Vor dem Papstbesuch in Deutschland – Essay von Kardinal Walter Kasper *
Wenn Papst Benedikt
am kommenden Donnerstag bei seiner 21. Auslandsreise nach Deutschland kommt, dann
ist diese Reise in verschiedener Hinsicht etwas besonderes. Der Papst kommt in sein
Heimatland, dieses Mal erstmals in die Bundeshauptstadt, wo er von den höchsten Repräsentanten
des Landes begrüßt werden und im Bundestag sprechen wird. Zum ersten Mal begegnet
er in Erfurt den Christen aus den neuen Bundesländern, die in schwerer Zeit mutig
im Glauben durchgehalten haben und einen maßgeblichen Anteil hatten an der Überwindung
des sozialistischen Unrechtsstaates und am Fall der Berliner Mauer.
Der Papst
hat selbst gesagt, er freue sich auf diesen Besuch in seiner Heimat, und – anders
als der Eindruck, den manche Medien vermitteln – die ganz große Mehrzahl der katholischen
Christen und sehr viele nichtkatholische Christen freuen sich ebenfalls und heißen
Papst Benedikt in seiner Heimat herzlich willkommen.
Der Papst begegnet einer
Kirche, die er selbstverständlich bestens kennt. Er kennt sie in ihren Stärken und
weiß, das Deutschland nicht eine religiöse Wüste ist. Es gibt viele, besonders junge
Menschen, die neu nach dem Sinn des Lebens fragen und auf eine glaubwürdig vorgetragene
religiöse Botschaft warten; es gibt in den Pfarreien und in den Einrichtungen eine
große Zahl engagierter ehrenamtlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, es gibt eine
ungebrochene Spendenfreudigkeit, gute Caritas- und Sozial-Arbeit und großzügige Hilfen
für die Ärmsten der Armen in der Welt.
Deutschland ist das Ursprungsland der
Reformation, deshalb gibt es ein hohes Interesse am Fortgang der Ökumene. Der Begegnung
mit den Vertretern der evangelischen Kirche im Augustinerkloster in Erfurt kommt darum
große Bedeutung zu. Viele erwarten davon einen neuen ökumenischen Impuls. Dem Papst
selbst liegt die Einheit der Christen sehr am Herzen; deshalb sieht auch er dem Treffen
mit Freude entgegen.
Der Papst weiß selbstverständlich auch um die Probleme
und Schwächen der Kirche in Deutschland. Der Missbrauchsskandal hat sich wie ein Mehltau
auf die deutsche Kirche gelegt und lähmend gewirkt, die Zahl der Kirchenaustritte
ist gestiegen, die Zahl der praktizierenden Katholiken ist rückläufig, es gibt mehr
Beerdigungen als Taufen, vor allem besteht ein immer spürbarer werdender Mangel an
geistlichen Berufungen, besonders an Berufungen zum Priestertum, was in der Gemeindeseelsorge
zu nicht einfachen Umstrukturierungen in großflächige Pfarrverbände zwingt.
Die
Kirche in Deutschland steht mitten in einem schwierigen Übergang von einer milieugestützten
Volkskirche zu einer neuen Gestalt, welche kaum erst in Umrissen deutlich ist. Sie
muss sich in einem weithin säkularisierten und pluralistisch gewordenen Umfeld behaupten.
Das bring verständlicherweise Unruhe und wirft Fragen auf, wie es konkret weitergehen
soll. Seit Monaten kursieren vielfältige Reformvorschläge. Manche sind unrealistisch,
wecken falsche Erwartungen und verursachen erhebliche Kontroversen. Auf beiden Seiten
sind Barrikaden aufgebaut worden, zu deren Abbau nun ein Dialog-Prozess mit noch unsicherem
Ausgang gestartet wurde.
Ich weiß nicht, ob und wie konkret der Papst während
seines Besuches auf diese Fragen eingehen wird. Ich habe eher den Eindruck, dass er
sich auf das Grundproblem konzentrieren und sozusagen den Stier an den Hörnern fassen
wird. Er wird wohl die Fundamente festigen wollen, bevor neue Aufbauten und Umbauten
erfolgen. Deshalb wird er sagen: Ihr müsst Gott wieder in die Mitte eures Lebens stellen;
nur so werdet ihr Zukunft haben. Denn Reformen haben nur einen Sinn, wenn sie aus
einem gefestigten und tiefen Glauben kommen. Ohne Glauben und ohne Gebet sind sie
ein seelenloser Aktionismus. Allein auf der Grundlage des Glaubens, in seinem Licht
und in seiner Kraft könnt ihr euch an konkrete Erneuerung machen. In diesem Sinn will
der Papst den Auftrag erfüllen, den Jesus Christus dem Petrus aufgetragen hat: „Stärke
deine Brüder!“
In den letzten Jahren hat es vor Papstreisen immer wieder Kontroversen
und Polemiken gegeben. Es gibt sie auch in Deutschland. Meist aber hat sich gezeigt,
dass wenn der Papst angekommen ist, die zunächst schrillen Töne verstummt sind und
der Nachdenklichkeit, dem gegenseitigen aufeinander Hören und dem gegenseitigen Respekt
Platz gemacht haben. Nicht anders wird es – so hoffe ich – auch in Deutschland sein.
Ich
hoffe und bete, dass der Besuch das Entscheidende neu ins Bewußtsein rücken wird:
Wo Gott ist, da ist Zukunft. So wird der Besuch der Kirche in Deutschland neu Orientierung
im Glauben, neu Schwung, neu Hoffnung und Zuversicht und neu inneren Zusammenhalt
geben. Das allerdings hat sie dringend nötig. Um ein solches gutes Gelingen sollten
wir darum inständig beten.
(rv 20.09.2011 sk)
* Der Autor ist
der emeritierte Präsident des Päpstlichen Rates für die Förderung der Einheit der
Christen. Er wird Papst Benedikt auf seiner Reise durch Deutschland begleiten. Unser
Foto zeigt ein Papst-Porträt von Michael Triegel, das derzeit im Angermuseum in Erfurt
ausgestellt ist.