Papst in Ancona: Predigt und Angelus in vollem Wortlaut
Benedikt XVI. hat an diesem Sonntag den Nationalen Eucharistischen Kongress in
Ancona mit einer Messe feierlich beendet. Dabei hielt er eine Predigt, die wir hier
in vollem Wortlaut dokumentieren. Die Übersetzung ist von unserem Mitarbeiter Aldo
Parmeggiani. Der offizielle Wortlaut wird in Kürze von der deutschsprachigen Wochenausgabe
des „L`Osservatore Romano“ sowie auf vatican.va veröffentlicht.
„Liebe
Brüder und Schwestern!
Vor sechs Jahren führte mich die erste apostolische
Reise meines Pontifikats innerhalb Italiens zum 24. Nationalen Eucharistischen Kongress
nach Bari. Heute bin ich nach Ancona gekommen, um den 25. Kongress feierlich abzuschließen.
Ich danke dem Herrn für diese intensiven, kirchlichen Augenblicke, die unsere Liebe
zur Eucharistie stärken und uns rund um die Eucharistie vereinen! Bari und Ancona,
zwei Städte am adriatischen Meer. Zwei Städte, reich an Geschichte und christlichem
Leben. Zwei Städte, die sich zum Orient hin, zu seiner Kultur und Spiritualität hin
öffnen. Zwei Städte, zu deren Annäherung die Themen der Eucharistischen Kongresse
ihren Beitrag geleistet haben: In Bari war es das Thema „Ohne Sonntag können wir nicht
leben”, und heute steht unsere Begegnung unter dem Motto: „Eucharistie für das tägliche
Leben“.
Bevor ich euch meine Gedanken dazu weitergebe, möchte ich euch
danken für die große Beteiligung; in euch umarme ich im Geiste die ganze Kirche in
Italien. In Dankbarkeit begrüße ich den Präsidenten der Italienischen Bischofskonferenz,
Kardinal Angelo Bagnasco, und danke ihn für die freundlichen Worte, die er, auch im
Namen von euch allen, an mich gerichtet hat. Dann grüße ich meinen Legaten für diesen
Kongress, Kardinal Giovanni Battista Re, den Erzbischof von Ancona-Osimo Edoardo Menichelli,
die Bischöfe der Metropolie, der Region Marken und alle, die sich so zahlreich aus
allen Teilen des Landes hier eingefunden haben. Zusammen mit ihnen grüße ich die Priester,
die Diakone, Geweihten und die gläubigen Laien, unter denen ich viele Familien und
viele Jugendliche sehe. Meine Dankbarkeit richtet sich auch an die zivilen und militärischen
Behörden sowie an alle, die zur erfolgreichen Ausrichtung dieses festlichen Ereignisses
beigetragen haben.
„Dieses Wort ist hart! Wer kann es hören?“ Während der Rede
Jesu vom Brot des Lebens in der Synagoge von Kafarnaum war die Reaktion der Jünger
– viele von ihnen hatten Jesus verlassen – nicht weit entfernt von unserem Widerstand
gegenüber der totalen Hingabe, die er selbst darbietet. Denn dieses Geschenk annehmen
heißt: sich selbst verlieren, sich einbinden und verwandeln lassen, bis hin zur Selbstaufgabe
in ihm, wie uns der Apostel Paulus in der Zweiten Lesung erinnert. „Leben wir, so
leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir
sterben, wir gehören dem Herrn“ (Rm 14,8).
„Dieses Wort ist hart!“ Es
ist hart, weil wir die Freiheit oft mit dem Fehlen von Vorschriften verwechseln und
glauben, alles allein machen zu können, ohne Gott, und weil wir in Einschränkungen
Grenzen unserer Freiheit erblicken. Dies ist eine Illusion, die bald in Enttäuschung
übergeht, Unruhe und Ängste auslöst und paradoxerweise dazu führt, dass wir schließlich
den Ketten der Vergangenheit nachtrauern: „Wären wir nur durch die Hand des Herrn
im Lande Ägypten gestorben...“, sagten die Juden in der Wüste, wie wir gehört haben.
In Wirklichkeit werden wir nur durch die Öffnung zu Gott, in der Annahme seines Geschenkes
wirklich frei: frei von der Sklaverei der Sünde, die das Antlitz des Menschen entstellt.
Und nur so können wir zum Guten der Brüder beitragen.
„Dieses Wort ist hart.“
Es ist hart, weil der Mensch gern in die irrige Vorstellung verfällt, „Steine in Brot
verwandeln zu können“. Nachdem man Gott beiseite geschoben hat beziehungsweise ihn
wie eine Privatangelegenheit toleriert, die sich nicht im öffentlichen Leben einzumischen
hat, verfolgen gewisse Ideologien das Ziel, die Gesellschaft allein mit der Kraft
der Macht und der Wirtschaft zu formen. Die Geschichte lehrt uns aber in dramatischer
Weise, dass dieses Ziel, allen Menschen Fortschritt, materiellen Wohlstand und Frieden
gewährleisten zu wollen, ohne Gott und seine Offenbarung miteinzubeziehen, dazu führt,
den Menschen Steine anstelle des Brotes zu bieten. Das Brot, liebe Brüder und Schwestern,
ist die „Frucht der menschlichen Arbeit“, und in dieser Wahrheit verbirgt sich die
ganze Verantwortung, die unseren Händen, unserem Einfallsreichtum anvertraut ist.
Aber das Brot ist auch und in erster Linie „Frucht der Erde“, die von oben Sonne und
Regen erhält. Es ist das Geschenk, um das wir bitten können, das uns ohne jeden Hochmut
- mit dem Vertrauen der Demütigen – sagen läßt: „Vater… unser tägliches Brot gib uns
heute……“.
Der Mensch kann sich nicht selbst das Leben geben, er vesteht sich
nur von Gott ausgehend: Es ist das Verhältnis zu Ihm, das unserem Menschsein Festigkeit
verleiht und unser Leben gut und gerecht gestaltet. Im Vaterunser bitten wir, dass
Sein Namen geheiligt werde, dass Sein Reich komme, dass Sein Wille geschehe. Vor allem
müssen wir wieder die Vorherrschaft Gottes in unsere Welt, in unser Leben miteinbeziehen,
denn durch sie erlangen wir die Wahrheit über das, was wir sind. Wenn wir den Willen
Gottes erkennen und ihm folgen, werden wir unser wahres Wohl finden. Geben wir Gott
Zeit und Raum, damit er zum lebendigen Mittelpunkt unserer Existenz werde!
Doch
von wo aus sollen wir starten, aus welcher Quelle uns nähren, um den Vorrang Gottes
wieder zu erlangen? Aus der Eucharistie. Hier ist uns Gott so nahe, dass er zu unserer
Speise wird. Hier wird er zur Kraft auf unseren oft schweren Wegen, hier wird er zur
freundschaftlichen Gegenwart, die verwandelt. Bereits das Gesetz, das wir durch Moses
erhalten haben, wurde als „Brot des Himmels“ betrachtet, dank dem Israel zum Volk
Gottes wurde. Aber in Jesus wird das letzte und definitive Wort Gottes zum Fleisch,
kommt uns als Person entgegen. Er, das ewige Wort, ist das wahre Manna, ist das Brot
des Lebens. Gottes Werke zu tun bedeutet an Ihn glauben.
Beim letzten Abendmahl
fasst Jesus seine ganze Existenz in einer Geste zusammen, die sich im großen österlichen
Segen in Gott manifestiert, eine Geste, die Er, der Sohn, als Danksagung an den Vater
für seine unendliche Liebe weitergibt. Jesus bricht das Brot und teilt es, aber er
tut dies in einer neuen Dimension, weil er sich selbst gibt. Er nimmt den Kelch und
teilt ihn, damit alle daraus trinken können, aber mit dieser Handlung schenkt er den
„neuen Bund in seinem Blute“, schenkt er sich selbst. Jesus nimmt den Akt der höchsten
Liebe vorweg, in Gehorsam zum Willen des Vaters: das Opfer des Kreuzes. Das Leben
wird ihm am Kreuz genommen, aber Er gibt sich, schon jetzt, selbst. Auf diese Weise
wird der Tod Cristi nicht auf eine gewalttätige Exekution reduziert, sondern wird
von Ihm in einen freien Akt der Liebe, der Selbstschenkung verwandelt, der selbst
den Tod siegreich überwindet und die Güte der Schöpfung aus den Händen Gottes bestätigt,
die durch die Sünde gedemütigt und endlich erlöst wurde. Dieses übergroße Geschenk
wird uns im Sakrament der Eucharistie zugänglich gemacht: Gott schenkt sich uns. Damit
öffnet sich unsere Existenz Ihm gegenüber und wird in das Geheimnis der Liebe und
des Kreuzes hineingezogen, nimmt teil am ewigen Geheimnis, aus dem wir kommen, und
nimmt zugleich die neue, gotterfüllte Lebensform, in deren Erwartung wir leben, vorweg.
Was
aber bedeutet in unserem täglichen Leben, wenn wir von der Eucharistie ausgehen, der
Primat Gottes? Die eucharistische Kommunion, liebe Freunde, reißt uns von unserem
Individualismus weg, offenbart uns den Geist des gestorbenen und auferstandenen Christus,
macht uns Ihm ähnlich. Sie vereint uns in intimer Weise mit den Brüdern im Geheimnis
der Kommunion, das die Kirche darstellt, in der das einzige Brot aus den Vielen einen
einzigen Leib formt und somit das Gebet der urchristlichen Gemeinschaft, welches im
Buch der Didachè steht, verwirklicht: „Wie dieses gebrochene Brot, das auf den Hügeln
verstreut lag und eingesammelt wurde, zu einem einzigen Laib wurde, so soll deine
Kirche aus allen Ländern der Erde zusammenkommen in deinem Reich“. Die Eucharistie
stützt und verwandelt das gesamte tägliche Leben. Wie ich in meiner ersten Enzyklika
erinnert habe: „In der eucharistischen Gemeinschaft sind das Geliebtwerden und das
Lieben des Nächsten eines“. Darum „ist eine Eucharistie, die sich nicht in konkrete,
praktizierte Liebe verwandelt, in sich zersplittert“ (Deus Caritas est).
Die
zweitausendjährige Geschichte der Kirche ist von heiligen Männern und Frauen geprägt,
deren Existenz ein beredtes Zeichen dafür ist, wie aus der Gemeinschaft mit dem Herrn,
aus der Eucharistie eine neue und vertiefte Verantwortlichkeit entspringt, auf allen
Ebenen des Gemeinschaftslebens. Es entsteht daraus also eine positive soziale Entwicklung,
in deren Mittelpunkt der Mensch steht, vor allem der arme, kranke und bedürftige Mensch.
Sich
von Christus nähren, ist der Weg, um dem Schicksal der Brüder nicht unbeteiligt und
gleichgültig gegenüber zu stehen, sondern vielmehr in die Logik der Liebe und des
Geschenkes des Kreuzesopfers einzutreten. Wer sich vor der Eucharistie zu verbeugen
weiß, wer den Leib des Herrn empfängt, kann gegenüber den Schicksalen des Alltags,
gegenüber menschenunwürdigen Situationen nicht unberührt bleiben. Er wird sich persönlich
über den Bedürftigen beugen, wird sein Brot mit dem Hungernden teilen, das Wasser
mit dem Durstigen teilen, den Nackten kleiden, den Kranken und Eingesperrten besuchen.
In jedem Menschen wird er den Herrn erkennen, der nicht gezögert hat, sich selbst
für uns und unsere Rettung zu opfern. Die eucharistische Spiritualität ist also das
wahre Gegenmittel gegen den Individualismus und Egoismus, die oft unser Alltagsleben
kennzeichnen, und führt zur Wiederentdeckung der Unentgeltlichkeit und der zentralen
Bedeutung von Beziehungen – angefangen bei der Familie, wobei wir vor allem an jene
Familien denken wollen, die auseinandergebrochen sind. Eine eucharistische Spiritualität
ist die Seele einer kirchlichen Gemeinschaft, die Trennungen und Streitfragen überwindet
und die Verschiedenheiten aufwertet, sie der Einheit der Kirche, ihrer Vitalität und
ihrer Mission zu Diensten stellt. Die eucharistische Spiritualität ist ein Weg, um
dem Menschen seine Würde zu geben, auch seiner Arbeit – im Bemühen um ein Gleichgewicht,
das auch freie Zeit zur Erholung und mit der Familie gewährleistet, und im Bemühen,
die Unsicherheit von prekären Arbeitsverhältnissen und das Problem der Arbeitslosigkeit
zu überwinden. Die eucharistische Spiritualität hilft uns auch, den verschiedenen
Formen der menschlichen Zerbrechlichkeit entgegen zu treten, in der Gewißheit, dass
diese den Wert einer Person nicht vermindern, sondern vielmehr Nähe, Aufnahme und
Hilfe benötigen. Aus dem Brot des Lebens entsteht die Kraft einer erneuerten Fähigkeit
zur Erziehung, die darauf achtet, Zeugnis für die fundamentalen Werte der Existenz,
das Wissen, das spirituelle und kulturelle Erbe abzulegen. Durch seine Lebenskraft
können wir in der Stadt der Menschen wohnen, uns dem Gemeinwohl widmen und zum Aufbau
einer gerechten und brüderlichen Gesellschaft beitragen.
Liebe Freunde, wir
verlassen dieses Land der Marken mit der Kraft der Eucharistie in einer konstanten
Osmose zwischen dem Geheimnis, das wir feiern, und den Bedürfnissen unseres Alltaglebens.
Es gibt nichts authentisch Menschliches, das in der Eucharistie nicht eine geeignete
Form der Erfüllung fände: das Alltagsleben werde also ein Ort des spirituellen Kultes,
damit in jeder Lage der Primat Gottes gelebt werde, im Innern des Verhältnisses zu
Christus und als Opfergabe für den Vater. Ja, „nicht vom Brot allein lebt der Mensch,
sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt“. Wir leben vom Gehorhsam zu
diesem Wort, das Brot und Wein ist, bis wir uns wie Petrus mit der Intelligenz der
Liebe an Gott wenden: „Herr, wohin sollen wir gehen? Nur Du hast Worte des ewigen
Lebens, und wir haben daran geglaubt und erkannt, dass Du der Heilige Gottes bist.“
Werden
auch wir, wie die Jungfrau Maria, ein aufnahmebereiter Schoss für das Geschenk Jesu
an die Menschen unserer Zeit“ Wecken wir wieder den tiefen Wunsch nach jener Rettung,
die nur von Ihm kommt. Gute Wanderung mit Christus, dem Brot des Lebens, für die ganze
Kirche in Italien!“
Nach der Messe in Ancona betete Benedikt XVI. mit den
Teilnehmern des Eucharistischen Kongresses auch das kirchliche Mittagsgebet „Engel
des Herrn“. Hier unsere Übersetzung seines Grußwortes bei dieser Gelegenheit.
Angelus
„Liebe
Brüder und Schwestern,
vor dem Abschluss dieser feierlichen Eucharistie lädt
uns das Gebet des Angelus dazu ein, uns in der hl. Maria zu widerspiegeln und ûber
den Abgrund an Liebe, aus dem die Eucharistie entstammt, nachzudenken. Dank dem ‘fiat’
der Jungfrau ist das Wort Fleisch geworden und wohnt seither mitten unter uns. Wenn
wir über das Geheimnis der Fleischwerdung meditieren, wenden wir uns alle mit den
Gedanken und dem Herzen in Richtung des Wallfahrtsortes des Heiligen Hauses von Loreto,
von dem wir hier nur einige Kilometer entfernt sind. Das Land der Marken ist voll
erleuchtet von der spirituellen Präsenz Mariens in ihrem historischen Heiligtum, das
diese Hügel noch schöner und leichter macht. Ihr vertraue ich in diesem Augenblick
die Stadt Ancona, ihre Diözese, die Region Marken und ganz Italien an. Auf dass im
italienischen Volk der Glaube an das eucharistische Geheimnis stets lebendig bleibe,
das in jeder Stadt und in jedem Dorf, von den Alpen bis nach Sizilien den auferstandenen
Christus als Quelle der Hoffnung und des Trostes für das Leben im Alltag, vor allem
in schwierigen Zeiten, gegenwärtig hält.
Heute gehen unsere Gedanken auch an
den 11. September vor zehn Jahren. Ich erinnere den Herrn des Lebens an die Opfer
der Attentate, die an diesem Tag geschahen, und an ihre Familienangehörigen. Ich richte
an alle Verantwortlichen der Nationen und an alle Menschen guten Willens die Bitte,
Gewalt als Lösung von Problemen abzulehnen, der Versuchung des Hasses zu widerstehen
und sich in der Gesellschaft an die Prinzipien der Solidarität, der Gerechtigkeit
und des Friedens zu halten.
Auf die Fürbitte der hl. Maria bitte ich schließlich
den Herrn, all diejenigen, die für die Vorbereitung und Organisation dieses Nationalen
Eucharistischen Kongresses gearbeitet haben, reich zu belohnen, und richte an sie
meinen herzlichsten Dank.“