2011-08-30 11:50:55

Türkei: Hoffnung und Skepsis nach Erdogans Dekret


RealAudioMP3 Wird die türkische Regierung tatsächlich einen der dicksten gordischen Knoten im verknäuelten Verhältnis zu ihren religiösen Minderheiten durchschlagen? Nach einem entsprechenden Dekret des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan halten sich Hoffnungen und Skepsis die Waage. Es wäre nicht das erste Mal, dass plötzliche Hoffnungen auf einen Durchbruch ins Leere laufen. Erdogan hat angekündigt, dass die Türkei Enteignungen von christlichen Gemeinden und von Christen rückgängig machen oder die Betroffenen gerecht entschädigen werde. Es geht um die Immobilien nichtmuslimischer religiöser Stiftungen, die seit 1936 von Ankara enteignet wurden.

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) rät zu äußerster Zurückhaltung, dem Versprechen Erdogan Glauben zu schenken. Der Verband hält es nämlich für möglich, dass der Premier mit dieser Ankündigung „die Enteigneten zum Warten und Stillhalten verpflichtet habe“. Nach den jährlichen Verurteilungen durch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof habe es der türkischen Regierungdoch schon „ seit Jahren frei gestanden, Enteignungen rückgängig zu machen“. Stattdessen seien jedoch „die früheren Besitzer mit minderwertigem Boden für teure Stadtgrundstücke abgespeist oder vertröstet“ worden. „Wer und was soll Erdogan hindern, so fortzufahren?“, fragt der in Göttingen angesiedelte Verband.

Die Europäische Union hingegen hat Erdogans Erlass, der am Samstag offiziell veröffentlicht wurde, begrüßt; sie will seine Umsetzung allerdings genau beobachten. Schließlich geht es hier auch um eines der bisher größten Hindernisse bei den Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei und der EU. Ein Stiftungsgesetz hatte 2008 zwar eine Rückgabe von enteignetem Stiftungsbesitz möglich gemacht, doch kam es bisher bei der Realisierung immer wieder zu bürokratischen Hürden. Nach offiziellen Angaben haben Christen und Juden seit Inkrafttreten des Stiftungsgesetzes insgesamt 1.400 Anträge auf Rückerstattung von Immobilien gestellt. Das neue Dekret soll die Rückgabe von 370 weiteren Objekten möglich machen. Die nationalistische Rechte in der Türkei protestiert gegen jedwede „Privilegien“ für Nichtmuslime.

Der Türkei-Experte von missio Aachen, Otmar Oehring, spricht von einem mutigen Schritt der Regierung. „Wenn wir das, was dort angekündigt wird, demnächst tatsächlich als Rechtsverordnung sehen, wäre es mutig und auch überraschend“, so der Referent des kirchlichen Hilfswerks. Allein in Istanbul gehe es um enorme Grundstücks- und Gebäudeflächen. Noch wichtiger als die geplanten Rückerstattungen von enteigneten Immobilien wären nach seiner Ansicht Entschädigungszahlungen für jene Liegenschaften, die in der Vergangenheit an Dritte weiterverkauft worden sind. Türkische Medien schätzten die Gesamtsumme der Entschädigungen auf umgerechnet rund 700 Millionen Euro. Der griechisch-orthodoxe Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., sagte laut türkischen Medien, die Türkei sei auf dem richtigen Weg.

(rv/kna/dr 30.08.2011 sk)








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