2011-09-20 13:43:44

Vor dem Papstbesuch in Deutschland – Essay von Kardinal Walter Kasper *


RealAudioMP3 Wenn Papst Benedikt am kommenden Donnerstag bei seiner 21. Auslandsreise nach Deutschland kommt, dann ist diese Reise in verschiedener Hinsicht etwas besonderes. Der Papst kommt in sein Heimatland, dieses Mal erstmals in die Bundeshauptstadt, wo er von den höchsten Repräsentanten des Landes begrüßt werden und im Bundestag sprechen wird. Zum ersten Mal begegnet er in Erfurt den Christen aus den neuen Bundesländern, die in schwerer Zeit mutig im Glauben durchgehalten haben und einen maßgeblichen Anteil hatten an der Überwindung des sozialistischen Unrechtsstaates und am Fall der Berliner Mauer.

Der Papst hat selbst gesagt, er freue sich auf diesen Besuch in seiner Heimat, und – anders als der Eindruck, den manche Medien vermitteln – die ganz große Mehrzahl der katholischen Christen und sehr viele nichtkatholische Christen freuen sich ebenfalls und heißen Papst Benedikt in seiner Heimat herzlich willkommen.

Der Papst begegnet einer Kirche, die er selbstverständlich bestens kennt. Er kennt sie in ihren Stärken und weiß, das Deutschland nicht eine religiöse Wüste ist. Es gibt viele, besonders junge Menschen, die neu nach dem Sinn des Lebens fragen und auf eine glaubwürdig vorgetragene religiöse Botschaft warten; es gibt in den Pfarreien und in den Einrichtungen eine große Zahl engagierter ehrenamtlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, es gibt eine ungebrochene Spendenfreudigkeit, gute Caritas- und Sozial-Arbeit und großzügige Hilfen für die Ärmsten der Armen in der Welt.

Deutschland ist das Ursprungsland der Reformation, deshalb gibt es ein hohes Interesse am Fortgang der Ökumene. Der Begegnung mit den Vertretern der evangelischen Kirche im Augustinerkloster in Erfurt kommt darum große Bedeutung zu. Viele erwarten davon einen neuen ökumenischen Impuls. Dem Papst selbst liegt die Einheit der Christen sehr am Herzen; deshalb sieht auch er dem Treffen mit Freude entgegen.

Der Papst weiß selbstverständlich auch um die Probleme und Schwächen der Kirche in Deutschland. Der Missbrauchsskandal hat sich wie ein Mehltau auf die deutsche Kirche gelegt und lähmend gewirkt, die Zahl der Kirchenaustritte ist gestiegen, die Zahl der praktizierenden Katholiken ist rückläufig, es gibt mehr Beerdigungen als Taufen, vor allem besteht ein immer spürbarer werdender Mangel an geistlichen Berufungen, besonders an Berufungen zum Priestertum, was in der Gemeindeseelsorge zu nicht einfachen Umstrukturierungen in großflächige Pfarrverbände zwingt.

Die Kirche in Deutschland steht mitten in einem schwierigen Übergang von einer milieugestützten Volkskirche zu einer neuen Gestalt, welche kaum erst in Umrissen deutlich ist. Sie muss sich in einem weithin säkularisierten und pluralistisch gewordenen Umfeld behaupten. Das bring verständlicherweise Unruhe und wirft Fragen auf, wie es konkret weitergehen soll. Seit Monaten kursieren vielfältige Reformvorschläge. Manche sind unrealistisch, wecken falsche Erwartungen und verursachen erhebliche Kontroversen. Auf beiden Seiten sind Barrikaden aufgebaut worden, zu deren Abbau nun ein Dialog-Prozess mit noch unsicherem Ausgang gestartet wurde.

Ich weiß nicht, ob und wie konkret der Papst während seines Besuches auf diese Fragen eingehen wird. Ich habe eher den Eindruck, dass er sich auf das Grundproblem konzentrieren und sozusagen den Stier an den Hörnern fassen wird. Er wird wohl die Fundamente festigen wollen, bevor neue Aufbauten und Umbauten erfolgen. Deshalb wird er sagen: Ihr müsst Gott wieder in die Mitte eures Lebens stellen; nur so werdet ihr Zukunft haben. Denn Reformen haben nur einen Sinn, wenn sie aus einem gefestigten und tiefen Glauben kommen. Ohne Glauben und ohne Gebet sind sie ein seelenloser Aktionismus. Allein auf der Grundlage des Glaubens, in seinem Licht und in seiner Kraft könnt ihr euch an konkrete Erneuerung machen. In diesem Sinn will der Papst den Auftrag erfüllen, den Jesus Christus dem Petrus aufgetragen hat: „Stärke deine Brüder!“

In den letzten Jahren hat es vor Papstreisen immer wieder Kontroversen und Polemiken gegeben. Es gibt sie auch in Deutschland. Meist aber hat sich gezeigt, dass wenn der Papst angekommen ist, die zunächst schrillen Töne verstummt sind und der Nachdenklichkeit, dem gegenseitigen aufeinander Hören und dem gegenseitigen Respekt Platz gemacht haben. Nicht anders wird es – so hoffe ich – auch in Deutschland sein.

Ich hoffe und bete, dass der Besuch das Entscheidende neu ins Bewußtsein rücken wird: Wo Gott ist, da ist Zukunft. So wird der Besuch der Kirche in Deutschland neu Orientierung im Glauben, neu Schwung, neu Hoffnung und Zuversicht und neu inneren Zusammenhalt geben. Das allerdings hat sie dringend nötig. Um ein solches gutes Gelingen sollten wir darum inständig beten.

(rv 20.09.2011 sk)

* Der Autor ist der emeritierte Präsident des Päpstlichen Rates für die Förderung der Einheit der Christen. Er wird Papst Benedikt auf seiner Reise durch Deutschland begleiten. Unser Foto zeigt ein Papst-Porträt von Michael Triegel, das derzeit im Angermuseum in Erfurt ausgestellt ist.








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