Auch Chansons und bestimmte Arten von Popmusik können spirituell hochwertig sein.
Das denkt der päpstliche Kulturverantwortliche, Kardinal Gianfranco Ravasi. Er äußerte
sich am Rand des Kongresses „Musik und Glaube“ in Perugia. Überdies ermuntert der
Präsident des päpstlichen Kulturrates heutige Komponisten dazu, neue liturgische Musik
zu schreiben – qualitativ herausragend, aber dennoch dem Ritus dienend. Überhaupt
sieht Ravasi heute nach Jahrzehnten des Auseinanderlebens zwischen zeitgenössischer
Musik und den Ausdrucksformen der Liturgie die Zeit gekommen, wieder neue Anknüpfungspunkte
zu suchen.
„Die Beziehung zwischen Musik und Glaube hat eine außerordentlich
reiche Tradition hinter sich, die eine enorme Anzahl von Meisterwerken hervorbrachte.
Fast 2000 Jahre lang waren Musik und Glauben miteinander verknüpft. Denken wir an
die Psalmen, die Messen, den gregorianischen Gesang oder die Hymnen. Diese Beziehung
hat längst Sprünge bekommen, auch weil die Werke im kirchlichen Kontext nicht immer
auf dem Niveau ihrer Anwendung waren. Andererseits hat sich die Musik auf Wege begeben,
die weit wegführen vom Dialog mit dem Glauben. Wichtig wäre es nun, diese tiefe Verbindung
freizulegen, die zwischen Musik und Glauben besteht, und diese beiden Geschwister
wieder zu verbinden.“
Die „gebildete“ zeitgenössische Musik könnte sich
beispielsweise wieder für sakrale Texte interessieren und die Inspirationskraft der
großen Symbole, der großen spirituellen Themen neu entdecken, schlägt Kardinal Ravasi
vor. In Bezug auf liturgische Musik warnt der päpstliche Kulturverantwortliche vor
einer Parallelentwicklung zur zeitgenössischen Architektur für Sakralbauten und somit
vor Kompositionen, die zwar hochwertig, aber ungeeignet für den liturgischen Gebrauch
sind. Um das zu vermeiden, rät Ravasi interessierten Komponisten dazu, Theologen und
namentlich Liturgiewissenschaftler zu Rate zu ziehen.
„Einerseits kann
auf das große Erbe der Vergangenheit zugegriffen werden. Andererseits soll aber auch
der Versuch unternommen werden, gültige neue Formen liturgischer Musik zu schaffen,
die nicht – wie es oft der Fall war – qualitativ minderwertig oder bescheiden ausgeführt
waren. Sondern Kompositionen, die dem Ritus, dem Kult im engen Sinn folgen und doch
andererseits den Innovationen und der neuen Grammatik der zeitgenössischen Musik Rechnung
tragen.“
Anders ist die Lage auf dem weiten Feld zeitgenössischer U-Musik.
Auf gewisse Weise, so Ravasi, trage auch die populäre Musik von heute gewisse spirituelle
Spannungen in sich.
„Denken wir beispielsweise an einige Musiker wie Fabrizio
de Andre mit seinem Album „Buona Novella“ („die Frohe Botschaft“, erschienen 1970
als Auseinandersetzung mit apokryphen Evangelien, Anm.), oder auch Claudio Baglione,
Francesco Battiato. Und in den USA etwa Leonard Cohen. Obwohl diese Musiker, ich würde
sagen, einem äußeren Horizont angehören, machen sie auf ihre Weise spirituelle Musik.“ (rv 13.09.2011 gs)