Die französische
Originalausgabe dieses Romans (oder eher Epos) ist im Verlag Babel erschienen. Das
passt. Denn Mathias Enards Buch „Zone“ hat das Zeug zum Mythos: 24 Kapitel wie die
„Ilias“ des Homer, mit dem die Rezensenten es denn auch prompt verglichen haben. Ein
ununterbrochener Gedankenstrom ohne trennende Punkte – wie bei den in Wachstafeln
geritzten Epen der Antike. Eine gedankliche Bahnreise, nachts, durch neun Bahnhöfe
zwischen Milano und Roma Termini, die die neun Kreise von Dantes Hölle heraufbeschwören.
Der Ich-Erzähler ist ein früherer Mitkämpfer der Balkankriege, der auch mal
für den CIA gearbeitet hat; er führt in seinem durch die Nacht rumpelnden Abteil Listen
mit sich, die er dem Vatikan übergeben will. Schließlich ist dieser doch für das Ewige
zuständig. Penibel sind in diesen Listen die Namen von Kriegsverbrechern aller großen
Konflikte des zwanzigsten Jahrhunderts aufgeführt: Namen, die sich bei der Reise durchs
Dunkle mit der Erinnerung an frühere Kämpfe und Schlachtfelder mischen. Wie im Rausch
verklumpt hier die neuere Geschichte des ganzen Mittelmeerraumes zu einer Geschichte
von Blut und Gewalt. Das Fehlen der Punkte sorgt dafür, dass die 24 Kapitel (oder,
wenn man den Vergleich mit Homer pointieren will, „Gesänge“) zu einem Kaddisch werden,
einem Totengesang auf die Rasereien und Irrtümer unserer Zone.
Erst ganz am
Schluss dieser nächtlichen Hetzjagd steht ein Punkt: „Laßt uns noch schnell eine Zigarette
rauchen, bevor die Welt untergeht“. Punkt. Das ist von einer Eindringlichkeit, die
den Leser nachdenklich, ja bestürzt – und doch irgendwie erleichtert zurückläßt. Ja,
vielleicht ist dieses Buch wirklich eine Ilias (oder eher eine Odyssee) unserer Zeit,
wert, auch im Vatikan zu den Akten genommen zu werden, wie sich der Ich-Erzähler das
so wünscht.
Das Buch ist im Berlin Verlag erschienen und kostet 28 Euro.