2011-09-28 15:01:18

Kommt europaweit die Finanztransaktionssteuer? Interview mit Jörg Alt


RealAudioMP3 Die Europäische Kommission will eine Finanztransaktionssteuer: An diesem Mittwoch wurde der entsprechende Gesetzesvorschlag dem EU-Parlament vorgestellt. Eine Minimalsteuer soll danach bei Börsengeschäften aller Art, aber auch beim Handel mit so genannten Derivaten in allen EU-Ländern erhoben werden. Das ist eine Idee, für die die Kampagne „Steuer gegen Armut“ seit Jahren eintritt. Das Aktionsbündnis bringt 85 Gruppen zusammen, darunter Attac und viele NGOs. Stefan Kempis fragte den Kampagnensprecher, Jesuitenpater Jörg Alt, ob sich die Brüsseler Initiative ihrer Lobbyarbeit verdankt oder eher der 2008 losgebrochenen Finanzkrise.

„Es kommt da beides zusammen: Unsere Kampagne hätte es nicht gegeben ohne die Finanzkrise, und die enorme Unterstützung der Kampagne durch die Bürgerinnen und Bürger in der Europäische Union hätte es auch nicht gegeben ohne die Wut, dass einfach offensichtlich nichts passiert, um die Banken an den Krisenkosten zu beteiligen. Allerdings sind auch wir erstaunt, dass die EU-Kommission, die von Anfang an zu unseren schärfsten Kritikern gehört hat, inzwischen auf unserer Seite steht.“

Wie kommt es denn zu dieser Wende?

„Offensichtlich haben wir es geschafft, unsere Argumente plausibel zu machen und der Bankenlobby den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es war ja wirklich von Anfang an irgendwo unrealistisch, dass bei einem Steuersatz von 0,05 das europäische Bankenwesen und das christliche Abendland untergeht!“

Jetzt soll die Steuer womöglich nach dem so genannten Sitzlandprinzip erhoben werden, heißt es in der Vorlage – was bedeutet das?

„Das bedeutet, dass der Wohnsitz des Handelnden darüber entscheidet, wo die Steuer entrichtet werden muss. Es ist also nicht wichtig, wo gehandelt wird – ob in Singapur, Hongkong oder London –, sondern es ist wichtig, welche Vertragsparteien an einem Handel beteiligt sind. Das heißt: Wenn ein Deutscher in Hongkong irgendetwas kauft oder verkauft, wird die Finanztransaktionssteuer für diesen Deutschen fällig.“

Was ist aus Ihrer Sicht so wichtig an einer möglichen Finanztransaktionssteuer?

„Die Kampagne hat von vornherein zwei Ziele verfolgt. Das eine war die Finanztransaktionssteuer, weil wir uns davon auch eine Stabilisierung der Finanzmärkte erwarten – vor allem, dass dieser Hochfrequenzhandel, der über Computer abgewickelt wird, unrentabel wird. Denn wenn man in einer Sekunde oder im Bruchteil einer Sekunde Tausende von Handelsbewegungen heutzutage veranlassen kann, dann überlegt man es sich trotzdem, wenn man für jede dieser Handelsbewegungen eben diesen minimalen Steuersatz zahlen muss.

Also, von daher denken wir, dass die Finanztransaktionssteuer in sich schon ein Gewinn für die Weltwirtschaft ist – und vor allen Dingen ein kleiner Schritt auf dem Weg, den Finanzmarkt wieder an die Realwirtschaft zu koppeln, indem man dann vielleicht doch seitens der Händler auch noch mal überlegt: Was mache ich eigentlich mit dem Geld, das ich gerade habe?

Das Zweite ist natürlich: Wir denken, dass nicht nur die entwickelten Länder unter der Finanzkrise gelitten haben, sondern auch die armen Länder. Wir wollen Einnahmen aus dieser Steuer dazu verwenden, weltweit Armut zu bekämpfen und uns auf die Folgen des Klimawandels besser vorbereiten zu können.“

Soweit, dass das auch den armen Ländern zugutekommen könnte, geht aber der Entwurf, der an diesem Mittwoch dem EU-Parlament vorgestellt wurde, nicht – oder?

„Ja, das ist auch nicht verwunderlich. Auch die Begeisterung der deutschen und der französischen Regierung für diese Steuer erklärt sich ja hauptsächlich damit, dass eben viele Regierungen versuchen, über diesen Weg ihre Haushaltsdefizite abzusenken. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass z.B. gerade die französische Regierung auch durchaus Sympathien dafür hat, Einnahmen aus dieser Steuer in die Armutsbekämpfung und Entwicklungsarbeit zu stecken, und Präsident Sarkozy hat zugesagt, auch dieses Thema noch einmal auf dem nächsten G-20-Gipfel in Cannes im kommenden November anzusprechen.“

(rv 28.09.2011 sk)








All the contents on this site are copyrighted ©.