Papst Benedikt XVI.
lädt die Gläubigen dazu ein, als Weg zu Gott den „Weg der Schönheit“, also die Kunst,
neu zu entdecken. „Der Herr schenkt uns viele Gelegenheiten, an ihn zu denken“, sagte
der Papst bei der Generalaudienz in Castelgandolfo an diesem Mittwoch. Eine dieser
Gelegenheiten sei eben die Kunst.
„Vielleicht ist es Ihnen manchmal vor
einer Skulptur, einem Gemälde, einem Vers oder einem Musikstück passiert, dass Sie
im Innersten berührt werden, einen Impuls der Freude empfinden und wahrnehmen, dass
Sie nicht bloß Materie vor Augen haben, ein Stück Marmor oder Bronze, eine bemalte
Leinwand, eine Ansammlung von Buchstaben oder von Tönen, sondern etwas Größeres, etwas,
das gleichsam spricht und dazu fähig ist, das Herz zu berühren, eine Botschaft zu
transportieren, die Seele zu erheben.“
Tatsächlich vermöge es die Kunst,
das Bedürfnis des Menschen nach dem Überschreiten des bloß Sichtbaren auszudrücken,
so der Papst weiter. Kunst „zeigt den Durst und die Suche nach dem Grenzenlosen“.
„Mehr noch, sie ist wie eine offene Tür zum Unendlichen, zu einer Schönheit
und einer Wahrheit, die das Alltägliche übersteigen. Ein Kunstwerk kann die Augen
des Geistes und des Herzens öffnen und uns so nach oben weisen.“
Besonders
solche Werke, die aus dem Glauben geboren sind und den Glauben ausdrücken, seien „echte
Straßen zu Gott“ und zu erhabener Schönheit. Papst Benedikt erinnerte an das Beispiel
gotischer oder romanischer Kathedralen, die in ihrer Baulichkeit „gleichsam den Glaube
von Generationen“ einfangen. Dasselbe könne mit Musik geschehen. Papst Benedikt fügte
eine persönliche Reminiszenz hinzu:
„Ich erinnere mich an ein Konzert mit
Werken von Johann Sebastian Bach in München, dirigiert von Leonard Bernstein. Nach
der letzten Kantate fühlte ich, und zwar nicht durch Überlegungen, sondern vom Inneren
des Herzens, dass das, was ich gehört hatte, mir Wahrheit vermittelt hatte, Wahrheit
des obersten Komponisten. Neben mir war der lutherische Bischof von München und ich
sagte spontan zu ihm: Wenn man das hört, fühlt man, dass der Glaube wahr ist; die
Schönheit bringt unwiderstehlich die Präsenz der Wahrheit Gottes zum Ausdruck.“
Oftmals
könnten Kunstwerke also an Gott erinnern, beim Gebet helfen, ja sogar Bekehrungen
des Herzens hervorrufen, so der Papst weiter. So sei von dem französischen Dichter,
Dramatiker und Diplomat Paul Claudel bekannt, dass er beim Hören des „Magnificat“
in der Weihnachtsmesse 1886 in Paris die Anwesenheit Gottes gefühlt habe. Dabei war
er eigentlich mit der Absicht in die Kirche gekommen, Argumente gegen die Christen
zu sammeln; „stattdessen wirkte die Gnade Gottes in seinem Herzen“, resümierte der
Papst.
„Liebe Freunde, ich lade sie dazu ein, den Weg der Schönheit auch
für das Gebet neu zu entdecken, für unsere lebendige Beziehung zu Gott. Die Städte
und Dörfer in der ganzen Welt bieten Kunstschätze, die den Glauben ausdrücken und
uns an Gott erinnern. Der Besuch an Kunststätten soll nicht bloß Anlass zu kultureller
Bereicherung sein – das auch. Aber er kann auch ein Moment der Gnade werden; kann
uns dazu einladen, innezuhalten und den Strahl der Schönheit zu betrachten, der auf
uns fällt, der uns im Inneren fast „verletzt“ und uns dazu einlädt, zu Gott aufzusteigen.“
Am
Ende der Audienz folgten wie immer Zusammenfassungen der Katechese in verschiedenen
Fremdsprachen. „Von Herzen grüße ich alle deutschsprachigen Besucher hier in
Castelgandolfo, besonders natürlich die Teilnehmer der Familienwallfahrt aus dem Erzbistum
München und Freising mit Kardinal Reinhard Marx. Zu den Wegen, die uns zu Gott führen
können, zählen auch die verschiedenen Ausdrucksformen der Kunst. Werke der Architektur,
der bildenden Kunst, der Musik, der Literatur, die aus dem Glauben entstanden sind
und ihn ausdrücken, laden uns ein, das unmittelbar Gegenwärtige zu überschreiten und
auf Gott zuzugehen. Sie lassen in uns den Wunsch wachsen, die Quelle aller Schönheit
zu suchen. Ich wünsche Euch, dass der Herr euch allen in dieser Urlaubszeit Momente
der Gnade schenkt, in denen ihr durch die Erfahrung künstlerischer Schönheit mehr
als dies, mehr als bloße menschliche Kultur: Gegenwart der Schönheit selbst spürt.
Gottes Geist geleite euch auf allen euren Wegen!“