Die christliche Tradition
kennt die so genannte Wiederholungsbetrachtung. Man macht etwas zweimal, das zweite
Mal ohne die Emotionen des ersten Males. Diese Tradition empfiehlt sich sehr beim
Papstbesuch. Das alles war viel zu dicht, 18 Ansprachen und Predigten, vier große
Gottesdienste, das ist viel zu viel, um es beim Besuch selbst mitbekommen zu haben.
Für
alle, die möchten, biete ich eine Lesehilfe. Es gibt nämlich rote Fäden und Grundgedanken,
die die Worte des Papstes aufschlüsseln. Ganz bewusst lasse ich einmal die Kritiken
an dem, was der Papst gesagt hat, außen vor. Aber auch diejenigen, die jetzt schon
in den Papst hineinlesen, was er gar nicht gesagt hat. Die Lesehilfe soll keine Antwort
auf diese Kritiken sein, das ist der einzige Grund. Man kann sich in Auseinandersetzung
mit dem, was der Papst sagt, ein eigenes Urteil bilden, auch ohne die Kommentarseiten.
Er spricht nicht über die Köpfe der Menschen hinweg, aber man muss sich schon
ein wenig anstrengen. Man muss sich von seinen Gedanken mitnehmen lassen.
Das
Thema des Papstes: Das hörende Herz Der Papst begann sein Thema im Flugzeug:
In der Gesellschaft wachse die Sehnsucht nach einer Stimme der Moral. Dasselbe Thema
sprach er im Bundestag an, in seinem Lob der ökologischen Bewegung. Es ist der Gedanke
der Sehnsucht, des Wunsches nach etwas, was über die ausbeutende oder unmoralische
Welt des Alltages hinausgeht. Dabei ist das Wort Sehnsucht kein emotionaler Begriff,
er gehört in das Nachdenken, oder besser das Nachspüren, das „hörende Herz“ König
Salomos hinein, wie der Papst es vor dem Bundestag ausdrückte. Ein Gedanke, der am
Schluss des Papstbesuches noch einmal explizit auftauchte.
Aber nicht nur
der Papst äußert sich so. Es wachse die Sehnsucht nach Sinn angesichts der Krisen,
so Bundespräsident Wulff. Die Aussagen des Papstes zum Umgang mit Fremden und mit
dem Fremden, zum Schutz der Schöpfung und des menschlichen Lebens seien wertvoll,
wenn es um Menschlichkeit gehe. Derselbe Gedanke: Die Sehnsucht ist nicht nur ein
Gefühl, sie gehört ins Nachdenken, in die Reflexion.
Die Person, an der Papst
Benedikt XVI. dies festmacht, ist Martin Luther. Sein Ringen mit Gott und um Gott,
die Frage nach dem gütigen Gott, die ihn umtreibt und sowohl theologisch wie auch
Menschlich nie mehr in Ruhe lässt, ist auch Ausdruck dieser Vernunft, die weiter ist
als das rein Nützliche und Funktionale. Eine Vernunft, die das Herz einschließt, die
Sehnsucht, aber auch das Getriebensein und das Verlangen nach mehr.
Vernunft
und Gott - Kein Widerspruch Viele Kommentatoren haben an dieser Stelle
nur das Lob des Papstes für die persönliche Frömmigkeit Luthers gesehen, ich glaube
aber, dass die Würdigung tiefer geht. Luther war nicht nur persönlich glaubend und
suchend, er hat durch diese Suche dem Denken neue Räume erschlossen oder zumindest
eine Richtung gegeben. An anderer Stelle nannte er das die sich weitende Vernunft.
Und hier kommt Gott ins Spiel. Gott ist Teil des Lebens, Teil des Denkens, Teil
der Vernunft. Gott kann nicht – und dieser Gedanke zieht sich explizit oder implizit
durch alle Reden des Papstes – auf den Privatbereich oder die persönliche Emotion
beschränkt werden. Wahrheit – der Raum, in dem sich unsere Vernunft bewegt – ist größer
als das, was das Nützlichkeitsdenken erfassen kann.
Ein Christ wird das eigene
Suchen und Ringen immer mit der Frage nach Gott verbinden. Benedikt XVI. hat ja schon
im „Wort zum Sonntag“ und dann uns Journalisten beim Flug nach Berlin noch einmal
deutlich gesagt, dass er über Gott reden wolle. Das hat er getan.
Und hier,
wo Gott ins Spiel kommt, entsteht dann auch das Denken darüber, wie denn das Leben
zu gestalten sei. Auch diese Gedanken nehmen im Bundestag ihren Ausgang. Der Papst
macht klar, dass ein jedes Nachdenken darüber in der Frage nach Gott wurzeln muss.
Religion
und Freiheit brauchen einander Und noch etwas anderes kommt hinzu: Es ist
wohl die Sorge vieler Menschen, dass der Papst auf sie herabblicke, sie verurteile.
Wenn er sagt, viele seien „der Beliebigkeit verfallen“, meinen sie, der Papst wolle
die Unterwerfung – und sie protestieren dagegen, innerlich oder auf der Straße. Dabei
muss man aber immer den Satz des Papstes als Referenzrahmen dazu denken: „Wie die
Religion die Freiheit braucht, so braucht die Freiheit die Religion.“ Wie es Präses
Schneider ausgedrückt hat: Die Freiheit in der Religion ist eben genau nicht die Beliebigkeit.
Sie ist eine Festlegung, eine Festlegung auf Gott.
Überhaupt bilden diese
Begriffe einen Schwerpunkt der Reise wie auch des Denkens des Papstes: Freiheit und
Religion, Gesellschaft und Glaube, Vernunft und das Gestalten unserer Welt. Die Reden
bilden fast schon so etwas wie eine Symphonie, sie bauen aufeinander auf und entwickeln
sich.
Kirche, Raum der Gottsuche In der Mitte der Reise änderte
sich dann etwas die Perspektive: Die Kirche rückte in den Mittelpunkt und damit der
Ort, den Jesus Christus selbst als Mitte für das gemeinsame Suchen nach Gott gestiftet
hat. Hier war der Papst nicht unkritisch, er hat klare Impulse gegeben. Besonders
seine beiden Ansprachen vor dem Katholizismus in Freiburg, aber auch die Ansprache
vor den Seminaristen sagen neben aller Würdigung noch einmal sehr deutlich: Die Zuordnung
von Struktur und Gottsuche muss stimmen, die Strukturen dürfen die Frage nach Gott
nicht verdunkeln. Nehmt euch selber nicht so wichtig, sagte er den Seminaristen. Dass
kann man ruhigen Gewissens auch auf die anderen Ansprachen übertragen: Eine Selbstbeschäftigung
hilft nicht weiter, fördert nicht den Glauben und fördert letztlich nicht die Gemeinschaft
der Glaubenden in Christus.
Hier haben auch die vielzitierten Gedanken des
Papstes über die Strukturen der Kirche ihren Platz: Einerseits die Würdigung des Einsatzes
der vielen Christen etwa für die Caritas, andererseits die Mahnung, dass die letztlich
auf Privilegien aufbauende Struktur nicht der Daseinszweck der Kirche ist und werden
darf.
Nimm dich nicht zu wichtig! Vielleicht sind die Worte
in der Predigt in Freiburg die beste Erklärung für das, was der Papst der deutschen
Kirche mit auf den Weg gibt: Die Anfangsgedanken von der Sehnsucht des Menschen nach
etwas, was über die funktionale Vernunft hinausgeht, also letztlich nach Gott, zeige
sich in vielen Menschen, auch wenn sie Gott nicht kennen. Dem gegenüber können die,
die nur auf die Struktur blicken, nichts anbieten. Kirche muss eine Antwort auf die
Suche geben können, oder vielleicht besser: In der Kirche müssen wir gemeinsam dieser
Suche nach der Mitte, nach Gott, nachgehen.
Ist das zu fromm? Ist das ein Ausweichen?
Statt sich der Krise zu stellen, wird der Papst geistlich? Im Gegenteil. Wer das Christsein
ernst nimmt, so der Papst, der wird die Lösung für die Probleme – und davon gibt es
viele, nicht zuletzt den großen Vertrauensverlust – nur über den Glauben finden. Funktionale
Lösungen helfen nicht, im Gegenteil, sie führen letztlich von Gott weg.
Den
Papst selber hören! Aus all dem höre ich die Einladung, sich über den Grund
des Glaubens Gedanken zu machen. Noch einmal: Zu viele Kommentatoren lesen in die
Texte des Papstes Bestätigungen für ihre Gedanken und Theorien hinein. Es lohnt sich
aber, ihm selbst direkt zuzuhören und den Gedanken nachzugehen. In den Ansprachen
und Predigten lesen und hören wir einen Papst, wie wir ihn vielleicht schon kennen,
wie wir ihn ab jetzt aber auch für Deutschland gehört haben. Der Erneuerungsprozess
der Kirche hat einen Impuls bekommen, der ihr gut tun wird.