2011-08-22 17:53:07

Somalia: "Das wird noch Jahre dauern"


RealAudioMP3 In Ostafrika ist die unvorstellbare Zahl von zwölf Millionen Menschen derzeit von einer Hungersnot betroffen. Die Caritas Somalia meldet, dass die Zahl der Kleinkinder im Land sich alle elf Wochen um ein Zehntel verringert. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht vor dem Hungertod, leben in Lagern. In Ostafrika ist auch der Jesuiten-Flüchtlingsdienst JRS aktiv. Pater Frido Pflüger kommt gerade zurück von einem fünftägigen Besuch in äthiopischen Lagern an der Grenze zu Somalia. Miriam Thiede hat mit ihm gesprochen.

Es sind vier Lager inzwischen mit ungefähr 120.000 Flüchtlingen. Und es ist eine furchtbare Situation. Eines der Lager wurde gerade vier, fünf Tage vor unserem Besuch neu gegründet, war dann aber auch schon mit 5.000 Menschen bevölkert, und das waren vor allem Kinder. Das Lager ist in einer richtigen Felswüste nur mit Dornenbüschen, keine Bäume; Sand und Staub und Sturm und Hitze. Und die Kinder sitzen da in den Zelten, sie erhalten, wie die Erwachsenen, Nahrungsmittel. Von daher geht’s ihnen eigentlich besser. Aber es gibt halt gar nichts zu tun. Das war für mich erschütternd, die Kinder einfach in den Zelten sitzen zu sehen. Sie können nicht mal spielen zwischen den Felsblöcken und Dornbüschen. Das älteste der vier Lager existierte schon von der Hungersnot, seit 2009. Und es ist das einzige Lager mit einer Schule. Obwohl von den 120.000 Leuten ungefähr 80 Prozent Kinder und Jugendliche sind, gibt es nur eine einzige Primarschule.

Wie kann der JRS vor Ort denn helfen?

Wir fangen ja erst an. Das ist ja ein völlig neues Projekt für uns. Und als Jesuitenflüchtlingsdienst gehört man natürlich auch nicht zu den Erstversorgern; Ernährung, Gesundheitswesen und Sanität ist nicht unsere Spezialität, das machen Hilfsorganisationen. Aber im nächsten Schritt wird immer gleich klar, die Leute haben ja schreckliche Erfahrungen hinter sich, mit denen sie leben müssen, das belastet sie. Und dann die Kinder! Die mittlere Dauer von so einem Lager beträgt nach Erhebungen 17-20 Jahre. Das heißt, wir müssen uns darauf einstellen, dass das in dieser furchtbaren Wüste sehr lange gehen wird. Und da braucht man möglichst schnell andere Institutionen zB Schulen, was dann auch eher unsere Spezialität ist. Wir planen psychologische Hilfe für die Leute, in ihrer Sprache. Und das zweite ist, dass diese zehntausende Kinder den ganzen Tag über etwas zu tun haben. Und sie wären an einem geschützten Ort - ein Lagerleben ist kein sicheres Leben, vor allem für die Mädchen nicht. Die Schule bringt den Kindern auch Hoffnung, denn man sieht auch über die Schule hinaus und weiß, dass sich einem vielleicht durch die Schule auch eine bessere Zukunft erschließt.

Was sagen Ihnen die Flüchtlinge über ihre Geschichte? Gibt es etwas was Sie besonders berührt hat?

Es ist die gewisse Schwierigkeit direkt mit den Leuten zu reden, weil kaum jemand Englisch spricht. Da sind wir immer auf indirekte Berichte angewiesen. Viele Leute erzählen, dass sie tagelang unterwegs waren und schon Leute in Somalia zurücklassen mussten. Sie haben ihr gesamtes Vieh verloren und machen sich auf mit den letzen Kräften, über die Grenze zu kommen. Und dann sterben natürlich unheimlich viele Leute. Über das Lager, das neu errichtet wurde, war letzte Woche in einem UB-Bericht zu lesen, dass pro Tag ungefähr zehn Kinder sterben. Das ist das Leid der Leute. Oft melden sie die Toten auch gar nicht, weil sie dadurch ihre Lebensmittelkarten behalten können. Man weiß also nie genau, wie viele sterben, aber bei den Kindern sind es im Schnitt zehn pro Tag. Das ist erschütternd und vollkommen zu hoch.

Was könne Sie mir zum Glauben der Menschen sagen? Könne Sie den Flüchtlingen Hoffnung geben?

Die Glaubensseite, da sprechen Sie für mich eine ganz wichtige Seite an! Die Menschen, die dort nach Dollo Rado kommen, sind ja alles gläubige Muslime. Wir können sagen, wir machen Seelsorge - aber von der psychologischen Beratungsebene her. Wir sind natürlich auch als Organisation eine christliche Organisation, und das bereitet überhaupt eine Schwierigkeit, weil wir ja auch von diesem Glauben leben. Wenn die Leute ihren Glauben nicht hätten, dann hätten sie ja gar nicht überlebt! Es ist ja jetzt fast noch einen Monat Ramadan. Und es ist für mich erstaunlich, dass auch die Menschen im Lager den Ramadan versuchen einzuhalten. Zunächst habe ich als Reaktion gehört von anderen Leuten, dass sie sagen, das ist ja unsinnig, jetzt haben sie nichts zu essen und jetzt müssen sie noch hungern. Aber das ist gerade: Die Leute leben ja aus ihrem Glauben! Und wenn man ihnen jetzt den Ramadan nimmt, was für Muslime ein ganz wichtiges Ereignis ist, dann würde man ihnen ja ihr Zentrum in ihrem Glauben wegnehmen. Ich denke, da sind wir als christliche Organisation schon auch sehr gefordert, das zu verstehen und die Menschen auch in ihrem gläubigen Leben zu begleiten, soweit es geht. Aber wir haben ja auch Erfahrungen in Darfur, wo wir in einer vollkommen muslimischen Umwelt leben und überhaupt kein Akzeptanzproblem haben. Denn die Leute schätzen und lieben den JRS und wissen alle genau, das sind Christen.

Wann wird sich die Lage verbessern?

Das ist eine ganz schwierige Frage. Das hängt natürlich zusammen mit der politischen Situation in Somalia. Es zeichnet sich jetzt eine leichte Besserung ab, weil die militante Gruppe Al-Shabab Mogadischu verlassen hat. Das ist vielleicht ein Zukunftszeichen. Aber ich würde nicht darauf setzen, denn das ist ja schon über 20 Jahren ein Kriegsgebiet, und es ist keinerlei staatliche Struktur mehr vorhanden. Und in dieser Situation ist es sehr schwierig, diese Hungersnot strukturell anzugehen. Das ist anders als in Kenia und Äthiopien, wo die Regierungen ebenfalls sehr viel versäumen, auch langfristig. Aber in Somalia kann ich da leider gar nichts erwarten. Also das wird noch sehr lang dauern.

(rv 22.08.2011 mt)









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