2011-07-31 10:21:15

Schweiz: „Kirche muss politisch sein!“


RealAudioMP3 Die Botschaft der Schweizer Bischöfe zur Eidgenössischen Bundesfeier erhielt in diesem Jahr eine besondere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Die Rede wurde bereits vor dem 1. August bekannt gegeben. Dieser Tag ist traditionell der nationale Feiertag der Schweiz. Der Kerngedanke der diesjährigen Botschaft lautet: „Kirche muss politisch sein!“ Das Thema haben die Schweizer Bischöfe mit Blick auf die eidgenössischen Wahlen im Herbst 2011 gewählt. Nebst der Botschaft in Textform, vermittelt Abt Martin Werlen seine Gedanken auch in einem Kurzfilm. Der Abt des Benediktinerklosters Einsiedeln ist bei der Bischofskonferenz u.a. für die Medien zuständig. (rv)

Hier lesen Sie die gesamte Botschaft im Wortlaut

Die Kirche ist politisch!

An vorderster Front …
Selbstverständlich ist die Kirche politisch. Und zwar an vorderster Front. Das vergessen wir allzu oft. Die große Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer sind Getaufte. Sie gehören zur Gemeinschaft der Kirche. Wenn sie als Bürgerinnen und Bürger unseres Landes an die Urne gehen, engagieren sie sich politisch. Viele Getaufte übernehmen im Staat Verantwortung. Sie bemühen sich nach bestem Wissen und Gewissen um das Gemeinwohl.

… und auf verschiedenen Ebenen
Immer wieder äußern sich kirchliche Verbände und Organisationen politisch, aber auch Kommissionen der Bischofskonferenz oder die Bischofskonferenz selbst. Verantwortliche in den Verbänden und Kommissionen, Verantwortliche in der Seelsorge und einzelne Mitglieder der Bischofskonferenz erheben zu bestimmten politischen Themen ihre Stimme in der Öffentlichkeit.

Parteipolitik? Ja und Nein
Die Kirche als solche betreibt keine Parteipolitik. Aber Getaufte sind in allen Parteien engagiert. In allen Parteien gibt es berechtigte Anliegen, die sie in die politische Diskussion einbringen. Die Christinnen und Christen in den verschiedenen Parteien sind herausgefordert, ihr Engagement als Getaufte wahrzunehmen - zum ganzheitlichen Wohl des Menschen, jedes Menschen, unabhängig von Nationalität, Religion, Geschlecht, Alter und Gesundheit.

Partei ergreifen
Selbst wenn die Kirche als solche keine Parteipolitik macht, ergreift sie dennoch Partei. Wer immer das Evangelium verkündet, ergreift Partei für den Menschen. Alle Menschen sollen wirklich leben können, ja das Leben in Fülle finden (vgl. Joh 10,10). Die Kirche ergreift Partei für Menschen, die keine Stimme haben. Sie ergreift Partei für die Menschen, die in ihrer Würde nicht respektiert werden – weil ihr Leben erst grad begonnen hat, weil sie behindert, krank oder alt sind, weil sie fremd sind. Sie ergreift Partei für Menschen, die nicht als Du, sondern wie eine Sache behandelt werden. Sie ruft zu Solidarität auf, wo Menschen auf Unterstützung angewiesen sind. Die Kirche fordert Gerechtigkeit für alle Menschen als Voraussetzung für Frieden. Sie setzt sich für sozialen Ausgleich und soziale Absicherung für alle ein. Sie erhebt ihre Stimme, wo Menschen sich egoistisch auf Kosten anderer bereichern. Sie engagiert sich für die Familie, für Erziehung und Bildung. Sie ermahnt zum verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung und ihren Ressourcen. Es gibt viele Herausforderungen, in der die Kirche ihre Stimme in der Öffentlichkeit erheben muss, will sie ihrer Sendung treu bleiben.

Den Menschen ins Spiel bringen
Die Kirche hat dabei nicht die Lösung. Aber sie kann und will zu guten Lösungen beitragen. Dank ihrer katholischen (= globalen) Dimension hat sie einen lebendigen Erfahrungsschatz. Sie ist sich gewohnt, über Grenzen hinauszuschauen. Vor allem hat sie die Aufgabe, immer wieder den konkreten Menschen ins politische Spiel zu bringen. Sie ruft ständig in Erinnerung, dass die wirtschaftliche Entwicklung allein nicht genügt. Es gibt weitere Aspekte, die es zu fördern gilt. Es geht um den ganzen Menschen. Es geht um jeden Menschen.

Der Integration dienen
Die Kirche ist keine Parallelgesellschaft. Sie ist mittendrin im Leben – bei den Menschen. Ihre Berufung ist es, Sauerteig zu sein – zum Heil der Menschen, zum Heil der Welt. Gerade weil die Kirche in allen Kulturen, in allen Bevölkerungsschichten, in allen Arbeitsbereichen, in allen Parteien, in allen Generationen vertreten ist, hat sie besondere integrative Kraft. Sie kann Menschen mit unterschiedlichen Ansichten an den gleichen Tisch einladen, um miteinander respektvoll um faire Lösungen zu ringen.

Das Evangelium verkünden
Dabei handelt die Kirche in Treue zum Evangelium und zu einer lebendigen Tradition. Aus Fehlern in der Vergangenheit hat sie einiges gelernt – auch im Verhältnis zur Politik. Bei ihrem Engagement ist die Kirche nicht Wählerinnen und Wählern verpflichtet, sondern dem Evangelium. Sie orientiert sich nicht am Geist der Zeit, sondern an Jesus Christus. Wer sich an Jesus Christus orientiert, stellt sich den Herausforderungen der Zeit und begegnet dem konkreten Menschen. Wer in Gemeinschaft mit Gott lebt, dem ist kein Mensch gleichgültig.

Dank
Im Namen der Bischofskonferenz ein herzliches Vergelt’s Gott allen, die sich als Getaufte in unserem Land politisch engagieren; allen, die sich nach bestem Wissen und Gewissen an Abstimmungen und Wahlen beteiligen; allen, die sich am Ringen um gute Lösungen beteiligen; allen, die Gegenwart und Zukunft unseres Landes im Gebet mittragen. Ihnen allen gilt ein grosser Dank, denn nur so bleibt die Kirche in unserem Land selbstverständlich politisch – an vorderster Front und auf verschiedenen Ebenen.

Freiburg/Einsiedeln, im Juli 2011
Abt Martin Werlen OSB, im Auftrag der Schweizer Bischofskonferenz







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