Wenn sich Autoritarismus
und Christentum verbünden, entsteht Gewaltanfälligkeit. Das stellt der Wiener Theologe
und Religionssoziologe Paul Zulehner vor Hintergrund der jüngsten Terrorakte in Norwegen
fest. „Dasselbe kann aber mit jeder Religion – und was meist von Agnostikern und Atheisten
übersehen wird – mit jeder Weltanschauung passieren“, betont Zulehner in einem Kommentar
für Kathpress vom Donnerstag.
Anfälligkeit für Autoritarismus ist gestiegen Zulehner
verweist auf die aus der Langzeitstudie „Religion im Leben der Menschen 1970-2010“
ersichtliche kulturelle und religiöse „Verbuntung“ in Europa. Diese Entwicklung gehe
mit einer gerade unter jungen Menschen rasch „dramatisch angestiegenen“ Anfälligkeit
für Autoritarismus einher. „Oslo lässt grüßen. Und das ist vorhersehbar, nicht das
letzte Mal“, warnt der Pastoraltheologe. Der Studie zufolge nimmt nur eine Minderheit
von nicht einmal einem Drittel – nämlich 31 Prozent – Vielfalt als Erbe der Geschichte
und als unentrinnbares Phänomen der Gegenwart und Zukunft wahr – und plädiert dementsprechend
für einen friedlichen Dialog der Religionen und ein gemeinsames Eintreten für Freiheit,
Gerechtigkeit und Frieden.
Und warum? Dazu erklärt Zulehner: Im Zeitraum 1968
bis 1995 sei der unterwerfungsbereite und gewaltgeneigte Autoritarismus „nachweislich
eingedämmt“ worden – dank der Bildung zum Beispiel. Allerdings sei seitdem die sogenannte
„Pluralitätstoleranz“ wieder gesunken. Das Fremde werde in einer zunehmend unübersichtlichen
Welt als Bedrohung empfunden, mit Ängsten besetzt und unterdrückt. Eine Kultur wird
damit laut Zulehner anfälliger für Xeno- und Islamophobie, für Unterwerfung unter
populistische und fundamentalistische Führer in Politik und Kirchen und für deren
„verbale Gewalt“. Diese könne bei Psychopathen „unversehens in physische Gewalt gegen
Leib und Leben ausarten“.
„Gewalt gibt es bei Atheisten und Gläubigen“
Oslo ist nach den Worten des Pastoraltheologen „Wasser auf die Mühlen“
aller, die den Religionen und speziell dem Christentum Gewaltanfälligkeit unterstellen.
Das lässt Zulehner so nicht gelten. Der Atheismus Stalins sei dem islamistischen Terror
an Vernichtungskraft um nichts nachgestanden; erst recht nicht der Nationalsozialismus.
„Die Trennlinien laufen also nicht zwischen den Weltanschauungen und Religionen -
als ob Atheisten gewaltfrei, Gläubige aber gewalttätig seien -, sondern quer durch
diese hindurch. Friedliebende Atheisten und Christen hier stehen gewaltbereiten Atheisten
und Christen dort gegenüber.“
Zulehner erinnert weiter an die „bahnbrechende“
Einladung Johannes Pauls II. zum gemeinsamen Friedensgebet der Religionen in Assisi.
Dem könnten sich Atheisten und Agnostiker als „Menschen guten Willens“ im Rahmen ihrer
Möglichkeiten zugesellen, „statt die Gewaltneigung unter Gleichgesinnten zu übersehen
und diese dem Christentum als solchem vorzuwerfen“. (kap 28.07.2011 pr)