Papst Benedikt XVI. vor dem Bundestag: Was ist Gerechtigkeit?
Mit Spannung ist sie
erwartet worden, die Rede von Papst Benedikt XVI. vor dem deutschen Bundestag. Vor
den Abgeordneten hat der Papst dann auch gleich zu Beginn seiner Rede festgehalten,
dass er als Bischof von Rom, der die oberste Verantwortung für die katholische Christenheit
trägt, sprechen wird. Was dann folgte, war ein staatsmännisches Plädoyer für Gerechtigkeit
und ethisches Bewusstsein in Politik und Gesellschaft. Vor allem die Fähigkeit, das
Gute vom Bösen zu unterscheiden, müsse für einen Politiker einen größeren Stellenwert
besitzen als Macht, Erfolg und materieller Gewinn. In diesem Zusammenhang sprach der
Papst die dunklen Jahre der jüngeren deutschen Geschichte an:
„Erfolg kann
auch Verführung sein und kann so den Weg auftun für die Verfälschung des Rechts, für
die Zerstörung der Gerechtigkeit. „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch
anderes als eine große Räuberbande“, hat der heilige Augustinus einmal gesagt. Wir
Deutsche wissen es aus eigener Erfahrung, dass diese Worte nicht ein leeres Schreckgespenst
sind. Wir haben erlebt, dass Macht von Recht getrennt wurde, dass Macht gegen Recht
stand, das Recht zertreten hat und dass der Staat zum Instrument der Rechtszerstörung
wurde – zu einer sehr gut organisierten Räuberbande, die die ganze Welt bedrohen und
an den Rand des Abgrunds treiben konnte.“
Was ist aber nun gut und gerecht?
Für den Papst hat sich diesbezüglich im letzten halben Jahrhundert das Verständnis
von Natur und Vernunft dramatisch verändert. Mit der Folge, dass ein allgegenwärtiges
positivistisches, also wissenschaftliches Verständnis dieser beiden Begriffe nur noch
funktionale Antworten liefern und keine Brücke mehr zu Moral und Recht herstellen
könne.
„Wo die positivistische Vernunft sich allein als die genügende Kultur
ansieht und alle anderen kulturellen Realitäten in den Status der Subkultur verbannt,
da verkleinert sie den Menschen, ja sie bedroht seine Menschlichkeit. Ich sage das
gerade im Hinblick auf Europa, in dem weite Kreise versuchen, nur den Positivismus
als gemeinsame Kultur und als gemeinsame Grundlage für die Rechtsbildung anzuerkennen,
alle übrigen Einsichten und Werte unserer Kultur in den Status einer Subkultur verwiesen
und damit Europa gegenüber den anderen Kulturen der Welt in einen Status der Kulturlosigkeit
gerückt und zugleich extremistische und radikale Strömungen herausgefordert werden.“
Ein
tieferes und umfassenderes Verständnis von Vernunft und Natur sei also nötig, so der
Papst. Und er fand mit dem Umweltschutz ein ganz konkretes Beispiel:
„Ich
würde sagen, dass das Auftreten der ökologischen Bewegung in der deutschen Politik
seit den 70er Jahren zwar wohl nicht Fenster aufgerissen hat, aber ein Schrei nach
frischer Luft gewesen ist und bleibt, den man nicht überhören darf und nicht beiseite
schieben kann, weil man zu viel Irrationales darin findet. Jungen Menschen war bewusst
geworden, dass irgend etwas in unserem Umgang mit der Natur nicht stimmt. Dass Materie
nicht nur Material für unser Machen ist, sondern dass die Erde selbst ihre Würde in
sich trägt und wir ihrer Weisung folgen müssen.“
Das Thema Natur und Umwelt
scheint dem Papst besonders wichtig zu sein. Vor allem die Tatsache, dass auch der
Mensch Teil dieser Umwelt ist, die es zu schützen gilt:
„Ich möchte aber
nachdrücklich einen Punkt noch ansprechen, der nach wie vor weitgehend ausgeklammert
wird: Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die
er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann. Der Mensch ist nicht nur
sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und
Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur
hört, sie achtet und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht
hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit.“
Die
anwesenden Abgeordneten und Gäste spendeten minutenlang Beifall. Im Bundestag waren
während der Rede des Papstes nur wenige Sitze leer geblieben. Einige Abgeordnete waren
aus Protest nicht zum Auftritt des Papstes gekommen.