Franz Liszt, die römischen Jahre: Religiös sehr musikalisch
Ein faszinierender
Mann, auratisch, gebildet, schön, natürlicher Mittelpunkt jeder Gesellschaft, ein
Musik-Virtuose wie kaum ein anderer seines Jahrhunderts, des 19.
Die Rede ist
von Franz Liszt. Vor 200 Jahren wurde er geboren. Der Musiker, den heute sowohl Österreich
als auch Ungarn für sich reklamieren, hielt sich neun Jahre seines Lebens überwiegend
in Rom auf, von 1861 bis 1870. Mit dem Musikwissenschaftler Markus Engelhardt vom
Deutschen Historischen Institut Rom gehen wir dieser Station im Leben Franz Liszts
nach.
Er kam wegen einer Frau, die ihre Hochzeit mit ihm in letzter Sekunde
platzen ließ, er freundet sich mit dem Papst an, empfing die niederen Weihen und legte
das Abbé-Kleid an, er schöpfte aus der alten liturgischen Musiktradition Roms, war
als päpstlicher Kapellmeister im Gespräch, wurde Magnet für Rom-Touristen aus ganz
Europa und wohnte zeitweise im Vatikan neben den Raffael-Stanzen. Das römische Leben
von Franz Liszt bietet Stoff für Dutzende Romane.
Als Liszt im August 1861
nach Rom kommt, hat er bereits ein wechselvolles Leben hinter sich und sehnt sich
nach einem sicheren Hafen: dem Hafen der Ehe. An seinem 50. Geburtstag will er Caroline
zu Sayn-Wittgenstein heiraten, eine reiche russische Adelige, die in zähen Verhandlungen
mit dem Vatikan die Annullierung ihrer ersten Ehe erreicht hat, um sich mit Liszt
zu verbinden. Doch wie oft im Leben des Musikers kommt es zu einer dramatischen Wende.
Markus Engelhardt.
„Einen Abend vor der geplanten Vermählung in der Kirche
San Carlo al Corso hintertreiben Verwandte diese Vermählung, und ja, die Fürstin Sayn-Wittgenstein
und Liszt werden nie ein verheiratetes Paar. Sie bleiben lange Jahre zusammen, wenn
auch in getrennten Wohnungen, Liszt in seinen römischen Jahren in den 1860er-Jahren
geht zu ihr frühstücken und so weiter, sie haben einen sehr innigen Austausch weiterhin,
aber ein verheiratetes Paar werden sie nicht.“
Liszt hat bereits drei
Kinder aus einer früheren Verbindung mit der französischen Adeligen Marie d’Agoult.
Mit 50 versteht er nun, dass es ein bürgerliches Familienleben für ihn wohl nicht
mehr geben wird. Und er vollzieht eine geistliche Wende.
„Er kommt jedenfalls
mit den vatikanischen Kreisen in sehr enge Berührung, vor allem über Gustav Adolf
von Hohenlohe Schillingsfürst, der später Kardinal wird. Da entsteht eine enge Freundschaft,
Liszt wohnt auch später in der Villa d’Este in Tivoli, wo ihm dieser Gustav Adolf
eine dauerhafte Wohnung gewährt. 1865 trägt er erstmals das Abbé-Kleid, er empfängt
eben von diesem Hohenlohe nach der ersten Tonsur die niedere Weihe.“
Die
niedere Weihe, das ist die Vorstufe zum Klerikerstand, in den Liszt freilich niemals
eintritt. Der große Virtuose, Frauenheld, Mittelpunkt zahlreicher Zirkel und Salons
in Europa – auf dem Weg zum Priesteramt? Alle, die ihn kennen, sind irritiert.
„Man
hat von diesem Künstler, der in ganz Europa als Klaviervirtuose gewirkt hat, der seinesgleichen
sucht als Komponist, der sich auch als Komponist einen Namen macht, alles erwartet
- nur nicht diese Entscheidung. Seine eigene Mutter, die zu dieser Zeit noch lebt,
ist traurig bis entsetzt über diese Entscheidung, und viele Persönlichkeiten des öffentlichen
Lebens distanzieren sich vollkommen, machen sich auch darüber lustig.“
„Religiös
musikalisch“, der berühmte Ausdruck von Theodor W. Adorno, religiös musikalisch, das
trifft auf Franz Liszt zu wie auf keinen anderen. Er ist gewiss nicht katholisch in
dem Sinn, dass er sich zur katholischen Kirche als Institution bekannt hätte, sagt
der Musikwissenschaftler Engelhardt. Aber ein Hang zum Schwärmerischen, ja Mystischen
zeichnet bereits den heranwachsenden Franz Liszt aus.
„Dieses Abbé-Kleid
- ist es nur ein Kokettieren, etwas, das einen zusätzlichen Kick nach außen hin dieser
berühmten und wie ein Exotikum von den Touristen heimgesuchtes Objekt geben soll?
Er übt dieses Amt nicht im Sinn des Priesterdaseins aus, und wenn er sich in Kloster
zurückzieht, um dem Treiben der Stadt zu entfliehen und in Ruhe zu komponieren, dann
berichten Besucher von dieser Abgeschiedenheit, dass er das Bildnis des Papstes oder
ein Marienbildnis abwechselnd mit Zigarrenqualm einräuchert und behauptet, die würden
ja sonst immer nur den Weihrauch erdulden müssen. Also, es ist eine höchst widersprüchliche
Konstellation.“
Dem religiösen Rom begegnet der Komponist also mit zeitweiliger
Ironie, aber eben auch echtem und wachem Interesse. Und wie jeder Künstler verarbeitet
er seine Beobachtungen in neuen Werken. Vom Ostersegen des Papstes lässt er sich zu
einer Klavierkomposition inspirieren.
Paris, Weimar, Bayreuth, und jetzt Rom.
Dem unsteten Leben des berühmten Musikers entsprechen die römischen Wohnorte von Franz
Liszt. Markus Engelhardt fasst sie zusammen.
„1865 nimmt ihn der erwähnte
Kardinal Hohenlohe in seine Wohnung im Vatikan auf, er wohnt in dessen Wohnung im
Vatikan neben Raffaels Loggien, also in den westlichen Arkaden des 2. Stocks im Cortile
San Damaso. Er zieht sich auf ein davor auf ein Kloster am Monte Mario zurück, wo
ihm eine Wohnung zur Verfügung steht, dann ein drittes Kloster ist Santa Francesca
Romana auf den Foren mit wunderbarem Blick auf das Forum Romanum, wo es ganz furchtbare
Berichte gibt wie er da von den Touristen heimgesucht wird, die ihn sprechen wollen,
also von klösterlicher Abgeschiedenheit kann da auch nur bedingt die Rede sein. Später
in seinem Domizil in der Villa d’Este in Tivoli hat er auch seine Beziehungen zu Rom
weiterhin, er fährt mit den neuen Buslinien, die damals entstehen, er lässt sich das
nicht nehmen, in diesem demokratischen Fortbewegungsmittel zu fahren: Da wäre viel
zu diskutieren über seine Einfachheit, seine Schlichtheit, die ihn als Person zeitlebens
auszeichnen, aber es wäre wie bei Liszt immer auch zu diskutieren über Widersprüchlichkeiten,
die für uns schwer zu erklären sind.“
Die Hinwendung zum Religiösen geht
bei Liszt keineswegs einher mit einer Absage an die Welt. Er bleibt dem gesellschaftlichen
Leben treu. Liszt hat eine unvergleichliche Wirkung auf sein Publikum, ist andererseits
geradezu süchtig nach Anerkennung, berauscht sich am tosenden Applaus. Mit seiner
musikalischen Kompetenz setzt er neue Maßstäbe in der ewigen Stadt.
„Liszt
ist Initiator wichtiger Konzerte, in einer Landschaft, die mancher als musikalische
Wüste bezeichnet. Er initiiert Konzerte u.a. mit Komponisten, die in Rom noch gar
keine Bedeutung haben können, etwa Bach, aber auch mit der Musik Palestrinas, der
römischen Vokalpolyphonie.“
Von der sakralen Musiktradition der Papst-Stadt
lässt sich Liszt beeindrucken und beeinflussen. Auch sie setzte er künstlerisch in
etwas Neues um. Sein bedeutendstes Werk im Umfeld der römischen Erfahrungen ist das
Oratorium Christus.
„Das wurden schon einige Teile vorher aufgeführt, etwa
bei der Uraufführung 1867 in der Sala Dante. Über das „Tu es Petrus“ ist bekannt,
dass Begeisterungsstürme losgebrochen sind, das hat auf das Publikum großen Eindruck
gemacht. Aber es war keine liturgische Musik, die dem Ritus hätte dienen müssen, sondern
ein christlich inspirierte Musik, die in die weltliche Sphäre, wie sie sich hier in
Rom in einzigartiger Weise gestaltet, gewirkt hat.“
Als Liszt nach Rom
kommt, sitzt bereits seit 15 Jahren Pius IX. auf dem Papst-Thron. Zwischen dem Pontifex
und dem schillernden Musiker entwickelt sich eine freundschaftliche persönliche Beziehung.
„Pius IX. Ist eine wichtige Gestalt für die Biografie Liszts, er besucht
ihn übrigens zweimal, im Kloster am Monte Mario, und Liszt hat später bei ihm private
Audienzen. Er besucht ihn persönlich, und Liszt spielt ihm aus der Norma vor, und
beide singen zusammen diese Arie.“
Pius IX. ist nicht nur der bis heute
am längsten amtierende Papst. Er ist auch der letzte Pontifex, der mit dem damals
noch existierenden Kirchenstaat auch eine ausgedehnte weltliche Herrschaft hat. Ganz
Europa ist im Umbruch, Nationalstaaten bilden sich heraus - so auch Italien. In das
Pontifikat Pius des IX. fällt 1870 die endgültige Enteignung des Kirchenstaates, der
zur Gänze Italien angegliedert wird. Dem Papst bleibt nur der Vatikanhügel. Das letzte
der neun römischen Jahre von Franz Liszt fällt genau in diese Zeit. In der Zeit davor
steht für Franz Liszt eine wichtige Aufgabe im Vatikan im Raum.
„Man diskutiert,
dass Liszt vielleicht sogar vorgesehen war so wie ein päpstliches Kapellmeisteramt
zu bekleiden. Die Sache ist deshalb strittig, weil Liszt sich selber dazu nie weiter
positioniert hat.“
Liszt komponierte in großem Stil religiös inspirierte
Musik, schrieb sogar einen langen Aufsatz „über künftige Kirchenmusik“. In der politisch-sozialen
Umbruchssituation Europas und der Kirche setzt er auf eine Erneuerung der alten sakralmusikalischen
Tradition, wie man sie besonders mit Palestrina verbindet.
„Das ist eine
rückwärtsgewandte Haltung natürlich. Für diese Haltungen versprach man sich immer
schon das meiste in der kath Kirchemusik, vereinfacht gesprochen, denn das ideal dieser
Vokalpolyphonie ist etwas, was die Kirche seit Jahrhunderten prägt und trägt, und
jeder Zug, jedes Programm, muss für eine Institution wie die Katholische Kirche ein
zukunftsverheißendes Programm sein.“
Insofern hätte Liszt wohl den Erwartungen
des Papstes entsprochen, auch mit einem offiziellen Amt im Vatikan. Viele Musikologen,
darunter Engelhardt selbst, meinen aber auch, dass er daran gescheitert wäre, weil
er sich einem gewissen Purismus hätte verschreiben müssen.
Franz Liszt – eine
der schillerndsten Gestalten des 19. Jahrhunderts. Ein religiös inspirierter Virtuose,
weltzugewandt und mönchisch abwechselnd, drei uneheliche Kinder, darunter die später
Frau Richard Wagners, Cosima; unzählige Liebschaften, niedere Weihen, gesellige Begegnungen
mit dem Papst. Ein Leben, das nicht leicht zu fassen ist. (rv 01.09.2011 gs)