In Ostafrika ist die
unvorstellbare Zahl von zwölf Millionen Menschen derzeit von einer Hungersnot betroffen.
Die Caritas Somalia meldet, dass die Zahl der Kleinkinder im Land sich alle elf Wochen
um ein Zehntel verringert. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht vor dem Hungertod,
leben in Lagern. In Ostafrika ist auch der Jesuiten-Flüchtlingsdienst JRS aktiv. Pater
Frido Pflüger kommt gerade zurück von einem fünftägigen Besuch in äthiopischen Lagern
an der Grenze zu Somalia. Miriam Thiede hat mit ihm gesprochen.
Es sind vier
Lager inzwischen mit ungefähr 120.000 Flüchtlingen. Und es ist eine furchtbare Situation.
Eines der Lager wurde gerade vier, fünf Tage vor unserem Besuch neu gegründet, war
dann aber auch schon mit 5.000 Menschen bevölkert, und das waren vor allem Kinder.
Das Lager ist in einer richtigen Felswüste nur mit Dornenbüschen, keine Bäume; Sand
und Staub und Sturm und Hitze. Und die Kinder sitzen da in den Zelten, sie erhalten,
wie die Erwachsenen, Nahrungsmittel. Von daher geht’s ihnen eigentlich besser. Aber
es gibt halt gar nichts zu tun. Das war für mich erschütternd, die Kinder einfach
in den Zelten sitzen zu sehen. Sie können nicht mal spielen zwischen den Felsblöcken
und Dornbüschen. Das älteste der vier Lager existierte schon von der Hungersnot, seit
2009. Und es ist das einzige Lager mit einer Schule. Obwohl von den 120.000 Leuten
ungefähr 80 Prozent Kinder und Jugendliche sind, gibt es nur eine einzige Primarschule.
Wie kann der JRS vor Ort denn helfen?
Wir fangen ja erst an. Das ist
ja ein völlig neues Projekt für uns. Und als Jesuitenflüchtlingsdienst gehört man
natürlich auch nicht zu den Erstversorgern; Ernährung, Gesundheitswesen und Sanität
ist nicht unsere Spezialität, das machen Hilfsorganisationen. Aber im nächsten Schritt
wird immer gleich klar, die Leute haben ja schreckliche Erfahrungen hinter sich, mit
denen sie leben müssen, das belastet sie. Und dann die Kinder! Die mittlere Dauer
von so einem Lager beträgt nach Erhebungen 17-20 Jahre. Das heißt, wir müssen uns
darauf einstellen, dass das in dieser furchtbaren Wüste sehr lange gehen wird. Und
da braucht man möglichst schnell andere Institutionen zB Schulen, was dann auch eher
unsere Spezialität ist. Wir planen psychologische Hilfe für die Leute, in ihrer Sprache.
Und das zweite ist, dass diese zehntausende Kinder den ganzen Tag über etwas zu tun
haben. Und sie wären an einem geschützten Ort - ein Lagerleben ist kein sicheres Leben,
vor allem für die Mädchen nicht. Die Schule bringt den Kindern auch Hoffnung, denn
man sieht auch über die Schule hinaus und weiß, dass sich einem vielleicht durch die
Schule auch eine bessere Zukunft erschließt.
Was sagen Ihnen die Flüchtlinge
über ihre Geschichte? Gibt es etwas was Sie besonders berührt hat?
Es ist die
gewisse Schwierigkeit direkt mit den Leuten zu reden, weil kaum jemand Englisch spricht.
Da sind wir immer auf indirekte Berichte angewiesen. Viele Leute erzählen, dass sie
tagelang unterwegs waren und schon Leute in Somalia zurücklassen mussten. Sie haben
ihr gesamtes Vieh verloren und machen sich auf mit den letzen Kräften, über die Grenze
zu kommen. Und dann sterben natürlich unheimlich viele Leute. Über das Lager, das
neu errichtet wurde, war letzte Woche in einem UB-Bericht zu lesen, dass pro Tag ungefähr
zehn Kinder sterben. Das ist das Leid der Leute. Oft melden sie die Toten auch gar
nicht, weil sie dadurch ihre Lebensmittelkarten behalten können. Man weiß also nie
genau, wie viele sterben, aber bei den Kindern sind es im Schnitt zehn pro Tag. Das
ist erschütternd und vollkommen zu hoch.
Was könne Sie mir zum Glauben der
Menschen sagen? Könne Sie den Flüchtlingen Hoffnung geben?
Die Glaubensseite,
da sprechen Sie für mich eine ganz wichtige Seite an! Die Menschen, die dort nach
Dollo Rado kommen, sind ja alles gläubige Muslime. Wir können sagen, wir machen Seelsorge
- aber von der psychologischen Beratungsebene her. Wir sind natürlich auch als Organisation
eine christliche Organisation, und das bereitet überhaupt eine Schwierigkeit, weil
wir ja auch von diesem Glauben leben. Wenn die Leute ihren Glauben nicht hätten, dann
hätten sie ja gar nicht überlebt! Es ist ja jetzt fast noch einen Monat Ramadan. Und
es ist für mich erstaunlich, dass auch die Menschen im Lager den Ramadan versuchen
einzuhalten. Zunächst habe ich als Reaktion gehört von anderen Leuten, dass sie sagen,
das ist ja unsinnig, jetzt haben sie nichts zu essen und jetzt müssen sie noch hungern.
Aber das ist gerade: Die Leute leben ja aus ihrem Glauben! Und wenn man ihnen jetzt
den Ramadan nimmt, was für Muslime ein ganz wichtiges Ereignis ist, dann würde man
ihnen ja ihr Zentrum in ihrem Glauben wegnehmen. Ich denke, da sind wir als christliche
Organisation schon auch sehr gefordert, das zu verstehen und die Menschen auch in
ihrem gläubigen Leben zu begleiten, soweit es geht. Aber wir haben ja auch Erfahrungen
in Darfur, wo wir in einer vollkommen muslimischen Umwelt leben und überhaupt kein
Akzeptanzproblem haben. Denn die Leute schätzen und lieben den JRS und wissen alle
genau, das sind Christen.
Wann wird sich die Lage verbessern?
Das ist
eine ganz schwierige Frage. Das hängt natürlich zusammen mit der politischen Situation
in Somalia. Es zeichnet sich jetzt eine leichte Besserung ab, weil die militante Gruppe
Al-Shabab Mogadischu verlassen hat. Das ist vielleicht ein Zukunftszeichen. Aber ich
würde nicht darauf setzen, denn das ist ja schon über 20 Jahren ein Kriegsgebiet,
und es ist keinerlei staatliche Struktur mehr vorhanden. Und in dieser Situation ist
es sehr schwierig, diese Hungersnot strukturell anzugehen. Das ist anders als in Kenia
und Äthiopien, wo die Regierungen ebenfalls sehr viel versäumen, auch langfristig.
Aber in Somalia kann ich da leider gar nichts erwarten. Also das wird noch sehr lang
dauern.