Syrien: Patriarch Laham, „Frage eines Palästinenserstaates ist Schlüssel“
Blutiger Beginn des
Ramadan in Syrien: Bei einem Angriff der Armee auf die Protesthochburg Hama wurden
nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten über 100 Menschen getötet. Die Attacke markiert
einen neuen Höhepunkt der Gewalt im Vorgehen der syrischen Regierung gegen die Opposition.
Tief betrübt über die Vorgänge zeigt sich im Gespräch mit Radio Vatikan der melkitisch-katholische
Patriarch von Antiochien, Gregorius Laham III.
„Wir leiden sehr darunter.
Nicht, weil wir selbst in Gefahr wären; wir leiden mit den Menschen mit: die Verletzten
in den Krankenhäusern, die Toten auf beiden Seiten, auf Seite der Demonstranten und
auf Seite der Armee.“
Der Alltag sei durch Angst und Unsicherheit bestimmt,
so der in Damaskus residierende Patriarch. Allerdings würden sich die Unruhen bisher
auf Zusammenstöße zwischen Regierungsgegnern und der Armee beschränken. Von Ausschreitungen
gegen Kirchenvertreter und Christen habe er nichts zu berichten, so der Patriarch
weiter. Der Vatikan hatte schon vor Wochen die Sorge geäußert, die Gewalt könne sich
auch gegen die christliche Minderheit in Syrien wenden. Die jüngsten Vorgänge
in Hama kommentiert der Patriarch vorsichtig. Von 130 Toten sei nach den Zusammenstößen
vom vergangenen Sonntag die Rede gewesen, so Laham. Allerdings seien die Hintergründe
der Gewalt schwer zu verstehen: „Niemand kann behaupten, dass er genau weiß, um was
es geht“, so der Patriarch wörtlich gegenüber Radio Vatikan.
„Sanktionen
nicht konstruktiv“
Während Präsident Baschar al-Assad die nicht abreißenden
Protestkundgebungen als Teil einer „Verschwörung gegen Syrien“ beschreibt, droht UNO-Generalsekretär
Ban Ki Moon dem Regime nun mit strafrechtlicher Verfolgung. „Die syrischen Behörden
sind verantwortlich für ihr Handeln und können nach internationalem Recht für alle
Gewaltakte gegen ihr Volk zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte Ban, der ein Ende
der syrischen Militäroffensive gegen die Regierungsgegner forderte. Mit Sanktionen
will die Internationale Gemeinschaft das Assad-Regime zum Einlenken bringen. Ein militärisches
Eingreifen ist unter anderem wegen Syriens strategischer Lage und der unmittelbaren
Nachbarschaft zu Israel ausgeschlossen.
Sanktionen seien nicht „konstruktiv“,
kommentiert den Plan Patriarch Gregorius III., der sich eine „positive Haltung Europas“
gegenüber Syrien wünscht. Was könnte aber eine „positive Haltung“ gegenüber einem
Regime sein, das derart aggressiv gegen sein eigenes Volk vorgeht? Der Patriarch von
Damaskus schaut auf das Machtgefüge in der gesamten Region, um diese Frage zu beantworten.
Er nennt als Beispiel die Anerkennung eines autonomen Palästinenserstaates - der Vorstoß
der palästinensischen Autonomiebehörde wurde in diesen Tagen im Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen behandelt, im September kommt er dort erneut auf die Tagesordnung.
„Die
Anerkennung eines Staates Palästina, parallel zum Staat Israel ist ein wichtiger Schritt
und eine Chance für Europa, positiv mit den Arabern zu verhandeln. Und das wird Vieles
erleichtern: sowohl die Lage in Libyen, in Ägypten, besonders in Syrien, die Lage
der Palästinenser, überhaupt die Beziehung Europas zu den arabischen Ländern. Der
Versuch, das Problem Palästina zu lösen, ist ein Schlüssel für viele, viele Probleme
unseres Landes. Es kann dazu ermutigen, dass Syrien mehr Frieden mit Israel macht.
Vieles wäre dann anders in den arabischen Ländern, es wäre die beste Hilfe für alle
Revolutionen, die nun in Libyen und woanders sind. Man kann die Frage Palästina-Israel
nicht abtrennen von der Lage im Nahen Osten.“ Eigener Palästinenserstaat
als Schlüssel zum Frieden?
Dieser Schritt wäre für viele Länder der
Region eine Einladung, konstruktiv zum Friedensprozess in der Region beizutragen,
meint Laham. Wenn Europa und Amerika einen palästinensischen Staat anerkennen, könne
damit „eine Atmosphäre des Vertrauens“ geschaffen und Europa als glaubwürdig wahrgenommen
werden, so der Patriarch. Schließlich habe auch der Heilige Vater „immer wieder betont,
dass wir ohne Frieden im Nahen Osten gegen die Wand fahren“, so Laham weiter. Im Juni
diesen Jahres hatte sich Papst Benedikt XVI. gegenüber Syriens neuem Botschafter am
Heiligen Stuhl allerdings auch klar gegen Gewaltanwendung ausgesprochen und betont,
dass das Land echte Reformen brauche. Dabei seien „die Wünsche der Zivilgesellschaft“
ebenso zu berücksichtigen wie „die Wünsche internationaler Instanzen“, sagte der Papst
bei der Audienz im Vatikan.
Auf syrischer Seite sei das Verhältnis zu Israel
derzeit positiv, führt Laham III. weiter aus. Diese Chance dürfe Europa nicht verpassen:
„Das
ist für Europa sehr wichtig. Man darf nicht vergessen, dass es auch in Syrien und
im Libanon Palästinenser gibt. Das würde die ganze Lage erleichtern. Und ich bin sicher,
dass Syrien in dem Fall mehr dazu beitragen würde, Frieden zu schaffen.“ Seit
nunmehr vier Monaten sind in Syrien die Proteste gegen das Regime von Präsident Baschar
al-Assad und ihre Niederschlagung nun schon in Gang. Für die Zeit des Ramadan hat
die Opposition, die inzwischen verstärkt bei der Bevölkerung um Solidarität und Unterstützung
wirbt, abendliche Protestkundgebungen angekündigt. Unterdessen berichtete der arabische
Sender Als Jazeera von weiteren Attacken der syrischen Sicherheitskräfte gegen Regimegegner
in Hama und Deir ez-Zor im Nordosten des Landes. Die Rede ist von 25 Toten und 65
Verletzten.