch durchaus Sympathien dafür hat, Einnahmen
aus dieser Steuer in die Armutsbekämpfung und Entwicklungsarbeit zu stecken, und Präsident
Sarkozy hat zugesagt, auch dieses Thema noch einmal auf dem nächsten G-20-Gipfel in
Cannes im kommenden November anzusprechen.“