Die Vereinten Nationen
zeichnen ein dramatisches Bild der Flüchtlingslage in Ostafrika. In einer Krisensitzung
am Montag in Rom haben sie zu massiver und rascher Hilfe aufgerufen und weitere Maßnahmen
zur Bekämpfung der Hungersnot in Somalia und Äthiopien vereinbart. Dabei sollen vor
allem Bauern und Fischer in den betroffenen Regionen unterstützt und Schwankungen
der Nahrungsmittelpreise bekämpft werden.
„Die Kombination aus Dürre, Inflation
und politischen Konflikten hat eine katastrophale Situation geschaffen, gegen die
es massive und unmittelbare internationale Unterstützung braucht“, sagte der Generaldirektor
der Welternährungsorganisation FAO. In den nächsten zwölf Monaten müssten 1,6 Millionen
US-Dollar aufgebracht werden, 300 Millionen in den nächsten zwei Monaten, um eine
weitere Verschärfung der Krise zu verhindern.
Verzweifelte Frauen müssten ihre
sterbenden Kinder auf der Flucht am Straßenrand zurücklassen, sagte die Direktorin
des UNO-Welternährungsprogramms, Josette Sheeran.
„Sie mussten die schreckliche
Entscheidung treffen, das stärkere Geschwisterkind auf Kosten des Schwächeren zu retten.
Anderen Müttern starben die Kinder in ihren Armen. Ich habe mit einer Frau gesprochen,
die auf der Flucht und der Suche nach Nahrung drei Kinder verloren hat.“
Hungersnot
der Kinder
Unicef warnte erneut vor einem Massensterben der Kinder.
„Dies ist eine Hungersnot der Kinder. Wir müssen sofort handeln, jeder Tag kann den
Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen“, erklärte Unicef-Direktor Anthony Lake.
Nach Angaben des UNO-Kinderhilfswerks Unicef sind in Somalia, Äthiopien, Kenia und
Dschibuti bereits mehr als 2,3 Millionen Kinder akut mangelernährt. Mehr als 500.000
Mädchen und Jungen seien so ausgezehrt, dass nur sofortige Behandlung ihr Leben retten
könne. Kerstin Bückner von Unicef Deutschland sagte dem Kölner Domradio:
„Die
Kinder sind die Schwächsten. Man muss sich vorstellen, was die Flüchtlingsfamilien
durchmachen, wenn sie teilweise über Wochen aus Somalia sich aufmachen, um in einem
der Nachbarländer Hilfe zu finden. Das können die Kinder nicht überstehen. Ihre Körper
sind einfach klein und anfällig, und deswegen ist es für viele jetzt schon so lebensbedrohlich
geworden.“
Wegen der katastrophalen Dürre und massiven Ernteausfällen am
Horn von Afrika haben die Vereinten Nationen zwei Regionen im von Anarchie und Gewalt
geplagten Somalia offiziell zu Hungergebieten erklärt. Mindestens zwölf Millionen
Menschen sind insgesamt betroffen, 3,7 Millionen sind akut vom Hungertod bedroht.
Derzeit
können laut UNO-Angaben nicht mehr als zwei Millionen Menschen versorgt werden. Der
Zugang werde verwehrt. Radikale Muslime der Al-Schabaab-Gruppe kontrollieren große
Gebiete. Sie hatte im vergangenen Jahr Lebensmittelhilfen verboten und wirft den Hilfsorganisationen
nun vor, nur aus politischen Gründen von einer Hungersnot zu sprechen.
Eigentlich
einfach: Mit Geld kann Essen gekauft werden
Für die Hilfsorganisation
Oxfam gibt es „keine Entschuldigung“ mehr für die internationale Gemeinschaft, nicht
sofort großzügig zu helfen. „Kein anderes Problem kann dringender sein als Millionen
Menschen, die in Afrika dem Schreckgespenst des Hungers entgegensehen“, erklärte Barbara
Stocking, Direktorin von Oxfam in Großbritannien.
„Die beste Möglichkeit,
die Mägen der Menschen zu füllen, ist Geld. Man muss ihnen Geld in die Hand geben
oder Essensmarken, damit sie Nahrung kaufen können. Und das ist definitiv möglich.
Sogar in Somalia. Die Gelder, die jährlich in dieses Land fließen, müssen auch in
die Hände der Menschen gelangen. Ich sage: vor allem in die Hände der Frauen dort.
Der Handel in den Ländern der Region, in Kenia, in Somalia ist sehr gut. Das ist der
schnellste Weg, die Menschen mit Nahrung zu versorgen.“
Die deutsche Bundesregierung
kündigte an, ihre Hilfe für die Dürreopfer am Horn von Afrika auf mehr als 30 Millionen
Euro zu verdoppeln. Die Weltbank will umgerechnet rund 350 Millionen Euro zur Verfügung
stellen. Doch die Unterzeichner der Abschlusserklärung des Treffens in Rom wollen
nicht nur kurzfristig mit Soforthilfen reagieren. Es sollen Frühwarnsysteme entwickelt
werden, um die Entwicklung von Hungersnöten frühzeitig erkennen und bekämpfen zu können.
„Muss
sich Geschichte wiederholen?“
Schon seit dem Jahr 2000 weise die FAO
auf die strukturellen Ursachen der Krise in dieser Region hin. Doch die internationale
Aufmerksamkeit habe sich anderen Themen zugewandt. „Jetzt befinden wir uns wieder
mitten im Krisenmanagement“, kritisierte FAO-Generaldirektor Jacques Diouf aus dem
Senegal.
„Muss sich Geschichte denn immer wiederholen? Muss die internationale
Gemeinschaft im 20. Jahrhundert dem Kampf der Menschen, vor allem der Kinder zusehen?
Und einem Viehsterben wie in Zeiten des Alten Ägypten?“