Bischof aus Jerusalem: „Abbas hat keine andere Wahl“
Die Palästinenser
wollen sich am Freitag an die UNO wenden und formell um ihre Anerkennung als Staat
ersuchen. Die diplomatische Initiative sorgt bei israelischen, amerikanischen und
europäischen Diplomaten für Hinterzimmerhektik. Am letzten Mittwoch hat Palästinenserpräsident
Mahmud Abbas die Bischöfe aus Jerusalem in seinem Amtssitz in Ramallah empfangen,
um ihnen sein Projekt zu erläutern. Die orthodoxen, katholischen und protestantischen
Bischöfe riefen danach in einer gemeinsamen Erklärung zu Gebet und diplomatischen
Anstrengungen auf. William Shomali ist der Lateinische Weihbischof von Jerusalem.
Er meint im Interview mit uns: „Alle Palästinenser und mit ihnen die Christen
schauen derzeit auf die Vereinten Nationen: Wird die Vollversammlung Palästina als
Staat, aber Nicht-UNO-Mitglied anerkennen? Das ist etwas verwirrend: Man kann ein
Staat sein, aber gleichzeitig doch kein UNO-Mitglied. Für die Palästinenser würde
das einen Schritt nach vorn bedeuten, weil es ihnen neue Möglichkeiten öffnet. Vor
allem gibt es ihnen bei Friedensgesprächen mit Israel einen besseren Status, als sie
ihn bisher haben.“ In völkerrechtlicher Hinsicht ist noch vieles offen an dem
Spiel: Viele Beobachter halten es für möglich, dass Palästina schließlich einen ähnlichen
Beobachter-Status bei den Vereinten Nationen erhält, wie ihn früher die Schweiz hatte
und derzeit der Vatikan. Shomali setzt auf alles, was den Palästinensern aus ihrer
derzeitigen Lage heraushilft: „In wirtschaftlicher Hinsicht geht es den Christen
in Palästina im Moment zwar etwas besser, weil die Pilgerfahrten vor allem nach Betlehem
wieder angezogen haben. Es bleibt aber schwierig wegen der Barrieren, der Schwierigkeiten
beim Beschaffen einer Arbeitserlaubnis oder der Genehmigungen zum Hausbau. 31 Prozent
der Palästinenser sind arm, die Arbeitslosigkeit liegt bei 29 Prozent.“ Beim
diplomatischen Tauziehen zwischen Ramallah, Tel Aviv, Washington und auch Brüssel
sind die christlichen Palästinenser derzeit nur Zuschauer, so Bischof Shomali: „Wir
können mit nur zwei Prozent Christen keine besondere Stimme und kein besonderes Gewicht
beanspruchen. Doch es gibt immerhin christliche Minister in der palästinensischen
Regierung; Präsident Abbas hört unsere Stimme, und als er uns vor kurzem in seinen
Präsidentenpalast einlud, hat er uns um unsere Gebete für seine UNO-Initiative gebeten;
das hat uns berührt. Und auch, dass er das Evangelium zitiert hat, um zu beteuern,
dass er gegen jedwede Gewalt oder Rache sei. Seine Haltung ist beeindruckend; ich
glaube, das ist der richtige Moment für Initiativen dieser Art, solange wir über solche
Führungspersönlichkeiten verfügen.“ Hätten die Palästinenser sich nicht um
ein Wiederauftauen des tiefgefrorenen Friedensprozesses bemühen sollen, wie das etwa
Nahost-Vermittler Tony Blair vorgeschlagen hat? Nein, das bringt nichts, meint der
Bischof. „Die Verhandlungen sind gescheitert - und genau darum wendet sich Abbas
doch an die Vereinten Nationen! Wir finden zu keiner gemeinsamen Ausgangsbasis mit
Israel, etwa in der Frage der Grenzen, beim Status der Flüchtlinge und beim Status
von Jerusalem. Wir sehen im Moment keine sichere Basis, die Abbas davon dispensieren
könnte, sich an die UNO zu wenden.“ Wahrscheinlich bekommt Palästina in der
Vollversammlung die nötige Zweidrittel-Mehrheit, um als Nicht-UNO-Mitglied anerkannt
zu werden. Damit stünden die Palästinensergebiete dann diplomatisch auf einer Stufe
mit dem Vatikan. Das wäre für die Palästinenser vor allem ein symbolischer Erfolg.
Benedikt XVI. hat sich bei seiner Nahostreise 2009 deutlich für einen souveränen Palästinenserstaat
eingesetzt. (rv 19.09.2011 sk)
Unser Foto zeigt Präsident Abbas bei
seiner Ankunft in New York, wo er an der UNO-Vollversammlung teilnehmen will.