2011-09-04 13:44:38

Walter Pichler im Interview


RealAudioMP3 Bildhauer, Objektkünstler, Buchillustrator. Ach ja, und Architekt. All das ist der aus Südtirol stammende österreichische Künstler Walter Pichler, der schon in den sechziger Jahren eine eigene Schau im „Moma“ hatte, dem New Yorker Tempel für zeitgenössische Kunst. Zu seinem 75. Geburtstag hören Sie hier eine Sendung von Aldo Parmeggiani.

Walter Pichler ist einer der bedeutendsten visionären Künstler der Gegenwart. Geboren wurde er vor 75 Jahren in Deutschnofen, im Eggental in Südtirol. Seine Familie wanderte im Zuge der Option nach Österreich aus. Nach seinem Abschluss an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien folgten Aufenthalte in Paris, New York und Mexiko. 1972 erwarb Pichler einen alten Bauernhof in St. Martin im südlichen Burgenland, wo er bis heute lebt und arbeitet. Hier verbringt er mehr Zeit als in seinem Atelier in Wien, hier schafft er eine ideale Umgebung für seine Skulpturen. Diese werden grundsätzlich nicht verkauft, sondern Walter Pichler baut für sie eigene Häuser. Der Künstler schickt seine Werke nur ungern zu Ausstellungen auf Reisen. Eine weitere Besonderheit Walter Pichlers: er arbeitet extrem langsam, benötigt manchmal Jahrzehnte für die Fertigstellung einer Skulptur. Die Zeit ist für ihn ebenso wichtig wie seine Werkstoffe: Holz, Stein, Lehm, Plastik, Eisen, Blei, Kupfer, Zinn und Zink. Er legt größten Wert auf handwerkliche Qualität und Genauigkeit. Den finanziellen Unterhalt bestreitet Pichler aus dem Verkauf von Skizzen, Plänen und Zeichnungen sowie der Gestaltung von Büchern, zunächst für den historischen Residenz-Verlag und jetzt für „Jung und Jung“. Lehraufträge an Universitäten und staatliche Auszeichnungen hat er fast immer abgelehnt, mit Ausnahme des Großen Österreichischen Staatspreises für Bildende Kunst 1985.

Wer mit Walter Pichler spricht, begibt sich in eine virtuelle Welt. Denn die Werke dieses Bildhauers sind Produkte futuristischer Visionen. Pichler ist einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart – und wäre es lieber nicht. Er will schon lange nicht Künstler genannt werden – denn den „meisten geht es ja nur darum, möglichst bald reich und berühmt zu werden. Aber das sei doch das ödeste Ziel, das sich jemand setzen kann, meint Walter Pichler ohne lange Umschweife. Seine Aufgabe sei es hingegen, in der Entfernung der Macht zu leben, mit größter Skepsis alles zu beurteilen und in langwierigen Arbeitsprozessen zu formulieren. Worum also geht es dem Visionär Walter Pichler wirklich?

„Das ist sehr schwer zu beantworten. Ich kann nur ganz wenige Sachen. Auf die möchte ich mich reduzieren. Und wenn das was wert ist - von meiner Sicht aus was wert ist – dann habe ich das erreicht, was ich wollte“

Sie sagten, dass die meisten Künstler weltbekannt werden wollten und reich werden wollten und das sei nicht Ihr Ziel.

„Das stimmt. Das ist mir zu einfach muss ich ehrlich sagen. Ich weiß wie ich heiße, ich brauche meinen Namen nicht permanent hören und die Welt lässt mich ganz gut leben von der Arbeit, die ich mache. Ich lebe ausschließlich von Zeichnungen – also lebe ich von dem Weg, der dort hinführt, um mich in den Zustand zu versetzen, eine Plastik machen zu können. Wenn mich jemand fragen würde, welchen Beruf ich habe, würde ich immer noch Bildhauer sagen“.

Herr Pichler, die Zeit, die Figur und der Raum sind die Hauptakteure in Ihrer Welt: Ich denke, die Reihenfolge ist so richtig. Was ist für Sie die Zeit?

„Für mich ist die Zeit meistens Arbeitszeit. Ich bin - wie gesagt- nicht sehr fähig zu denken, wenn ich nicht arbeite. Und ich habe mir eine Disziplin ausgesucht, die sehr zeitaufwendig ist und in der man das Ergebnis nicht sofort sieht. Also das Produkt ist oft jahrelang zu erwarten. Dann bin ich immer noch nicht damit einverstanden und fange wieder eine neue Arbeit an, wo ich vielleicht diesen Punkt, diesen Kern, auf den ich losgehen wollte bei der vorhergehenden Skulptur mit den neuen Erkenntnissen jetzt besser beurteilen kann. Ich glaube, dass man einiges lernt, wenn man arbeitet.“

Werden Sie manchmal ungeduldig bei Ihrer Arbeit, wenn Sie merken, dass sie doch mehr Zeit beansprucht, als vorgesehen?

„Ich werde manchmal ungeduldig, so wie jetzt, wenn ich eine Ausstellung habe. Von Zeit zu Zeit brauche ich eine Ausstellung, um nicht ganz nur mehr selbstbezogen zu sein. Deshalb brauche ich eine Ausstellung, die eine Art Test darstellt. Da habe ich mir dann meistens ein sehr genaues Programm vorgenommen. Wenn dieses Programm dann unter Zeitdruck kommt, das habe ich nicht so gern. Jetzt ist mir das so passiert, weil ich mir den rechten Arm gebrochen habe. Da konnte ich nicht so arbeiten, wie ich es mir vorgenommen habe.“

Herr Pichler, Sie gelten als der große Einzelgänger unter Österreichs Künstlern. Jede Skulptur aus ihrer Hand erhält auf Ihrem Grundstück im Burgenland ihr eigenes Haus, ihren eigenen Platz, in dem sie wirken kann. Sie verkaufen keines Ihrer Werke, Sie scharen sich um Ihre Produkte wie ein Patriarch um seinen Familienkreis. Völlig undenkbar, dass Ihre Figuren in einem Museum oder in einer Privatsammlung eine neue Heimat fänden. Das ist ein radikaler Weg: eine Antithese zum gängigen Kunstmarkt….

„Es wäre nicht undenkbar…aber die Umstände, die ich meistens vorfinde, lassen diese Skulptur nicht mehr erkennen. Früher habe ich immer Modelle gebaut und gedacht: wie wäre der ideale Raum für diese Skulptur. Habe viele Zeichnungen gemacht und Modelle gebaut, das ist nicht gleich wie eins zu eins. Wenn man in einem Raum hineingeht und die Tür aufmacht und nichts mehr sagen muss: dann erst sieht man, wie ich es gemeint habe. Nicht in allen Fällen, aber es gibt Beispiele, wo ich das sagen kann“.

Leonardo da Vinci und viele Künstler seiner Zeit sahen sich nicht als Vollstrecker der Wünsche ihrer Auftraggeber, sondern als Anwalt einer neuen Kunst von eigenem Recht. Sie arbeiteten nicht für ihre Auftraggeber, sondern für eine Öffentlichkeit, die sich noch lange Zeit später für ihre Werke begeistern sollte. Kann der modernen Kunst ein ähnliches Schicksal beschieden sein?

„Ein harter Vergleich. Aber, das ist nicht in meinem Blickfeld, muss ich ehrlich sagen. Ich bin nicht mein eigener Historiker. Ich denke nicht daran. Ich bin verpflichtet, gegenwärtig mit meiner ganzen Konzentration und meinen Möglichkeiten das zu machen, was ich machen kann. Und etwas auf die Erdoberfläche zu stellen, das vielleicht noch nie da war. Dann wäre ich schon zufrieden. Die weitere Entwicklung meiner Arbeit kann ich nicht kontrollieren, deshalb interessiert es mich auch nicht besonders.“

Sie werden im Zusammenhang von Spiritualität und Avantgarde einmal mit dem Satz zitiert: Religiosität ist heute nur noch in der Kunst möglich. Das klingt einschränkend…Es gibt doch eine uralte Gegenseitigkeit von Kunst und Religion, oder?

„Die ist leider nicht zu sehen. Wenn man die Kirche sieht, welche Aufträge sie gegeben hat, in der letzten Zeit, sind sehr wenige Beispiele dabei, die von Kenntniskunst wissen und umgekehrt, die Künstler wissen sehr wenig, sind kaum gebildet über Religion“.

Es ist jetzt – seit kurzer Zeit – im Vatikan ein Kulturminister im Amt – Kardinal Ravasi – der kühne Schritte wagen will: er will religiöse Kunst auf der nächsten Biennale von Venedig, dem Schaufenster der Welt der Kunst schlechthin, sichtbar machen. Das wäre doch ein kühner Schritt, für den Vatikan, oder?

„ Ich habe eine sehr strenge katholische Kindheit gehabt. Das ist sehr wichtig für mich. Ich bin nach wie vor ein guter Bibelleser und weiß wenigstens in jenen Punkten, wo ich mich von der Religion entfernt habe – wo es mir schwer fällt, Mitglied einer Konfession zu sein – habe ich versucht, zu wissen, von was ich mich entferne oder wo ich Distanz einlegen muss. Das ist mir gegenwärtig wichtig“

Könnten Sie sich vorstellen, dass eine Ihrer Skulpturen oder Zeichnungen – vorübergehend – in einer Kirche wirkungsvoll aufgestellt werden könnte?

„Das würde ich nicht machen. Ich habe viele Angebote bekommen. Auch Kirchen zu bauen. Man ist mir von der Kirche mit großem Wohlwollen entgegengekommen. Aber, gerade meine Arbeit darf ich nicht zu einer konfessionellen Arbeit machen, sonst denunziere ich sie“.

Sie haben einmal ein Kreuz aus Metall gefertigt, das als Meisterwerk bezeichnet wird. Ein Brückenschlag zwischen Kirche und Kunst?

„Es zeigt meine Beziehung zur Religion ziemlich gut.“

Und das wäre?

„Große Würde und Respekt. Aber doch große Distanz.“

Welche Grundwerte halten Sie für die wichtigsten im Leben eines Menschen?

„Ich halte Respekt und Würde für die wichtigsten. Und Anteilnahme. Ich brauche zum Beispiel, um meine Arbeit zu machen – manchmal muss ich fast hochmütig sein. Aber diese Portion Hochmut, die man dafür braucht, um etwas angehen zu können, darf man nicht weiter transportieren. Hochmut ist etwas, was schon mit Schöpfertum zu tun hat. Da nimmt man sich so Ähnliches heraus, was schon die Schöpfung gemacht hat.“

Hatten Sie oder haben Sie Vorbilder?

„Für mich ist Constantin Brancusien einer der großen Bildhauer.“

Der rumänisch-französische Bildhauer. Herr Pichler, während die Welt über die Kunst Walter Pichlers gut informiert ist, weiß man über den Menschen Walter Pichler relativ wenig. Gibt es eine Skulptur, sie Sie möglicherweise autobiographisch darstellt oder würden Sie selbst gerne hier ein kurzes Portrait Ihrer Persönlichkeit weitergeben?

„Ich gebe die Liebe ein bisschen zu sehr einseitig aus. Und du hast die Liebe nicht, dann bist du ein tönernes Erz und eine Schelle. Aber, es ist sehr schwer diese Liebe in Menschenliebe und Sachliebe zu teilen.“

Könnte eine Beschreibung über Sie etwa so lauten: Freiheit in der Kunst und Unabhängigkeit im Leben: das sind die wichtigsten Koordinaten im Wertesystem von Walter Pichler?

„Ja, ein großes Anliegen ist mir Unabhängigkeit. Weil dann, bin ich mir selbst verantwortlich. Wenn isch mich ausreden kann auf viele Dinge, dann ist die Verantwortung auch nicht groß.“

Vor einem Jahr wurde im Landesmuseum Schloss Tirol bei Meran eine Ausstellung gezeigt – sie ist jetzt um ein Jahr verlängert worden – die Ihrer Mutter gewidmet war. Welches Verhältnis hatten Sie zu Ihrer Mutter, zu Ihrem Elternhaus?

„Meine Mutter war eine sehr eindrucksvolle Person. Sie hatte es nicht leicht gehabt. Besonders die Auswanderung, die Option…das hat ihr gar nicht gefallen. Sie wollte gar nicht weg von Südtirol. Aber mein Vater musste aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen. Er war auch mit den Italienern in Äthiopien und Abessinien damals und hat die Nase voll gehabt. Und dann sind wir nach Nordtirol und dann ist das Gleiche weiter gegangen. Aber eine der wichtigsten Merkmale meiner Mutter war, dass sie absolut unbestechlich war in ihren politischen Ansichten. Sie hat immer ohne jeden Zweifel gesagt, diese Leute sind Gottlose. Das war das Schlimmste für sie. Rückblickend war es gut, dass sie als Kind schon – mitten in dem Mist – gehört hat, dass das gottlose Menschen sind, mit denen man nichts zu tun haben darf. Mit den Faschisten in Italien und den Nazis in Deutschland.“

Ihre nächste Ausstellung wird ab 26. September im Museum für Angewandte Kunst in Wien gezeigt. Rechtzeitig zu Ihrem 75. Geburtstag. Auch von unserer Seite, herzlichen Glückwunsch.

Aldo Parmeggiani








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