Die Botschaft der
Schweizer Bischöfe zur Eidgenössischen Bundesfeier erhielt in diesem Jahr eine besondere
Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Die Rede wurde bereits vor dem 1. August bekannt
gegeben. Dieser Tag ist traditionell der nationale Feiertag der Schweiz. Der Kerngedanke
der diesjährigen Botschaft lautet: „Kirche muss politisch sein!“ Das Thema haben die
Schweizer Bischöfe mit Blick auf die eidgenössischen Wahlen im Herbst 2011 gewählt.
Nebst der Botschaft in Textform, vermittelt Abt Martin Werlen seine Gedanken auch
in einem Kurzfilm. Der Abt des Benediktinerklosters Einsiedeln ist bei der Bischofskonferenz
u.a. für die Medien zuständig. (rv)
Hier lesen Sie die gesamte Botschaft
im Wortlaut
Die Kirche ist politisch!
An vorderster Front
… Selbstverständlich ist die Kirche politisch. Und zwar an vorderster Front.
Das vergessen wir allzu oft. Die große Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer sind
Getaufte. Sie gehören zur Gemeinschaft der Kirche. Wenn sie als Bürgerinnen und Bürger
unseres Landes an die Urne gehen, engagieren sie sich politisch. Viele Getaufte übernehmen
im Staat Verantwortung. Sie bemühen sich nach bestem Wissen und Gewissen um das Gemeinwohl.
…
und auf verschiedenen Ebenen Immer wieder äußern sich kirchliche Verbände und
Organisationen politisch, aber auch Kommissionen der Bischofskonferenz oder die Bischofskonferenz
selbst. Verantwortliche in den Verbänden und Kommissionen, Verantwortliche in der
Seelsorge und einzelne Mitglieder der Bischofskonferenz erheben zu bestimmten politischen
Themen ihre Stimme in der Öffentlichkeit.
Parteipolitik? Ja und Nein Die
Kirche als solche betreibt keine Parteipolitik. Aber Getaufte sind in allen Parteien
engagiert. In allen Parteien gibt es berechtigte Anliegen, die sie in die politische
Diskussion einbringen. Die Christinnen und Christen in den verschiedenen Parteien
sind herausgefordert, ihr Engagement als Getaufte wahrzunehmen - zum ganzheitlichen
Wohl des Menschen, jedes Menschen, unabhängig von Nationalität, Religion, Geschlecht,
Alter und Gesundheit.
Partei ergreifen Selbst wenn die Kirche als
solche keine Parteipolitik macht, ergreift sie dennoch Partei. Wer immer das Evangelium
verkündet, ergreift Partei für den Menschen. Alle Menschen sollen wirklich leben können,
ja das Leben in Fülle finden (vgl. Joh 10,10). Die Kirche ergreift Partei für Menschen,
die keine Stimme haben. Sie ergreift Partei für die Menschen, die in ihrer Würde nicht
respektiert werden – weil ihr Leben erst grad begonnen hat, weil sie behindert, krank
oder alt sind, weil sie fremd sind. Sie ergreift Partei für Menschen, die nicht als
Du, sondern wie eine Sache behandelt werden. Sie ruft zu Solidarität auf, wo Menschen
auf Unterstützung angewiesen sind. Die Kirche fordert Gerechtigkeit für alle Menschen
als Voraussetzung für Frieden. Sie setzt sich für sozialen Ausgleich und soziale Absicherung
für alle ein. Sie erhebt ihre Stimme, wo Menschen sich egoistisch auf Kosten anderer
bereichern. Sie engagiert sich für die Familie, für Erziehung und Bildung. Sie ermahnt
zum verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung und ihren Ressourcen. Es gibt viele
Herausforderungen, in der die Kirche ihre Stimme in der Öffentlichkeit erheben muss,
will sie ihrer Sendung treu bleiben.
Den Menschen ins Spiel bringen Die
Kirche hat dabei nicht die Lösung. Aber sie kann und will zu guten Lösungen
beitragen. Dank ihrer katholischen (= globalen) Dimension hat sie einen lebendigen
Erfahrungsschatz. Sie ist sich gewohnt, über Grenzen hinauszuschauen. Vor allem hat
sie die Aufgabe, immer wieder den konkreten Menschen ins politische Spiel zu bringen.
Sie ruft ständig in Erinnerung, dass die wirtschaftliche Entwicklung allein nicht
genügt. Es gibt weitere Aspekte, die es zu fördern gilt. Es geht um den ganzen Menschen.
Es geht um jeden Menschen.
Der Integration dienen Die Kirche ist
keine Parallelgesellschaft. Sie ist mittendrin im Leben – bei den Menschen. Ihre Berufung
ist es, Sauerteig zu sein – zum Heil der Menschen, zum Heil der Welt. Gerade weil
die Kirche in allen Kulturen, in allen Bevölkerungsschichten, in allen Arbeitsbereichen,
in allen Parteien, in allen Generationen vertreten ist, hat sie besondere integrative
Kraft. Sie kann Menschen mit unterschiedlichen Ansichten an den gleichen Tisch einladen,
um miteinander respektvoll um faire Lösungen zu ringen.
Das Evangelium verkünden Dabei
handelt die Kirche in Treue zum Evangelium und zu einer lebendigen Tradition. Aus
Fehlern in der Vergangenheit hat sie einiges gelernt – auch im Verhältnis zur Politik.
Bei ihrem Engagement ist die Kirche nicht Wählerinnen und Wählern verpflichtet, sondern
dem Evangelium. Sie orientiert sich nicht am Geist der Zeit, sondern an Jesus Christus.
Wer sich an Jesus Christus orientiert, stellt sich den Herausforderungen der Zeit
und begegnet dem konkreten Menschen. Wer in Gemeinschaft mit Gott lebt, dem ist kein
Mensch gleichgültig.
Dank Im Namen der Bischofskonferenz ein herzliches
Vergelt’s Gott allen, die sich als Getaufte in unserem Land politisch engagieren;
allen, die sich nach bestem Wissen und Gewissen an Abstimmungen und Wahlen beteiligen;
allen, die sich am Ringen um gute Lösungen beteiligen; allen, die Gegenwart und Zukunft
unseres Landes im Gebet mittragen. Ihnen allen gilt ein grosser Dank, denn nur so
bleibt die Kirche in unserem Land selbstverständlich politisch – an vorderster Front
und auf verschiedenen Ebenen.
Freiburg/Einsiedeln, im Juli 2011 Abt Martin
Werlen OSB, im Auftrag der Schweizer Bischofskonferenz