2011-09-28 15:35:23

Der Papst und die Politik: Die Rede im Bundestag


RealAudioMP3 Mit besonderer Spannung ist am ersten Tag der Reise die erste Rede eines Papstes vor dem deutschen Bundestag erwartet worden. Schon im Vorfeld hatte es hitzige Diskussionen darüber gegeben, was denn ein Kirchenoberhaupt im Parlament zu suchen hätte. Rund hundert Abgeordnete von SPD, Grünen und Linker boykottierten den Papst, der auf Einladung von Bundestagspräsidenten Norbert Lammert ins hohe Haus gekommen war. Die Rede Benedikts hat dann schließlich alle überrascht: Der Papst hielt ein flammendes Plädoyer für Recht und Gerechtigkeit in einer Gesellschaft, die die Würde der Natur und des Menschen achtet. Gedanklicher Ausgangspunkt ist die Bibelerzählung aus dem ersten Buch der Könige von König Salomon, der sich von Gott ein hörendes Herz wünscht, um sein Volk regieren und das Gute vom Bösen unterscheiden zu können.

„Die Bibel will uns mit dieser Erzählung sagen, worauf es für einen Politiker letztlich ankommen muss. Sein letzter Maßstab und der Grund für seine Arbeit als Politiker darf nicht der Erfolg und schon gar nicht materieller Gewinn sein. Die Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Friede schaffen. Natürlich wird ein Politiker den Erfolg suchen, der ihm überhaupt die Möglichkeit politischer Gestaltung eröffnet. Aber der Erfolg ist dem Maßstab der Gerechtigkeit, dem Willen zum Recht und dem Verstehen für das Recht untergeordnet. Erfolg kann auch Verführung sein und kann so den Weg auftun für die Verfälschung des Rechts, für die Zerstörung der Gerechtigkeit. „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande“, hat der heilige Augustinus einmal gesagt.“

Gerade in Deutschland hat in sich vor einigen Jahrzehnten gezeigt, wie schnell aus Unrecht Recht werden kann. Dieser Gefahr müssen sich Politiker stets bewusst bleiben, so der Papst.

„Wir Deutsche wissen es aus eigener Erfahrung, dass diese Worte nicht ein leeres Schreckgespenst sind. Wir haben erlebt, dass Macht von Recht getrennt wurde, dass Macht gegen Recht stand, das Recht zertreten hat und dass der Staat zum Instrument der Rechtszerstörung wurde – zu einer sehr gut organisierten Räuberbande, die die ganze Welt bedrohen und an den Rand des Abgrunds treiben konnte. Dem Recht zu dienen und der Herrschaft des Unrechts zu wehren ist und bleibt die grundlegende Aufgabe des Politikers.“

Aus der Vergangenheit lässt sich lernen, und auch heute bedrohen neue Gefahren die Würde des Menschen, Stichwort Gentechnik, P.I.D. und Atomkraft. Alles Themen, die die deutsche Politik heute beschäftigen, und bei denen die Fähigkeit, Recht von Unrecht zu trennen, aufs neue gefordert ist:

„In einer historischen Stunde, in der dem Menschen Macht zugefallen ist, die bisher nicht vorstellbar war, wird diese Aufgabe besonders dringlich. Der Mensch kann die Welt zerstören. Er kann sich selbst manipulieren. Er kann sozusagen Menschen machen und Menschen vom Menschsein ausschließen.“

Wenn man über Recht und Unrecht spricht, kommt man unweigerlich auf eine der ersten Fragen Platons aus der antiken griechischen Philosophie zurück: Was ist das Gute? Für den Papst bleibt sie eine entscheidende Frage, die sich Politiker auch heute stellen müssen. Das demokratische Prinzip, die Mehrheit entscheiden zu lassen, ist gerade in den Grundfragen des Rechts, in denen es um die Würde des Menschen geht, nicht ausreichend, so der Papst. Gerade im Dritten Reich hätten Widerstandskämpfer gegen geltendes Recht verstoßen, da sie es als Unrecht erkannt und so dem Recht und der ganzen Menschheit einen Dienst erwiesen haben. Im Vergleich ist die Unterscheidbarkeit zwischen Recht und Unrecht heute deutlich schwieriger geworden, warnte der Papst:

„Aber bei den Entscheidungen eines demokratischen Politikers ist die Frage, was nun dem Gesetz der Wahrheit entspreche, was wahrhaft recht sei und Gesetz werden könne, nicht ebenso evident. Was in Bezug auf die grundlegenden anthropologischen Fragen das Rechte ist und geltendes Recht werden kann, liegt heute keineswegs einfach zutage. Die Frage, wie man das wahrhaft Rechte erkennen und so der Gerechtigkeit in der Gesetzgebung dienen kann, war nie einfach zu beantworten, und sie ist heute in der Fülle unseres Wissens und unseres Könnens noch sehr viel schwieriger geworden.“

Benedikt XVI. verweist auf die Ursprünge der Rechtsordnungen und darauf, dass diese fast immer religiös begründet worden sind. Im Unterschied zu anderen großen Religionen habe das Christentum aber nie vorgegeben, dass die Rechtsordnung von Gott offenbart worden sei. Vielmehr seien Natur und Vernunft, die in der schöpferischen Vernunft Gottes gründen, als die wahren Rechtsquellen zu sehen. Darauf stützen sich schließlich auch die Menschenrechte und das deutsche Grundgesetz.

Das Verständnis dieser beiden Grundbegriffe Natur und Vernunft habe sich aber im letzten halben Jahrhundert dramatisch verändert, so Benedikt. Das Naturrecht werde abgelehnt, Natur nur mehr rein funktional als Zusammenspiel von Ursache und Wirkung verstanden. Mit der gefährlichen Folge, dass alles, was nicht unter wissenschaftlichen Aspekten erklärt werden kann, ausgeblendet werden müsse und nicht mehr – im strengen Sinne – Teil der Vernunft sei. Eine Tendenz, die sich heute immer stärker zeige, so der Papst:

„Wo die alleinige Herrschaft der positivistischen Vernunft gilt – und das ist in unserem öffentlichen Bewusstsein weithin der Fall –, da sind die klassischen Erkenntnisquellen für Ethos und Recht außer Kraft gesetzt. Dies ist eine dramatische Situation, die alle angeht und über die eine öffentliche Diskussion notwendig ist, zu der dringend einzuladen eine wesentliche Absicht dieser Rede ist.“

Diese grundsätzlichen Veränderungen im Verständnis von Natur und Vernunft seien eine Gefahr für die Religion, die Kultur und schlussendlich die ganze Menschheit, so Benedikt:

„Wo die positivistische Vernunft sich allein als die genügende Kultur ansieht und alle anderen kulturellen Realitäten in den Status der Subkultur verbannt, da verkleinert sie den Menschen, ja sie bedroht seine Menschlichkeit. Ich sage das gerade im Hinblick auf Europa, in dem weite Kreise versuchen, nur den Positivismus als gemeinsame Kultur und als gemeinsame Grundlage für die Rechtsbildung anzuerkennen, alle übrigen Einsichten und Werte unserer Kultur in den Status einer Subkultur verwiesen und damit Europa gegenüber den anderen Kulturen der Welt in einen Status der Kulturlosigkeit gerückt und zugleich extremistische und radikale Strömungen herausgefordert werden.“

Benedikt schließt hier an seine Rede in der Universität Regensburg vor fünf Jahren an: Der Begriff der Vernunft müsse in seiner ganzen Weite wieder eröffnet werden.

„Die sich exklusiv gebende positivistische Vernunft, die über das Funktionieren hinaus nichts wahrnehmen kann, gleicht den Betonbauten ohne Fenster, in denen wir uns Klima und Licht selber geben, beides nicht mehr aus der weiten Welt Gottes beziehen wollen. Und dabei können wir uns doch nicht verbergen, dass wir in dieser selbstgemachten Welt im stillen doch aus den Vorräten Gottes schöpfen, die wir zu unseren Produkten umgestalten. Die Fenster müssen wieder aufgerissen werden, wir müssen wieder die Weite der Welt, den Himmel und die Erde sehen und all dies recht zu gebrauchen lernen.“

Einen Versuch in der deutschen Politik, die Fenster aufzureißen, sieht der Papst in der ökologischen Bewegung der 70er-Jahre. Er sei ein Schrei nach frischer Luft gewesen: Junge Menschen hätten erkannt, dass irgendetwas im Umgang mit der Natur nicht stimmt. Dem Thema Umweltschutz schenkt der Papst besondere Aufmerksamkeit, wohl auch in Hinblick auf die Zulassung der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik, die am Freitag den Bundesrat passiert hat:

„Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann. Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur hört, sie achtet und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit.“

Am Ende seiner Rede vor dem Bundestag verweist der Papst noch einmal auf die kulturellen Ursprünge Europas hin, die aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom entstanden sind. Jenes Recht gelte es heute zu verteidigen, das aus dem Bewusstsein der Verantwortung des Menschen vor Gott und in Anerkennung der unantastbaren Würde des Menschen entstanden ist, so der Papst. Um wieder zur Bibel und König Salomon zurückzukehren:

„Dem jungen König Salomon ist in der Stunde seiner Amtsübernahme eine Bitte freigestellt worden. Wie wäre es, wenn uns, den Gesetzgebern von heute, eine Bitte freigestellt wäre? Was würden wir erbitten? Ich denke, auch heute könnten wir letztlich nichts anderes wünschen als ein hörendes Herz – die Fähigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden und so wahres Recht zu setzen, der Gerechtigkeit zu dienen und dem Frieden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!”

(rv 28.09.2011 ak)








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