Bildhauer, Objektkünstler,
Buchillustrator. Ach ja, und Architekt. All das ist der aus Südtirol stammende österreichische
Künstler Walter Pichler, der schon in den sechziger Jahren eine eigene Schau im „Moma“
hatte, dem New Yorker Tempel für zeitgenössische Kunst. Zu seinem 75. Geburtstag hören
Sie hier eine Sendung von Aldo Parmeggiani.
Walter Pichler ist einer der bedeutendsten
visionären Künstler der Gegenwart. Geboren wurde er vor 75 Jahren in Deutschnofen,
im Eggental in Südtirol. Seine Familie wanderte im Zuge der Option nach Österreich
aus. Nach seinem Abschluss an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien folgten
Aufenthalte in Paris, New York und Mexiko. 1972 erwarb Pichler einen alten Bauernhof
in St. Martin im südlichen Burgenland, wo er bis heute lebt und arbeitet. Hier verbringt
er mehr Zeit als in seinem Atelier in Wien, hier schafft er eine ideale Umgebung für
seine Skulpturen. Diese werden grundsätzlich nicht verkauft, sondern Walter Pichler
baut für sie eigene Häuser. Der Künstler schickt seine Werke nur ungern zu Ausstellungen
auf Reisen. Eine weitere Besonderheit Walter Pichlers: er arbeitet extrem langsam,
benötigt manchmal Jahrzehnte für die Fertigstellung einer Skulptur. Die Zeit ist für
ihn ebenso wichtig wie seine Werkstoffe: Holz, Stein, Lehm, Plastik, Eisen, Blei,
Kupfer, Zinn und Zink. Er legt größten Wert auf handwerkliche Qualität und Genauigkeit.
Den finanziellen Unterhalt bestreitet Pichler aus dem Verkauf von Skizzen, Plänen
und Zeichnungen sowie der Gestaltung von Büchern, zunächst für den historischen Residenz-Verlag
und jetzt für „Jung und Jung“. Lehraufträge an Universitäten und staatliche Auszeichnungen
hat er fast immer abgelehnt, mit Ausnahme des Großen Österreichischen Staatspreises
für Bildende Kunst 1985.
Wer mit Walter Pichler spricht, begibt sich in eine
virtuelle Welt. Denn die Werke dieses Bildhauers sind Produkte futuristischer Visionen.
Pichler ist einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart – und wäre es lieber nicht.
Er will schon lange nicht Künstler genannt werden – denn den „meisten geht es ja nur
darum, möglichst bald reich und berühmt zu werden. Aber das sei doch das ödeste Ziel,
das sich jemand setzen kann, meint Walter Pichler ohne lange Umschweife. Seine Aufgabe
sei es hingegen, in der Entfernung der Macht zu leben, mit größter Skepsis alles zu
beurteilen und in langwierigen Arbeitsprozessen zu formulieren. Worum also geht es
dem Visionär Walter Pichler wirklich?
„Das ist sehr schwer zu beantworten.
Ich kann nur ganz wenige Sachen. Auf die möchte ich mich reduzieren. Und wenn das
was wert ist - von meiner Sicht aus was wert ist – dann habe ich das erreicht, was
ich wollte“
Sie sagten, dass die meisten Künstler weltbekannt werden wollten
und reich werden wollten und das sei nicht Ihr Ziel.
„Das stimmt. Das ist
mir zu einfach muss ich ehrlich sagen. Ich weiß wie ich heiße, ich brauche meinen
Namen nicht permanent hören und die Welt lässt mich ganz gut leben von der Arbeit,
die ich mache. Ich lebe ausschließlich von Zeichnungen – also lebe ich von dem Weg,
der dort hinführt, um mich in den Zustand zu versetzen, eine Plastik machen zu können.
Wenn mich jemand fragen würde, welchen Beruf ich habe, würde ich immer noch Bildhauer
sagen“.
Herr Pichler, die Zeit, die Figur und der Raum sind die Hauptakteure
in Ihrer Welt: Ich denke, die Reihenfolge ist so richtig. Was ist für Sie die Zeit?
„Für
mich ist die Zeit meistens Arbeitszeit. Ich bin - wie gesagt- nicht sehr fähig zu
denken, wenn ich nicht arbeite. Und ich habe mir eine Disziplin ausgesucht, die sehr
zeitaufwendig ist und in der man das Ergebnis nicht sofort sieht. Also das Produkt
ist oft jahrelang zu erwarten. Dann bin ich immer noch nicht damit einverstanden und
fange wieder eine neue Arbeit an, wo ich vielleicht diesen Punkt, diesen Kern, auf
den ich losgehen wollte bei der vorhergehenden Skulptur mit den neuen Erkenntnissen
jetzt besser beurteilen kann. Ich glaube, dass man einiges lernt, wenn man arbeitet.“
Werden
Sie manchmal ungeduldig bei Ihrer Arbeit, wenn Sie merken, dass sie doch mehr Zeit
beansprucht, als vorgesehen?
„Ich werde manchmal ungeduldig, so wie jetzt,
wenn ich eine Ausstellung habe. Von Zeit zu Zeit brauche ich eine Ausstellung, um
nicht ganz nur mehr selbstbezogen zu sein. Deshalb brauche ich eine Ausstellung, die
eine Art Test darstellt. Da habe ich mir dann meistens ein sehr genaues Programm vorgenommen.
Wenn dieses Programm dann unter Zeitdruck kommt, das habe ich nicht so gern. Jetzt
ist mir das so passiert, weil ich mir den rechten Arm gebrochen habe. Da konnte ich
nicht so arbeiten, wie ich es mir vorgenommen habe.“
Herr Pichler, Sie
gelten als der große Einzelgänger unter Österreichs Künstlern. Jede Skulptur aus ihrer
Hand erhält auf Ihrem Grundstück im Burgenland ihr eigenes Haus, ihren eigenen Platz,
in dem sie wirken kann. Sie verkaufen keines Ihrer Werke, Sie scharen sich um Ihre
Produkte wie ein Patriarch um seinen Familienkreis. Völlig undenkbar, dass Ihre Figuren
in einem Museum oder in einer Privatsammlung eine neue Heimat fänden. Das ist ein
radikaler Weg: eine Antithese zum gängigen Kunstmarkt….
„Es wäre nicht undenkbar…aber
die Umstände, die ich meistens vorfinde, lassen diese Skulptur nicht mehr erkennen.
Früher habe ich immer Modelle gebaut und gedacht: wie wäre der ideale Raum für diese
Skulptur. Habe viele Zeichnungen gemacht und Modelle gebaut, das ist nicht gleich
wie eins zu eins. Wenn man in einem Raum hineingeht und die Tür aufmacht und nichts
mehr sagen muss: dann erst sieht man, wie ich es gemeint habe. Nicht in allen Fällen,
aber es gibt Beispiele, wo ich das sagen kann“.
Leonardo da Vinci und viele
Künstler seiner Zeit sahen sich nicht als Vollstrecker der Wünsche ihrer Auftraggeber,
sondern als Anwalt einer neuen Kunst von eigenem Recht. Sie arbeiteten nicht für ihre
Auftraggeber, sondern für eine Öffentlichkeit, die sich noch lange Zeit später für
ihre Werke begeistern sollte. Kann der modernen Kunst ein ähnliches Schicksal beschieden
sein?
„Ein harter Vergleich. Aber, das ist nicht in meinem Blickfeld, muss
ich ehrlich sagen. Ich bin nicht mein eigener Historiker. Ich denke nicht daran. Ich
bin verpflichtet, gegenwärtig mit meiner ganzen Konzentration und meinen Möglichkeiten
das zu machen, was ich machen kann. Und etwas auf die Erdoberfläche zu stellen, das
vielleicht noch nie da war. Dann wäre ich schon zufrieden. Die weitere Entwicklung
meiner Arbeit kann ich nicht kontrollieren, deshalb interessiert es mich auch nicht
besonders.“
Sie werden im Zusammenhang von Spiritualität und Avantgarde
einmal mit dem Satz zitiert: Religiosität ist heute nur noch in der Kunst möglich.
Das klingt einschränkend…Es gibt doch eine uralte Gegenseitigkeit von Kunst und Religion,
oder?
„Die ist leider nicht zu sehen. Wenn man die Kirche sieht, welche
Aufträge sie gegeben hat, in der letzten Zeit, sind sehr wenige Beispiele dabei, die
von Kenntniskunst wissen und umgekehrt, die Künstler wissen sehr wenig, sind kaum
gebildet über Religion“.
Es ist jetzt – seit kurzer Zeit – im Vatikan ein
Kulturminister im Amt – Kardinal Ravasi – der kühne Schritte wagen will: er will religiöse
Kunst auf der nächsten Biennale von Venedig, dem Schaufenster der Welt der Kunst schlechthin,
sichtbar machen. Das wäre doch ein kühner Schritt, für den Vatikan, oder?
„
Ich habe eine sehr strenge katholische Kindheit gehabt. Das ist sehr wichtig für mich.
Ich bin nach wie vor ein guter Bibelleser und weiß wenigstens in jenen Punkten, wo
ich mich von der Religion entfernt habe – wo es mir schwer fällt, Mitglied einer Konfession
zu sein – habe ich versucht, zu wissen, von was ich mich entferne oder wo ich Distanz
einlegen muss. Das ist mir gegenwärtig wichtig“
Könnten Sie sich vorstellen,
dass eine Ihrer Skulpturen oder Zeichnungen – vorübergehend – in einer Kirche wirkungsvoll
aufgestellt werden könnte?
„Das würde ich nicht machen. Ich habe viele Angebote
bekommen. Auch Kirchen zu bauen. Man ist mir von der Kirche mit großem Wohlwollen
entgegengekommen. Aber, gerade meine Arbeit darf ich nicht zu einer konfessionellen
Arbeit machen, sonst denunziere ich sie“.
Sie haben einmal ein Kreuz aus
Metall gefertigt, das als Meisterwerk bezeichnet wird. Ein Brückenschlag zwischen
Kirche und Kunst?
„Es zeigt meine Beziehung zur Religion ziemlich gut.“
Und
das wäre?
„Große Würde und Respekt. Aber doch große Distanz.“
Welche
Grundwerte halten Sie für die wichtigsten im Leben eines Menschen?
„Ich
halte Respekt und Würde für die wichtigsten. Und Anteilnahme. Ich brauche zum Beispiel,
um meine Arbeit zu machen – manchmal muss ich fast hochmütig sein. Aber diese Portion
Hochmut, die man dafür braucht, um etwas angehen zu können, darf man nicht weiter
transportieren. Hochmut ist etwas, was schon mit Schöpfertum zu tun hat. Da nimmt
man sich so Ähnliches heraus, was schon die Schöpfung gemacht hat.“
Hatten
Sie oder haben Sie Vorbilder?
„Für mich ist Constantin Brancusien einer
der großen Bildhauer.“
Der rumänisch-französische Bildhauer. Herr Pichler,
während die Welt über die Kunst Walter Pichlers gut informiert ist, weiß man über
den Menschen Walter Pichler relativ wenig. Gibt es eine Skulptur, sie Sie möglicherweise
autobiographisch darstellt oder würden Sie selbst gerne hier ein kurzes Portrait Ihrer
Persönlichkeit weitergeben?
„Ich gebe die Liebe ein bisschen zu sehr einseitig
aus. Und du hast die Liebe nicht, dann bist du ein tönernes Erz und eine Schelle.
Aber, es ist sehr schwer diese Liebe in Menschenliebe und Sachliebe zu teilen.“
Könnte
eine Beschreibung über Sie etwa so lauten: Freiheit in der Kunst und Unabhängigkeit
im Leben: das sind die wichtigsten Koordinaten im Wertesystem von Walter Pichler?
„Ja,
ein großes Anliegen ist mir Unabhängigkeit. Weil dann, bin ich mir selbst verantwortlich.
Wenn isch mich ausreden kann auf viele Dinge, dann ist die Verantwortung auch nicht
groß.“
Vor einem Jahr wurde im Landesmuseum Schloss Tirol bei Meran eine
Ausstellung gezeigt – sie ist jetzt um ein Jahr verlängert worden – die Ihrer Mutter
gewidmet war. Welches Verhältnis hatten Sie zu Ihrer Mutter, zu Ihrem Elternhaus?
„Meine
Mutter war eine sehr eindrucksvolle Person. Sie hatte es nicht leicht gehabt. Besonders
die Auswanderung, die Option…das hat ihr gar nicht gefallen. Sie wollte gar nicht
weg von Südtirol. Aber mein Vater musste aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen.
Er war auch mit den Italienern in Äthiopien und Abessinien damals und hat die Nase
voll gehabt. Und dann sind wir nach Nordtirol und dann ist das Gleiche weiter gegangen.
Aber eine der wichtigsten Merkmale meiner Mutter war, dass sie absolut unbestechlich
war in ihren politischen Ansichten. Sie hat immer ohne jeden Zweifel gesagt, diese
Leute sind Gottlose. Das war das Schlimmste für sie. Rückblickend war es gut, dass
sie als Kind schon – mitten in dem Mist – gehört hat, dass das gottlose Menschen sind,
mit denen man nichts zu tun haben darf. Mit den Faschisten in Italien und den Nazis
in Deutschland.“
Ihre nächste Ausstellung wird ab 26. September im Museum
für Angewandte Kunst in Wien gezeigt. Rechtzeitig zu Ihrem 75. Geburtstag. Auch von
unserer Seite, herzlichen Glückwunsch.